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MV, Gut Ulrichshusen, DANIEL HOPE – Festspiele Mecklenburg Vorpommern, IOCO Aktuell, 17.09.2023

Ekkehard Ochs
17. September 2023
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Schloss Ulrichshusen in Mecklenburg Vorpommern @ Geert Maciejewski
Schloss Ulrichshusen in Mecklenburg Vorpommern @ Geert Maciejewski

DANIEL HOPE – Festspiele Mecklenburg Vorpommern ehren Hope

– Ein Meistergeiger wird 50 – und niemand merkt es ihm an! –

von Ekkehard Ochs

Er macht nicht nur Musik – und das ganz wundervoll und beeindruckend –  er lebt sie, erscheint gar als Inkarnation ihres innersten Wesens! Übertrieben? Wer den Meistergeiger Daniel Hope, der im August 2023 seinen 50. Geburtstag feierte, live erlebt hat, kann kaum zu einem anderen Urteil kommen. Der Schreiber dieser Zeilen weiß, wovon er spricht. Er erinnert sich zum Beispiel noch sehr genau an die erste musikalische Begegnung mit ihm, einem Konzert von 1998, in dem Hope mit dem London International Piano Quintet den Ensemblepreis der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern errang. Seitdem ist der längst Kultstatus genießende Meister im nordöstlichsten Bundesland richtig „zu Hause“; sagen wir gerechterweise: auch „zu Hause“. Denn teilen muß ihn sich jeder mit anderen, unabhängig vom Winkel der großen Welt, in der er sich befindet.

Festspiele Mecklenburg Vorpommern / DANIEL HOPE - Konzert und Ehrung @ Geert Maciejewski
Festspiele Mecklenburg Vorpommern / DANIEL HOPE – Konzert und Ehrung @ Geert Maciejewski

Aber für Mecklenburg-Vorpommern gilt seine nahezu ständige Präsenz, und das seit nunmehr 25 Jahren. Dies als vielbeschäftiger Musiker, leidenschaftlicher Pädagoge und Moderator, wichtiger Ideengeber, Organisator, Künstlerischer Leiter großer Projekte und artist in residence. Mithin Tätigkeiten, die für Mecklenburg-Vorpommern als offensichtlich wichtiger Teil seiner ansonsten bemerkenswert umfangreichen und damit hier bewusst gar nicht erst berührten internationalen Verpflichtungen musikkulturell und natürlich auch rein künstlerisch ins Gewicht fallen! Der Autor hatte zahlreiche Möglichkeiten, Daniel Hope im Konzertsaal zu erleben. Auch wenn das bei jährlich weit über einhundert Konzerten auf viele andere grandiose Geiger und Geigerinnen zutrifft, so sei hier angesichts des 50. Geburtstages Daniel Hopes der kurze und ganz persönliche Eindruck gestattet. Diesen Mann zu hören, ist ein Erlebnis, ihn beim Spielen zu sehen aber auch. Eigentlich geht das eine nicht ohne das andere. Hopes Körpersprache ist bereits umgesetzte Musik. Sie garantiert eine Musizierweise, die von geradezu suggestiver Zwangsläufigkeit lebt und sowohl den Einzelton wie die große melodische Phrase zum Erlebnis werden lässt. Von Technik ist da erst gar nicht zu reden, vom Umgang mit dem Bogen, der Tongebung, der Artikulation, der „musikalischen Rede“ aber schon.

Und so erscheint der Meister vor allem auch als großer Kommunikator, egal ob er Bartok-Duette musiziert, Alfred Schnittke oder Schostakowitsch spielt, sich „Modernes“ auf den Leib „schneidern“ lässt oder – besonders gern und besonders kommunikativ – Tabus bricht und Genregrenzen bis hin zum Populären überschreitet. Der Facettenreichtum seines Spiels, seiner Ausdrucksmöglichkeiten ist wahrlich von beeindruckender Vielfalt und zudem von emotionaler Eindringlichkeit; Nebensächliches, Unwichtiges kennt er nicht. Was er spielt, spielt er immer so, als sei es das Beste, was er je unter den Fingern hatte; das vielgescholtene Unterhaltsame sowie zahlreiche stilistische Grenzüberschreitungen ausdrücklich eingeschlossen. Und das seit nunmehr 25 Jahren!

