Assoziative Gedanken zu „Die Vögel“ von Walter Braunfels

Berichte aus drei Welten
Anlässlich der Aufführung am Oldenburgischen Staatstheater
von Thomas Honickel
Zum Geleit
Den Exoten im Opernrepertoire auch nach Jahrzehnten ohne nennenswerte Aufführungstraditionen eine Chance zur Wiederauferstehung und möglicherweise sogar zur Etablierung im Kanon zu geben, ist der nicht hoch genug einzuschätzende Vorzug, den deutsche Theater für sich reklamieren dürfen.
Braunfels` Die Vögel gehören zum Kreis der Werke, die in der dunklen, ausgrenzenden Zeit und ästhetisch so eindimensionalen Welt des Nationalsozialismus wie nicht wenige andere von der Bildfläche verschwanden. Wer sich nicht rechtzeitig zeitig genug in Sicherheit bringen konnte (Weill, Schönberg, Korngold), wurde verfolgt und umgebracht, mindestens aber all seiner Ämter enthoben und künstlerisch mundtot gemacht. Diese erzwungene innere Emigration war auch das Schicksal des noch jungen aufstrebenden Kölners Walter Braunfels.
Anlässlich des 100. Geburtstags der Musikhochschule Köln, der er als Gründungsrektor vorstand, bis die Nazis ihn kalt schassten, und anlässlich des 105. Geburtstags dieser herausragenden Oper der 20er Jahre bot sich das Opus nun geradezu für das Oldenburger Haus an. Es erlebt derzeit eine kleine aber feine Renaissance, die sich vorzugsweise an ausländischen Bühnen abspielt. Meriten also für das Oldenburgische Staatstheater und in wenigen Wochen auch für das in Braunschweig, die der Huntestadt mit dem Werk folgen.
Und, so viel vorweg, sie gelang über alle Maßen überzeugend, bewegend und mit erstklassigem Handwerk bei Stimmen, Bühne, Kostümen und Regie. Einer ausführlichen Würdigung dieses Opern-Solitärs folgt in einem separaten Bericht über die dort geschilderten drei Welten: Götterwelt, Menschenwelt und Vogelwelt.

Die Vögel zwischen Altertum und Moderne
Die von Aristophanes als ironische Parabel mit durchaus humoristischen Untertönen konzipierte Dichtung aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert wird bei Braunfels, der sein eigener Librettist war, zu einer dystopischen Zukunftslandschaft, in der die Verführbarkeit einer Gesellschaft durch machtsüchtige Individuen Bühnenwirklichkeit wird. Aristophanes hatte seine Dichtung als Fanal gegen außenpolitische Überheblichkeit verfasst (Athens kriegerische Ambitionen gegen Sizilien, die fatal wurden für den Stadtstaat), und er tat dies mit dem Mittel der ironischen Überspitzung, bei der das „Wolkenkuckucksheim“ als das gezeichnet wurde, was es war: Eine trügerische und fatale Utopie.
Die gleichzeitige Empfänglichkeit für solche radikalen Thesen in einem Volk von „Eseln“ (hier die Vogelwelt), dem es offensichtlich zu gut geht, sodass man „aufs Eis geht“, ist dabei die Voraussetzung für Übermut und Überheblichkeit. Erkennbar bleibt auch jegliches Fehlen einer spirituellen Basis. Sie führt zu einem unreflektierten Marsch, der den ideologischen Lautsprechern willig wie Lemminge hinterherläuft, um ins Unglück zu stürzen.
Es bleibt bis heute unklar, ob Braunfels die braune Zeit mit den auch für ihn selbst so fatalen Konsequenzen schon dämmern sah. Immerhin entstand der erste Akt vor seiner Militärzeit im 1. Weltkrieg und wurde nach seiner Rückkehr (Braunfels kam als Frontverletzter heim) dann zügig vollendet; sicherlich auch mit einem kritischen Blick auf das im Krieg Erlebte.
