
MS DOCKVILLE – Kult-Festival in Hamburg
Hafenatmosphäre mit ganz spezieller Kunst, Kultur und …….
von Falk Rasokat
Das MS DOCKVILLE war ein dreitägiges Festival für Musik und Kunst in Hamburg-Wilhelmsburg. Mehr als 60.000 Besucher*innen und knapp 10.000 Camper*innen konnten vom 18. – 20. August 2023 ein einzigartiges Gelände entdecken, mit 12 Bühnen, unzähligen Kunstwerken und Hafenatmosphäre inmitten von Elbkulisse und Industrie-Flair. Ein vielfältiges Lineup, auf kein spezielles Genre festgelegt, aber mit Schwerpunkten in Indie, Hip-Hop, New Wave und elektronischer Musik. Ich war am 18.08. auf dem MS Dockville. Es ging mir darum herauszufinden, was solch ein „Kulturfestival“, mit etwa 60.000 Besuchern in einer Stadt wie dem schönen Hamburg bedeutet und bietet. Und es waren ganz besondere,spezielle Erfahrungen.
Die Anreise und der erste Blick
Das MS Dockville Festival begann am 18.8. gegen 14 Uhr. Die Anreise mit der S-Bahn war problemlos, wobei eine (genauere) Wegbeschreibung seitens der Veranstalter durchaus wünschenswert gewesen wäre, da auch heute einige Menschen vielleicht nicht stetig mobiles Internet genießen können. Glücklicherweise konnte man allerdings einfach dem Strom der Festivalbesucher, erkennbar an poppiger Kleidung, Glitzer-Make-Up und alternativer Kleidung folgen, wodurch man sehr schnell und effizient den Weg von der S-Bahnstation zum Festivalgelände fand.
Zunächst muss jeder Besucher sein Bändchen abholen. Die Farbe und Aufmachung des (Arm-)Bändchens definiert für die Ordner und Mitarbeiter, wer wo und wann auf dem Festival Zutritt hat, wodurch man eben nicht jedes Mal seine Karte vorzeigen musste. Das Gelände bestand grob aus zwei Abschnitten, nämlich dem Campingbereich für Wochenendgäste und den Hauptbereich des Festivals, Infield genannt. Auf dem Infield befanden sich die Hauptbühnen mit den schönen Namen Grossschot und Vorschot. Grund für diese Namen scheint die Segelähnliche Form des Geländes zu sein. Als kurze Erkläuterung, dem Segelfachfremden: Das Wort Schot bezeichnet im Endeffekt die Leine zum bedienen eines Segels. Der Vorschoter ist der Vordermann auf einem Segelboot. Dieser setzt das Vorsegel und den Spinnaker, welches er auch bedient. Die Großschot sind die Leinen zum bedienen des Hauptsegels. Dementsprechend war die Grosschot Bühne auch die größere der beiden. Neben den Hauptbühnen gab es auch ein paar kleinere, wobei auf diesen eher neuere und kleinere Künstler spielten. Im Vergleich zu größeren Festivals mag das Gelände eher klein erscheinen, dennoch waren alleine schon nach dem erkunden des gesamten Geländes, die Zahlen der Schrittzähler um abertausende höher.

Wie bei den meisten Festivals gab es mehrere Gelegenheiten sich ein kühles Getränk zu kaufen, oder die eine oder andere Speise an einem der zahlreichen Food-Trucks zu erwerben. Hierbei musste allerdings der Fleischesser Kompromisse machen, da es (fast) keinerlei Fleischspeisen gab. Das meiste war nämlich vegetarisch oder gar vegan, was aber für einen trotzdem experimentierfreudigem Esser kein Problem darstellen sollte. Im Ganzen hatte das Festival, wie seine Besucher im Allgemeinen einen sehr alternativen Flair an sich. Dies zu erkennen an politischen Symbolen, Stickern und auch Ständen. Weiter definiert der Veranstalter in seinem „Code of Conduct“ bereits einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Umwelt und einen wertschätzenden Umgang zwischen allen Beteiligten, was durchaus schätzenswert für eine solch große Veranstaltung ist.