Ehrungen zum „Fünfzigsten“ gab es natürlich zuhauf. In Mecklenburg-Vorpommern kulminierten sie an einem verspäteten, aber hochwillkommen sommerlichen Sonntag (10. September 2023) auf Schloss und Gut Ulrichshusen, dem „Herzen“ der Festspiele MV. Es gab drei Veranstaltungen. Zunächst ein „Gesprächskonzert“, das kurzweilige und natürlich hochkarätig präsentierte Musikstücke mit zahlreichen repräsentativen Glückwunsch-Videos früherer Intendanten und prominenter Freunde sowie diversen Gesprächsrunden zwischen der gegenwärtigen Intendantin der Festspiele MV, Ursula Haselböck, und dem Jubilar vereinte.

Das war biographisch informativ, aufschlussreich hinsichtlich Hopes Kunstauffassung und erfreulich locker: Hope wurde an keiner Stelle zum Denkmal. Er blieb der sympathische, weil seine gesamte grandiose Kunst als „Dienst“ an der Musik und für den Hörer verstehende „A===========rbeiter“ auf dem großen, von ihm selbst leidenschaftlich und einfallsreich beackerten Felde der Musikvermittlung. Musik gab es auch, ohne und mit ihm: Bartok Duos für 2 Violinen in Auswahl, Enrique Granados mit Celloklängen, Eugene Ysayes 3. Solosonate für Violine, zwei irische (!) Traditionals und Mendelssohns d-Moll-Klaviertrio op. 49 (1. Satz). Kein Wunder: mitgebracht hatte er schon hervorragend musizierende junge Instrumentalisten: Tassilo Probst (Violine), Philipp Schupelius (Violoncello) und Marie Sophie Hauzel (Klavier).

Festspiele Mecklenburg Vorpommern / DANIEL HOPE - Konzert und Ehrung @ Geert Maciejewski
Festspiele Mecklenburg Vorpommern / DANIEL HOPE – Konzert und Ehrung @ Geert Maciejewski

Zu dieser Veranstaltung – vor voller Hütte in Ulrichshusens großer Remise! – passte bestens ein Hope-Film (Hope on the Road, ARTE), siehe link HIER!, in dem er in Irland auf den Spuren irischer Musik und denen seiner Vorfahren väterlicherseits wandelte; unaufdringlich privat, voller interessanter Begegnungen mit dem ursprünglich irisch Musikalischen (und somit sinnvolle Ergänzung zu einer  früher gezeigten umfangreicheren Hope-Biographie (Daniel Hope – Der Klang des Lebens).

Der eigentliche Höhepunkt des festlichen Tages aber war das abendliche Konzert in der großen Festspielscheune: mit Hope und „seinem“ Zürcher Kammerorchester, dem er – als einem künstlerischen Projekt von vielen – als Music Director vorsteht. Das Programm: eine Visitenkarte von Könnern für Kenner! Der Gegenstand adäquat: nämlich Mozart! Und das gleich zweimal;  mit der Sinfonia concertante Es-Dur für Violine, Viola und Orchester KV 364 (320d) sowie der C-Dur-Sinfonie KV 551 („Jupiter“). Das konnte einfach nur gut  gehn! Die Gäste erwiesen sich als ungemein kompetent gerade in bezug auf einen Mozart der besonders feinen Art. Wollte heißen: hier verbanden sich stupende spieltechnische Fertigkeiten und eine mitreißende Musizierlaune zu denkbar schönster Einheit.

Geradezu fröhlich, aber auch innig das Dialogisieren in der Concertante, die Verbindung von subtiler Klanglichkeit, Sensibilität und Elastizität im Spiel. Auch fehlte es nicht an Spritzigkeit, übermütiger Forsche, dynamischer Variabilität und prägnanter Artikulation; und an begeisternder Verve schon gar nicht! Dazu kamen mit Daniel Hope und Ryszard Groblewski (Viola) zwei Solisten der Sonderklasse. Da fehlte also nichts an wahrem Vergnügen – und damit ist nicht nur das rein akustische gemeint! Das galt in gleicher Weise für die Sinfonie, für deren zusätzliche Kontrastschärfe und kunstvolle zu beiden Werken motivisch-thematische Verdichtung das Ensemble ebenfalls den rechten Ausdruck fand: gelegentlich schon mit fast Beethovenschem Zugriff. Man war stets darauf bedacht, alle Gestaltungsmöglichkeiten in den Dienst einer Aussage zu stellen, die vom Adressaten schon mehr als nur „normale“ Hörbereitschaft fordert. In der Konzertscheune war die Begeisterung riesig!