Das Werk liest sich natürlich im Spiegel der Nachwelt als ein seherisches, wenn man auf 1933 blickt, denn es hat alle Ingredienzien, um solche totalitären Regime und ihre Demagogen zu entlarven und mahnend den Finger zu heben. Die Figur des Ratefreund könnte auch als früher Joseph Goebbels durchgehen. Dass die Oper überdies auch die jüngsten Ergebnisse der Bundestagswahl gewissermaßen künstlerisch reflektiert und allegorisch im Bild der verführten Vogelgesellschaft darstellt, macht die Aufführung zu einem wertvollen Baustein eines Theaterangebotes, das in Teilen aufrütteln will und zum Nachdenken ermutigen soll.
Indes ist die metaphorische Geschichte, die bei Braunfels neu erzählt und in ihren poetischen Teilen noch durch Eichendorffsche Lyrik ergänzt wird (s.u.), auch ein Bild für die Sinnsuche des Menschen. Die Gestalten Hoffegut und Ratefreund (nomen est omen) sind dabei zwei Lebensentwürfe, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Die nahezu zeitgleich entstandene Oper Die tote Stadt von Korngold, über die hier schon ausladend berichtet wurde, ist mehr ein verinnerlichter Ansatz mit tiefenpsychologischen Hintergründen à la Freud & Co., in gewisser Weise ein Zwillingswerk zu Die Vögel. Die kurze Zeit später verfasste Oper des ebenfalls bedeutenden Franz Schreker Irrelohe verbindet das Fantastische von E.A.Poe und E.T.A. Hoffmann mit tiefen Blicken in die Abgründe der menschlichen Seele. In Die Vögel wird dieser Ansatz ins Offensive, ins Überpersönliche gehoben, der den (vermeintlichen) Machtanspruch Einzelner (und ihrer Ideologien) über die Wohlfahrt und die friedliche Koexistenz einer Gemeinschaft setzt. Allen dreien, epochalen Werken, so verschieden sie auch sein mögen in ihrer Machart, ihrem Klangwesen und ihrer Storyline, wohnt somit eine tiefe Nachdenklichkeit inne, die mit sonoren und mystischen Stimmen in unser Innerstes zu leuchten vermag.
Bei Braunfels´ selbst gestricktem Libretto (schon Goethe hatte sich 1780 an einer Parodie aus dem griechischen Original versucht) stehen in der Schilderung des „Aufstiegs und Falls einer Vogelwelt“ (wie in Weills Mahagonny) humoristische Schilderungen gleichbedeutend neben dramatischen Brüchen, erzählende Episoden neben wortlosen oder textlosen (Vokalisen der Nachtigall) Passagen, aufwühlende Massenszenen neben poetisch-nächtlichem „Waldweben“ (das Wort wird so im Libretto tatsächlich erwähnt).
Das alleine hebt das Werk aus einer linear erzählenden Struktur höchst nachdrücklich hervor. Das schon macht den Opernabend mit zum Erlebnis, wie gekonnt der Komponist zu retardieren versteht (Beginn 2. Akt), um dann dem Drama umso intensiver mit höchster Tempokraft zu begegnen. Braunfels selbst schreibt über sein kompositorisches Ansinnen wie folgt:
“Mir liegt vor allem am Poetisch-Phantastischen, dem metaphysischen Charakter der Dichtung, der Mensch in seiner Sehnsucht nach dem Überirdischen, dem Göttlichen.“
Mit der Idee, die alte, überkommene und ausgediente Götterwelt zu stürzen (Zeus wird hier selbst zum deus ex machina), ist Braunfels, wie Aristophanes schon vor fast 2500 Jahren, nahe an der braunen Ideologie, die in Volk und Führer eine Ur-Religion vermutete. Alttestamentliche Gebote und neutestamentliche Seligpreisungen hatten ausgedient. Das vermeintlich auserwählte Volk der Deutschen musste sich in der Folge nicht mehr an der Richtschnur der genannten biblischen Normen orientieren, sondern durfte sich satt und selbstzufrieden an der von den Nazis als Staatsdoktrin ausgegebenen Parole von „Blut und Boden“ delektieren, um Reihenweise Völker in Kriege zu ziehen und Elend über Europa und darüber hinaus zu bringen. Andersartige, Andersdenkende, Andersgläubige wurden verfolgt und ermordet.