Hinzu kommt ein sogenanntes „Awareness-Konzept“. Dieses zielt darauf ab, Diskrimierung vorzubeugen oder direkt zu sanktionieren. Hierbei handelt es sich um eine Null-Toleranz Regelung bezüglich Übergriffigkeit, Sexismus, Rassismus und anderen Formen von Gewalt. Weiter wird in dem Konzept zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Drogen aufgerufen. Diese Anmerkung ist sicherlich relevant, da doch so einige Besucher Drogen nicht ganz abgeneigt schienen, was man an dem sporadischen Joint oder großen Pupillen erkennen konnte. Der Veranstalter ist sich allerdings diesem Umstand absolut bewusst, was man auch nicht zuletzt an einigen Künstlern bemerkt, wie zum Beispiel der Künstlerin 070 Shake mit Texten wie „What happened under the moon, It stays under the moon. [..] I wanna get high, high. I wanna get high…“. Allerdings fielen keine Menschen wirklich unangenehm auf.
Die Musik

Jeder kluge Festivalbesucher stellt sich stets eine sogenannte Running-Order im Vorhinein zusammen. Diese gibt Aufschluss, wann man wo sein möchte. Glücklicherweise gab es für das MS Dockville sogar eine App dafür. Hier konnte man nicht nur Informationen zu den Künstlern und Veranstaltungen finden, sondern auch einen Geländeplan, wie eben auch einen Ablaufplan.
Musikalisch ist das MS Dockville eher im Bereich Pop, Hip-Hop, New Wave, Indie und Techno einzuordnen. Wobei hier allerdings offensichtlich versucht wird, Künstler zu finden, die sich von ihrem Kerngenre abheben. Als ein gutes Beispiel könnte man hier die Gruppe L’Impératrice aus Frankreich anbringen, welche eine erfrischende Mischung aus Elektropop, Soul und Disko spielen, wobei ihre Ästhetik eher wie 80er Popmusik anmutet. Ein anderes gutes Beispiel ist die Gruppe Giant Rooks, welche seit ihrer Gründung im Jahre 2014 durch ihre zackige, rockige Art innerhalb weniger Jahre zu einer größeren Bekanntheit in ihrer Nische wurden.
Wer allerdings eher klassisches sucht ist beim MS Dockville (zumindest Musikalisch) fehl am Platze. Auch Rock findet sich eher in sanfter Form. Wer trotz dessen mal über seinen eigenen musikalischen Tellerrand hinausschauen möchte, vielleicht ein paar neue Gruppen sucht, der sollte es definitiv versuchen.
Interaktive Darstellung – Das Radioballett
Nachdem das gesamte Gelände von mir erkundet war, stand für mich das Kubentheater auf dem Plan. Hierbei handelt es sich im Endeffekt nur um einen kleinen Anhänger, dessen Ladeklappe als Minibühne diente. Wobei ich mir das Radioballett dort nur anschauen wolle, wurde ich sofort von einer netten jungen Dame gefragt, ob ich nicht teilnehmen würde, was ich dann natürlich auch tat. Beim Radioballett handelt es sich um eine Art interaktive Darstellung, an welcher der Zuschauer aktiv teilnimmt, somit teil einer Aufführung wird. Hier bekam man Kopfhörer auf, welche Anweisungen gaben. In diesem Fall sollte meine Gruppe (es gab zwei) einen Fisch darstellen, welcher sich durch Gewässer bewegt. Sofort fand man sich in einer kleinen Schauspielgruppe. Man schwamm umher, mal schnell, mal langsam. Mal tänzelte man durch die Fluten oder fand sich in Gruppen an „Wassermolekülen“. Hinzu kamen Abschnitte mit schmissiger Musik. Von außen sah die ganze Darstellung bestimmt lustig aus, da man ja selbst nur Anweisungen und Musik über die Kopfhörer bekam, aber es sonst still war. Wobei die eine Gruppe aus Meeresbewohnern bestand, wurde die andere Gruppe zu Fabrikarbeitern. Rauchend, die Umwelt verpestend. Das Wasser wurde dreckig, es wurde schwer zu Atmen. Schließlich verfluchte man die Fabrik. Versuchte sie zum Stillstand zu bringen, was auch teils gelang. Teils schlossen sich die Fabrikarbeiter den Fischen in ihrem Kampf an, teils arbeiten sie allerdings auch weiter aus Angst vor ihren Vorgesetzten. Die offensichtlich politische Nachricht des Ganzen sollte klar sein. Die ganze Darstellung hat in etwa eine Dreiviertelstunde gedauert und war sehr unterhaltsam und ist auf jeden Fall empfehlenswert, wenn man einmal Teil eines sogenannten Smart Mobs werden möchte.