Den Kontrast gab es aber auch. Und der verfing ebenso! Die Rede ist von einem Violinkonzert, dass der Komponist David Bruce (geb. 1970) als Auftragskomposition des Zürcher Kammerorchesters zum 50. Geburtstag Hopes geschrieben hat. Es nennt sich „Lully Loops“ und ist so bemerkenswert originell wie gelungen. Das Werk hat vier Sätze und bezieht sich mit entsprechend vier Satztiteln auf den Umgang des Komponisten mit dem musikalischen Erbe; hier konkret auf Jean Baptiste Lully.

Festspiele Mecklenburg Vorpommern / DANIEL HOPE - Konzert und Ehrung @ Geert Maciejewski
Festspiele Mecklenburg Vorpommern / DANIEL HOPE – Konzert und Ehrung @ Geert Maciejewski

Bruce nutzt Motive und Themenfragmente aus drei Werken des großen Franzosen und dem seines Schwiegervaters Michal Lambert, um mit ihnen – wie er sagt – „zu spielen“ und Eigenes daraus zu entwickeln. Und das auf vier verschiedenene Weisen. Voraussetzung: das Material musste ihn berühren und damit zu weitgehenden Verarbeitungsmöglichkeiten animieren: „leicht makaber“ im 1. Satz ( „Soul Shards“), völlig verändert und geworfen „in eine Waschmaschine aus Rhythmus“ („Earworms“), sehr verzerrt, weil rückwärts gelesen und in Verbindung mit der Internetbewegung Vaporwave gebracht („Vaporwave Loops“) oder schließlich – als „humorvolles und aufmunterndes Ende gestaltet“ und in „tausend Fragmente zerlegt und wieder zusammengesetzt“ („The Cure for Melancholy“). Mehr noch: Bruce lässt (per Tonband) vor jedem Satz Texte verlesen, die die jeweilige Absicht erläutern und begründen. Und da wird dann deutlich, dass es ihm nicht um bloße “Spielerei“ mit Material geht. Er stellt (sich) Fragen, die mit dem Wesen der Musik und (mittelbar) speziell dem Lullys zu tun haben, mit der Wirkung von Musik, ihrer Fähigkeit, etwas über ihren jeweiligen Schöpfer zu erfahren. Nicht zuletzt geht es um die Wirkung von Musik und den Wunsch des Komponisten, auch die seine möge – wie die Lullys, wenn auch auf andere Weise –  Harmonie verbreiten und Freude schenken.

Mit Blick auf die Reaktionen des Publikums in Ulrichshusens Konzertscheune schien das vollauf gelungen. Stürmischer Beifall für eine Musik, die ohne den „Schrecken“ umstürzlerischer Modernität auskommt. Bruce bleibt bei wichtigen Grundlagen barocker Musizierpraxis, natürlich variabel „verfremdet“, fantasievoll umgewandelt, angereichert mit neuen Verfahren etwa der Minimal-Music und sehr deutlich von prägnanten (traditionell barocken) metrisch-rhythmischen Modellen lebend. Er musiziert solistisch, kammermusikalisch, orchestral, etabliert klangattraktive, in ihrer Motorik spannende Klangflächen, kennt zwischen zarten Pizzicato-Dauerstrukturen, delikaten Streicherklängen und schon mal schmissiger Musizierlaune abwechslungsreiche Ausdrucksphasen. Sein größter Vorzug ist tatsächlich ein vorherrschend musikantischer Grundzug, Er gefällt, ohne sich klanglich anzubiedern, ist modern und doch irgendwie vertraut, er aktiviert, mobilisiert, macht dem aufmerksamen Ohr das Verfolgen immer wieder anregend neuartig scheinender musikalischer Abläufe zur attraktiven Aufgabe. Dazu passt, dass der Solopart in das orchestrale Geschehen eher eingebunden, denn als im Wortsinne herausragender Teil des Ganzen erscheint. Das käme – wollen wir mal spekulieren – dem Wesen des Widmungsträgers Daniel Hope auch besonders entgegen: Teil eines größeren Ganzen zu sein. Und dieses größere Ganze hat an diesem besonderen Abend viel Freude gemacht.

Dem so klangsensibel wie inspirierend musikantisch agierenden Zürcher Kammerorchester sichtlich – und hörbar! – auch. Harmonie und Zufriedenheit auf allen Seiten. Was will man mehr!


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