Dass der „Bauch noch fruchtbar ist, aus dem dies kroch“ (Brecht Der gute Mensch von Sezuan), kann man allerorten in unserer Zeit und in unserem Land und erneut auf unserem Kontinent trefflich beobachten: Ein entfesselter Krieg, der sich als Spezialoperation zu tarnen versucht, eine europäische Gesellschaft, die sich nach einer Zeit des Aufbruchs so disparat darstellt und agiert (Brexit), dass nationalistische Strömungen und rechtsradikales Gedankengut erneut hoffähig zu werden scheinen. Nach der jüngsten Bundeswahl ist der Osten Deutschlands politisch monochrom geworden; fast möchte man von einem Anschluss sprechen.
Die Ratefreunds an allen Orten der Nation haben sich von den Stammtischen erhoben und dürfen ihre verquasten und demagogischen Ideen ohne Sanktionen in die Gegenden brüllen, wo sie von den schlichten Vogelwelten dankbar und als Wegweiser für eigenes Handeln genutzt werden. Der Bau der Vogelstadt in den Wolken, in heutiger Diktion wohl als Sinnbild einer Utopie als Luftschloss bezeichnet, wurde übrigens im griechischen Original als „Wolkenkuckucksheim“ von Aristophanes bezeichnet. Ein geflügeltes Wort der Antike, das sich in unserem Sprachgebrauch niedergelassen und gehalten hat und das von eben von solchen unmöglichen, illusionären Räumen berichtet.
Dass die „Götterdämmerung“ für die tatsächlichen, spirituellen Zonen unseres Geistes längst angebrochen ist, bezeugte zu Braunfels´ Zeiten bzw. kurz danach die Gleichschaltung der Kirchen (sog. „Deutsche Christen“), der sich nur die Barmer Bekennende Kirche tapfer aber machtlos gegenüberstellte. In unserer Zeit ist es die Abkehr von korrumpierten und häufig inhaltlich ausgehöhlten Konfessionen, die sich in massiven Kirchenaustrittszahlen und einer großen Gleichgültigkeit gegenüber einer Orientierung durch Tradition, Normen und Werten artikuliert, nein manifestiert. Dabei wird den kämpferischen Einflüsterungen vieler analoger und digitaler Influencer, Gott und Religion aus unserem Leben zu tilgen, nichts entgegengestellt, was einen Lebenssinn, der über narzisstische Selbstbespiegelung hinausgeht, glaubwürdig und sinnfällig machen kann. Wie sagte ein katholischer Bischof vor kurzem angesichts des Kirchenexodus: „Gott hat sich aus unserer Gesellschaft verflüchtigt!“
Was die Beweggründe für Braunfels´ Ratefreund sind, bleibt einigermaßen im Vagen. Heute wäre er vielleicht als Seelencoach bei YouTube jemand mit weit reichender Distanz, ein digitaler Star, dem man gottgleich folgen möchte. Die Follower beim wahlweise nazistischen oder kommunistischen Ratefreund in Braunfels´ Die Vögel sind ebenfalls zahlreich und so bunt wie die Scheinwelt, die wir bisweilen im Netz erleben. Jeder gackert, quiekt, gurrt und tiriliert in diesem Kosmos. Ein vielstimmiger Chor, der so heterophon wie lautstark ist: Ein tiergewordenes Chaos.
Vielleicht wäre dieser Chef-Demagoge aber auch ein politischer Verführer, der einen mit utopischen Plänen, unrealistischen Zukunftsgedanken und Ideologien, die ins Elend führen, einzufangen weiß. Als solchen weist das höchst informative Programmheft der Oldenburger Inszenierung (Autorin: Dramaturgin Anna Neudert) den Unsympath und Aufrührer ohne Not in einem lesenswerten Beitrag zur Etymologie und zum Hintergrund von „Demagogie im Wandel der Zeit“ aus.
Zeus in Gestalt der zur Person gewordenen Ur-Macht, die zu schöpfen und zu bewahren versteht, wird es am Ende zu bunt; trotz aller mahnenden Worte des Prometheus, der ja (durch eigenes mythologisches Schicksal bezeugt) wusste, wovon er spricht, obsiegt die impertinente und hartnäckige Ideologie des Verführers Ratefreund, und Zeus muss dem Ganzen mit göttlicher (Zerstörungs)kraft begegnen. Gottvater straft die menschliche Hybris. Man darf zurecht vermuten, dass anschließend all das Geschehene bald wieder von Neuem beginnt. Das ewige Rad des menschlichen Schicksals!

