Aachen, Theater Aachen, Premiere Die Fledermaus von Johann Strauss, IOCO Kritik, 25.09.2011
Die Mutter aller Operetten: Es lebe der Seitensprung!
Fast alle Menschen wollen ihrem Partner treu sein, auf immer! Oft aber nur in frühen, romantischen Jahren. Mit den Jahren erliegen viele Menschen reizvollen Versuchungen, ändern lakonisch ihre Haltung oder treiben meinungslos verquer durch das Labyrinth von Beziehungsgeflechten. Die Fledermaus von Johann Strauss, obwohl musikalisches Lustspiel, treibt die Flachheit vieler Treuegelübde als faulen Zauber vor sich her: Die Wahrheit liegt im Seitensprung, so die unverblümte Botschaft der je nach Standort Seitensprung-affinen oder desillusionierenden Inszenierung von Ewa Teilmans.
Die Fledermaus von Johann Strauss wurde 1874 im Theater an der Wien uraufgeführt. Sie gilt als Höhepunkt der Goldenen Operettenära und gehört wohl zu den meistgespielten Musiktheaterstücken überhaupt. Fast nirgends ein Sylvesterabend ohne die Fledermaus. Die Librettisten der Fledermaus, Meilhac und Halévy, hatten zuvor ausgiebig für Jacques Offenbach geschrieben. Ein wichtiger Grund seinerzeit für den Direktor des Theater an der Wien, Maximilian Steiner, das Stück zu kaufen.
Ewa Teilmans` Inszenierung beginnt bereits zur Ouvertüre: In dunkle Bühnen-Nacht getaucht blitzen, fast drohend, Traumbilder. Das traumatische Erlebnis des Dr. Falke im Fledermauskostüm wie orgiastische Lebenslust wird in der Ouvertüre zum Kontrapunkt der folgenden Handlung. Die folgenden Bühnenbilder (Oliver Brendel) sind zeitneutral irgendwo im gepflegtem Jugendstil angesiedelt; die Partien, die Handlung folgt recht werktreu den Vorgaben des Komponisten. Das Besondere dieser Inszenierung liegt im Spielwitz, der fast notorischen Seitensprungbereitschaft aller Protagonisten, immer und zu jeder Zeit. Schon die erste Szene zeigt Gabriel von Eisenstein (Rüdiger Nikodem Lasa), Rosalinde (Katharina Hagopian), Adele (Jelena Rakic) und Alfred (Louis Kim) in einem engen Geflecht von Spaß und Erotik, indem Alfred nicht nur mit seiner ex-Geliebten Rosalinde anbandelt ("will Dich nicht kompromittieren, ich will Dich konsumieren").
Auch mit Adele, kaum in Reichweite, frönt er plastisch Lustgewinn. Rosalinde verwehrt sich in der Folge ihrem "Ex" Alfred nicht, im Gegenteil, sie erotisiert nach Kräften mit. Der Maskenball des Prinzen Orlofsky (Astrid Pyttlik) durch Champagner und schöne Kostüme gestützt, geriet lebensnah real. Auffällig spielten die Ballettratten des Theater Aachen. Die Polka "Unter Donner und Blitz" war schmissig choreographiert, und mit Ringelsocken und fetzig modernen Tutu-Röcken hinreißend getanzt.
Musikalisch ist diese Fledermaus wunderbar gelungen: Das sinfonieorchester Aachen unter der Leitung von Péter Halász packt die Operette mit Dynamik und Leidenschaft. Zudem wurde sängerfreundlich dirigiert, mit prägnanten Einsätzen. Tenor Louis Kim als Alfred strahlte nach verhaltenem Beginn über die ganze Spieldauer mit gleichbleibend kräftiger, klangschöner Stimme. Höhepunkt ist der Premiere war Jelena Rakic. Rakic beseelte als jugendlich raffinierte Adele darstellerisch den Abend.
Die sehr wohl anspruchsvolle Partie füllt sie stimmlich nuancierend wunderbar aus. Aber auch der Schmelz verströmende Rüdiger Nikodem Lasa (Eisenstein) und seine Frau Rosalinde alias Katharina Hagopian war hervorragende Besetzungen. Der verstiegen agierende Prinz Orlofsky, von Astrid Pyttlik authentisch gespielt, hatte sonore Fülle, ihr Mezzosopran klang gut. Gepflegt und stimmlich präsent Hrolfur Saemundsson als Doktor Falke.
Den stotternden Dr. Blind brachte Patricio Arroyo gekonnt, wie Pawel Lawreszuk als Gefängnisdirektor Frank mimisch und stimmlich sicher war. Ein Höhepunkt des Abends aber wurde auch die Partie des Gefängniswärter Frosch: Mit dem für die Fledermaus so wichtigem Wiener Idiom persiflierte Reiner Krause den nach Nürnberg abgereisten Generalmusikdirektor Markus Bosch und das sinfonieorchester Aachen und verschaffte dieser Premiere einen starken, kurzweilig burlesken Abschluss.
Das Aachener Publikum beruhigte sich erst nach vielen Vorhängen, Bravos von dieser gelungenen Inszenierung. Auch die Regie wurde mit Beifall überschüttet, etwas viel für unser Empfinden. Doch das Publikum ist wahrer Herrscher. Und so wird diese Fledermaus das Theater Aachen noch eine Weile füllen. IOCO / Viktor Jarosch / 27.09.2011
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