Ellie Dixon – Sängerin mit Profil
Trailer – Ellie Dixon – Bounce
youtube Ellie Dixon
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Eine kurze Pause und ein gekühltes Getränk später fand ich mich bei einer mir bis Dato völlig unbekannten Künstlerin mit dem Namen Ellie Dixon. Die Dame ist aus Großbritannien und spielt eine Art Indie-Pop. Teils mit Gitarre, teils mit Looper, teils mit selbst und live abgemischten Beats. Mit ihrer flippigen Art und natürlich wundervollem britischen Englisch riss sie sofort in den Bann. Eine junge 24-jährige Dame, alleine auf der Bühne. Ihre Lieder handeln von Bedürfnissen, Lebensfreude (natürlich auch dem Gegenteil) und vielleicht auch einfach mal von Keksen. Wenn man die Gelegenheit hat, sollte man sich Ellie Dixon auf jeden Fall einmal zu Gemüte führen.
Giant Rooks – Bekannt unbekannt
Einer der größeren Headliner dieses Abends war die Gruppe Giant Rooks aus Deutschland, genauer gesagt aus Hamm. Sie haben sich im Jahre 2014 gegründet und legen seitdem eine steile Karriere hin, was sich nicht zuletzt durch den im Jahre 2019 an sie verliehenen Preis für Popkultur des Vereins zur Förderung der Popkultur zeigt. Das Genre der Band ließe sich als Indie-Rock bezeichnen, hebt sich aber aus verschiedensten Rockgenres ab und schafft somit einen einzigartigen Stil für die Gruppe. Der letzte große Erfolg der Gruppe war das Lied „Tom’s Diner“, welches eigentlich nur eine kleine Probeaufnahme mit der deutschen Pop-Rockband AnnenMayKantereit war, doch schließlich durch die Verbreitung auf sozialen Medien eine überraschende Popularität erreichte, schließlich sogar eine goldene Schallplatte.
Jedem wird schon einmal hier und dort ein Lied der Giant Rooks untergekommen sein. Sei es Tom’s Diner oder Morning Blue. Wer also einmal einen völlig eigenen, poppig-rockigen Stil kennenlernen möchte, der ist angehalten sich das ein oder andere Lied der Gruppe einmal anzuhören:
Trailer – Giant Rooks – Morning Blue
youtubeGiant Rooks
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Das MS Dockville war für mich eines der Highlights des Jahres, da es anders als andere Festivals welche ich kenne, einen komplett anderen Anspruch hat. Wobei bei den „klassischen Festival“ einzig die Musik und das Gemeinschaftsgefühl im Vordergrund steht, findet man beim Dockville eine Art „große Kunstausstellung“. Hier ist alles eine Darstellung. Von den Künstlern und Musikgruppen, über die einzelnen Programmpunkte wie das Radioballett oder auch Poetryslams und politische Vorträge.
Der Vorteil dieses Festivals ist, dass es direkt im schönen Hamburg stattfindet. So ist es nicht unbedingt nötig dort sein Zelt aufzuschlagen, was den einen oder anderen vielleicht vom Festivalbesuch abhalten könnte. Hinzu kommt, dass man sich auch bezahlbare Tickets für die einzelnen Tage kaufen kann, wodurch man sich dann nicht ein ganzes Wochenende einplanen muss.
Das ganze Festival ist also auf jeden Fall einen Besuch wert, sei es zum reinschnuppern oder zum aktiven Miterleben. Da das Festival allerdings eher einen alternativen Anstrich hat, seien es politische Nachrichten und anderes, ist es empfehlenswert mit offenen Gemüt für Neues an dies Projekt heranzugehen. Auch ist es für Kinder, aus speziellen Gründen nicht wirklich zu empfehlen.
Wer nun sich nicht abschrecken lassen will, der sollte es wagen, sei es nur für einen Tag, sich die Atmosphäre, die Menschen und die Musik zu Gemüte zu führen. Ich werde auf jeden Fall 2024 wieder dabei sein und wieder berichten!