Anleihen beim Mythos
Die menschliche Intriganz in Gestalt von Ratefreund verflüchtigt sich in die deutsche Gemütlichkeit hinter den warmen Ofen. Die Vögel huldigen den alten und den neuen Göttern. Und Hoffegut hatte mit der Nachtigall das tiefpoetische und hochromantische Erlebnis in mondbeschienener Nacht. Auch hier liest man im Programmheft einen erhellenden Beitrag zur mythischen Wurzel des Gesangs der Nachtigall, der die Trauer der verwandelten griechischen Königin Prokne zum Thema hat. Sie hatte einst ihren Sohn Ithys ermordet, weil sie sich an ihrem treulosen Ehemann Tereus rächen wollte, der ihre Schwester Philomela entführt und vergewaltigt hatte. Sie hatte den zerstückelten Leib ihres Sohnes dem Ehemann vorgesetzt, um ihn damit zu strafen (eine ganz ähnliche Horrorstory wird im Haus der Tantaliden von Pelops berichtet). Ein grausamer Akt einer Rache an unschuldigem Leben.
Um das gegenseitige Töten, was daraufhin einzusetzen drohte, zu beenden, verwandelte Zeus alle drei in Vögel: Tereus in einen Wiedehopf (der ebenfalls in Braunfels´ Die Vögel erscheint), Philomela in eine Schwalbe und Prokne in eben jene Nachtigall, die verdammt wird, im Frühling mit traumhaft schönem Gesang den Tod ihres Sohnes stets aufs Neue zu besingen. Bei Braunfels klingt das direkt zu Beginn des 2. Aktes im Gewand impressionistischer Klangmalerei wie folgt: „Ithys, mein Sohn! Der Frühling fliehet, was blühet, verblüht.“
Viele Komponisten haben den Klang der Nachtigall immer wieder in Kompositionen prominent platziert, von Beethoven bis Respighi. Aber auch in der Literatur findet sie als symbolhafte Gestalt häufig Erwähnung. Die berühmte schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren hat ihr, ohne explizit den Namen des Vogels zu nennen, ein Denkmal gesetzt in einem ihrer berühmtesten Bücher: "Mio, mein Mio".
Dort beklagt im Garten des Königs der "Trauervogel" den Verlust der Kinder im "Land der Ferne", die vom bösen Ritter Kato in Vögel verwandelt wurden. Da tun sich durchaus Parallelen auf.
So ist das akustische wie optische Erscheinen dieser famosen ornithologischen Sängerin ein Symbol für Liebe, Sehnsucht, Trauer und Bitte um Vergebung gleichermaßen. Sie ist der unumstrittene Star dieser vor Schönheit strahlenden Opern-Vogelwelt und symbolisiert in der mythologischen Welt doch ebenso die ewige Schuld und Klage. Braunfels´ Musik spiegelt das im Prolog, im Aktbeginn nach der Pause und im Epilog des Werkes eindrucksvoll. Romantische Sehnsucht inklusive Eichendorff im Gewand hintergründiger mythologischer Dramenwelten.
Braunfels selbst gesteht hier den für ihn zwingenden Einschub durch den Eichendorffschen Satz: „Ja, schön hier zu verträumen die Nacht im tiefen Wald, wenn zwischen den dunklen Bäumen das alte Märchen schallt.“ (aus „Die Nacht“ 1840er Jahre). Ein Satz, der wie eine Charta über dem Beginn des 2. Aktes stehen könnte.
Die Figur des Hoffegut, der sich von der Reise in die Vogelwelt gänzlich anderes als eine machtvoll-kriegerische Auseinandersetzung verspricht, diese Figur ist deutlich schwerer zu fassen. Er ist ein Romantiker, der im Stillen, in der Einsamkeit, der Weltflucht („Ich bin der Welt abhanden gekommen“) sein Glück sucht. Nicht zuletzt in dieser Figur materialisiert sich die zarte, mitfühlende und der geistigen Welt zugewandte Seite des Menschen. Die Weichheit dieses Denkens und Fühlens wird in seiner Begegnung mit der Nachtigall besonders deutlich; und hier findet auch Eichendorff seinen adäquaten Raum (s.o.). Hoffegut ist ein Gegenentwurf, in den man sich zu gerne flüchten möchte, der aber als Gesamtkonzept eher nicht für einen tragfähigen Lebensentwurf taugt.
Er ist eher der Werther des frühen 20. Jahrhunderts, der an der Welt verzweifelnde Wozzeck oder der Träumer und Eskapist, wie wir ihn in der Dichtung dieser Zeit häufig finden. Am Ende der Oper bleibt er mit den aus der Ferne zu ihm dringenden Nachtigallrufen (und ihrer nie endenden Gesänge voller Selbstvorwürfe) alleine. Was er in der Mondnacht erlebte, wird ihn für immer aufs Schönste geprägt haben. Ihr Kuss hat ihn verwandelt, das Schöne wird bei ihm dauerhaft verweilen: „Hinab denn! Ach, ich hab gelebt!“ Ein partielles Happyend!

Braunfels – eine Biographie mit erzwungenem Bruch
Das Schicksal des als aufstrebend und prägend gehandelten jungen Walter Braunfels, der neben Richard Strauss, Wolfgang Korngold, Franz Schreker und manch anderem illustren Namen der 20er Jahre flink die Opernbühnen mit Die Vögel eroberte, wurde zeitig, viel zu zeitig beendet und, wie sich zeigen sollte, nachhaltig zerstört.
Der in den 20er Jahren neben Schreker und Strauss meistgespielte Opernkomponist erhielt 1923 durch den damaligen Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, den Auftrag zur Gründung einer Musikhochschule.
Den aufkeimenden braunen Machthabern war nicht nur seine jüdische Herkunft, Braunfels war durch seine Familie zum Halbjuden mutiert, suspekt, sondern auch durch die Themen seiner Opernsujets und deren in ihren Ohren wenig linientreuen Kompositionen. Trotz Übertritt zum Protestantismus schon vor dem 1. Weltkrieg und anschließend zum Katholizismus blieb die Konversion kein Schutz vor Verfolgung und erzwungener Verstummung.
So wurde er durch die Reichsmusikkammer, der zunächst der unsägliche Max von Schillings und später auch Richard Strauss vorstand, seines so zentralen Amtes als Direktor der Musikhochschule Köln enthoben; und alle Zugehörigkeiten zu weiteren Ehrenämtern (etwa zur Preußischen Akademie der Künste) wurden ihm entzogen. Kurze Zeit später landete sein Oeuvre auch auf dem Scheiterhaufen der „Entarteten Kunst“ des Propagandaministers Joseph Goebbels. Persona non grata und mittellos. Allerdings „durfte“ er in die innere Emigration gehen, wo er am Bodensee die Kriegszeit einigermaßen überstand. In diesem Zusammenhang klingt die Textpassage aus der ersten Szene, die Ratefreund als Ursache für seine Stadtflucht vorträgt, fast wie Hohn angesichts des weiteren Schicksals des Werkes: „Nicht anseh´n konnt ich, wie auf Erden die holde Kunst entartet!“
Nach dem Krieg wäre eine Rehabilitierung seiner Musik angezeigt gewesen. Dafür war seine Kunst indes nicht mehr die Passende. Man schrieb und spielte Anderes, Neueres und Avantgardistischeres. Wie die Werke von Korngold, Weill, Schönberg, Krenek, Goldschmidt und vielen (!) anderen Heroen der 20er Jahre legte man auch die Opera von Braunfels zu den Akten. Sie sollten erst in den 70er Jahren wieder zu neuem und hoffentlich anhaltendem Leben erweckt werden.
Seine erneute Wiedereinsetzung als Direktor in Köln durch den damaligen Oberbürgermeister und späteren Bundeskanzler Konrad Adenauer blieb eine Episode, die durch mancherlei Rivalitäten, politischen Ränkeschmieden, alte Seilschaften aus der NS-Zeit und daraus resultierende Ausgrenzungen schwierig blieb. Das unrühmliche Ende dieser Rehabilitierung haftet bis heute am kulturellen Revers der Kölner, weswegen sie sehr gut daran getan haben, dem Werk jüngst angelegentlich des Jubiläums von Uraufführung und Hochschule die nötige Wiedergutmachung zu schenken. 1950 ging Braunfels in den Ruhestand. Vier Jahre später starb er.

Die Vögel – Zu Faktur und Wirkungsweise
Das Werk ist, wie manch andere Werke dieser Zeit, ein Unikum, dem nichts Vergleichbares voranschritt und dem in dieser Form nichts Entsprechendes folgte. Es ist gewissermaßen ein Solitär in der Bühnenlandschaft, was seinen Wert noch einmal unterstreicht.
Der Rückbezug auf einen antiken Text, der allegorisch Politisches zu schildern versteht, die Abkehr von der Spieglung des Realen, wie es der Verismo eines Giacomo Puccini oder der Naturalismus eines Gerhard Hauptmann vorsah, das Aufeinandertreffen von Mythos, Tierwelt und Menschlichem, was die Oper in die Nähe eines Fantasy-Abenteuers rückt, all das macht den besonderen Reiz des Settings der Vögel aus.
Und dann die Musik!
Braunfels ringt um einen Individualstil, das spürt man allerorten in der Partitur: Beim Entwickeln eigener Individualität beim Ausgestalten charakteristischer Gesangspartien (herausragend hier die singuläre Partie der Nachtigall), bei einer Typisierung mit Hilfe facettenreicher rhythmischer Elemente, die naturgemäß der deutschen Sprache abgerungen sind, und mit flächigen, orchestralen Momenten, die der Fantasie Raum zum Vor- und Nachdenken verleihen. Dazu große Chortableaus, die den Massenszenen und eruptiven Handlungspassagen größte Eindringlichkeit verleihen. Anders als im griechischen Drama der Antike ist der Chor bei Braunfels nicht anonym kommentierend am Rande, sondern intensiv eingebunden ins Geschehen der Handlung: Rhythmisch vertrackt, vielstimmig und vielgestaltig, ein Stimmengewirr, das Solistisches mit Chorischem vermengt und einen Komponisten zeigt, der für Chor zu schreiben versteht (das Chor-Oeuvre des Komponisten gilt es noch zu heben).
In seiner Klangsprache ist die Musik von Braunfels natürlich Kind ihrer Zeit. Man hört viele alte Bekannte, von Wagner (Leitmotive und dichte Instrumentierung mit hoher Eigenständigkeit des Orchesterapparates) und Reger (stark durchchromatisierte Harmonik) über die Impressionisten wie Debussy (Beginn 2. Akt) bis zur Berührung der Atonalität etwa eines frühen Schönberg oder der Groteske eines Kurt Weill. Herausragend in den reinen Orchesterpassagen sind die poetischen Momente, wo vermeintliche und tatsächliche Vogelstimmen den Orchestersatz beleben und durchdringen. Ähnlich dem Catalogue des oiseaux von Olivier Messiaen spielen die Vogelstimmen als ein emotionaler Fluchtpunkt eine herausragende Rolle in dem Werk, vom leitmotivischen Beginn bis zum verebbenden Finale.
Überhaupt die Instrumentierung: Am Rande stehende Instrumente wie Kontrafagott, Posaune, Harfen, Kontrabässe, Kastagnetten, kleine Trommel erhalten zur Nachzeichnung der Handlung enorm Gewicht. Dazu mannigfaltige Soli, ein monströses Fanfarengetön und dann wieder zarteste, flimmernde Farbflächen, ein wilder Zerstörungssturm mit Windmaschine und episch schöne Horn-Soli. Und natürlich ein tirilierendes Spiel der Holzbläser, allen voran der Flöten (für die Nachtigall). Eine höchst dankbare Partitur!
Daneben sind aber auch schlichte, nahezu volksmusikantische Passagen zu vernehmen, die an die Jugendsingbewegung der 20er Jahre gemahnen. Braunfels war auch Musikpädagoge. Die Mannigfaltigkeit seines kompositorischen Handwerkszeugs spiegeln die zu beschreibenden Personen, Umstände und Handlungen gekonnt wider.

Voten von gestern und vorgestern
Die Reaktionen nach der Münchner UA 1920 sind denn auch überwältigend: Bruno Walter, der Dirigent der UA, sowie Alfred Einstein, der damalig prominenteste Musikkritiker, waren des Lobes voll über Werk und Schöpfer:
„Wer Karl Erbs Gesang von der Sehnsucht des Menschen (i.e. Hoffegut) und die tröstende Stimme der Nachtigall aus der Baumkrone über ihm von der Ivogün gehört hat, wen die grotesken Szenen des Werkes erheitert und die romantischen gerührt haben, wird dieser poesie- und geistvollen Umwandlung der Komödie des Aristophanes zur Oper und ihrer Münchener Aufführung dankbar gedenken.“ (Walter)
(Maria Ivogün war die Nachtigall der Uraufführung, Karl Erb der Hoffegut 1920. Beides herausragende Sängerpersönlichkeiten der 20er Jahre).
„Ich glaube nicht, dass über die deutsche Opernbühne je ein so absolutes Künstlerwerk gegangen ist wie dieses ‚lyrisch-phantastische Spiel nach Aristophanes‘. Man erkennt sehr deutlich die Linie in der Opernbewegung, in die es gehört. Es ist eines der Dokumente des Antinaturalismus in der Oper, der die Komponisten im letzten Jahrzehnt im wachsenden Maße ergriffen hat. Man kann und muss es als Künstlerwerk mit den Meistersingern und dem Palestrina Pfitzners vergleichen.“ (Einstein)
Nach fast einem halben Jahrhundert gelang Lothar Zagrosek mit der Einspielung bei DECCA im Rahmen der CD-Reihe „Entarte Kunst“ der Durchbruch, der sich in den folgenden Jahren in konzertanten und szenischen Aufführungen etablierte. Die CD-Einspielung von 1996 als WPR mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und dem Rundfunkchor Berlin ist bis heute eine Referenzaufnahme, die durch höchste künstlerische Güte und packende Gestaltung einnimmt. Das dazugehörige Booklet ist eine Fundgrube für Wissenshungrige.
Bei operabase kann man die noch äußerst schmale Phase der Renaissance von Braunsfels´ Die Vögel einsehen. Da ist noch allerhand Luft nach oben: Nach zögerlichem Beginn (1971 Karlsruhe und Bremen) blieb es lange ruhig, bis durch die Initialzündung der o.g. DECCA-Einspielung und einer konzertanten Aufführung in Berlin ab 1998 insgesamt 16 Inszenierungen folgten, von denen indes nur acht von deutschen Bühnen stammen (1998 Köln, 2014 Osnabrück). Die übrigen szenischen Realisierungen stammen aus Österreich (Wien, Erl/Tirol), Italien (Spoleto, Cagliari/Sardinien), Genf, Los Angeles, Straßburg, Victoria/Kanada und Moskau (2024!).
Für 2020 waren anlässlich des 100. Geburtstags der Uraufführung neben München (klar!) auch Köln (klar!) geplant. Die Corona-Pandemie verschob die Unternehmungen nur leicht und verzögerte damit vielleicht auch einen etwas deutlicheren Inszenierungsschwung in die aktuelle Dekade. Jedenfalls sind Oldenburg aktuell und ab März auch Braunschweig nun die Speerspitze der Rehabilitierung dieser Oper, worauf beide Häuser mit Recht stolz sein dürfen.
Fazit
Die Hörer und Zuschauer 1920 hatten gerade einen vierjährigen, verlustreichen und grausamen Krieg hinter sich, als ihnen der junge Braunfels ein hoffnungsvoll-kritisches, poetisches Meisterwerk offerierte, das sie ein Stückweit in lichte Höhen und in weite Sphären entrückte, dabei den mahnenden Fingerzeig nicht missen ließ.
Auch und gerade heute mögen diese damalige Wirkungsweise und eine gewisse Sehnsucht nach einer Welt, in der Wunden geheilt werden können durch die Erfüllung von Träumen, und die Sehnsucht nach innerem und äußerem Frieden wieder wirksam werden.
Braunfels selbst zum Schluss:
„Ich verlange von meinen Hörern nur eins, sich völlig dem luftigen Phantasiespiel hinzugeben und sich bewusst zu bleiben, dass alles hier ein Spiel, ein Gleichnis ist.“