Strasbourg, Opéra national du Rhin, DAS MÄRCHEN VOM ZAREN SALTAN - Rimski-Korsakow, 11.05.2023

Strasbourg, Opéra national du Rhin, DAS MÄRCHEN VOM ZAREN SALTAN - Rimski-Korsakow, 11.05.2023
L´Opéra national du Rhin - Strasbourg ©: Wikimedia Commons / Robert Cutts
L´Opéra national du Rhin - Strasbourg ©: Wikimedia Commons / Robert Cutts

L´Opéra national du Rhin

DAS MÄRCHEN VOM ZAREN SALTAN (1900) - Nikolai Rimski-Korsakow

- Oper in vier Akten mit einem Prolog, Libretto von Wladimir Belsky, nach einem Märchen von Alexander Puschkin -

von Peter Michael Peters

  • Ein Eichbaum ragt am Meeresstrande.
  • An goldener Kette festgemacht,
  • Kreist rund um seinen Stamm im Sande
  • Ein weiser Kater Tag und Nacht.
  • Geht’s rechts, hört man ein Lied ihn surren,
  • Geht’s linksherum – ein Märchen schnurren. (Auszug aus dem Prolog)

Das Märchen vom Zaren Saltan, von seinem Sohn, dem berühmten und mächtigen Recken Fürst Gwidon Saltanowitsch und von der wunderschönen Schwanen-Prinzessin…

Von den fünf Musikern des „Mächtigen Häufleins“ – Mili Balakirew (1836-1910), Alexander Borodin (1833-1887), César Cui (1835-1918), Modest Mussorgski (1839-1881) – ist Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908) zweifellos eine der bedeutendsten Komponisten-Persönlichkeiten gewesen. Ursprünglich der Familientradition folgend Marineoffizier, fand der Benjamin der Gruppe früh zu dem Kreis der Innovatoren, dem er eine Zeitlang sehr eng verbunden blieb, löste sich später aber am entschiedensten von allem zirkelhaft Sektiererischen und gewollt Amateurhaften, das dieser Verbindung leider auch anhaftete und vermochte den Status des begabten oder genialen Dilettanten am konsequentesten abstreifen. Im Jahre 1871 wurde er mit der Ernennung zum Professor für Komposition am Konservatorium in Moskau endlich anerkannter Berufsmusiker, später gemeinsam mit seinem früheren Lehrer Balakirew auch Leiter der Hofsängerkapelle. Dazu bekleidete der Komponist noch eine Vielzahl musikalischer Ämter und Ehrenämter. Rimski-Korsakow ist ein beliebter und gesuchter Lehrer gewesen, zu dessen Schülern Anatoli Ljadow (1855-1914), Alexander Glasunow (1865-1936) und Igor Strawinski (1882-1971) gehörten. Bekannt wurde im Revolutionsjahr 1905 das mutige Eintreten des Sechzigjährigen für eine Protestresolution Moskauer Künstler und für die Streikforderungen seiner Studenten, das zu seiner sofortigen, unter dem Druck der Öffentlichkeit allerdings bald zurückgenommenen Entlassung führte. Noch bei seinem letzten Opernwerk, dem postum uraufgeführten Der Goldene Hahn (1909), bekam Rimski-Korsakow Schwierigkeiten mit der zaristischen Zensur. Ein unvergängliches Ehrenmal hat der Komponist nach dem Tod Mussorgskis und Borodins mit dem selbstlosen Einsatz für das Werk seiner Freunde gesetzt.

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Der Übergang in den Status des Berufsmusikers- und Pädagogen bedeutete für Rimski-Korsakow vor allem die tief empfundene Verpflichtung zur Vervollkommnung der eigenen künstlerischen Mittel. Dieser unablässige Lernprozess überbrückte die bei den übrigen Mitgliedern der Gruppe immer deutlicher werdende Kluft zwischen Wollen und Können und befähigte den Komponisten zu einem eigenständigen künstlerischen Weg, der lange auch die wiederholte Revision seiner Frühwerke beinhaltete. Schnell hervorgetreten ist Rimski-Korsakows Stärke in der Instrumentation, so dass ihn bereits 1869 Alexander Dargomyshski (1813-1869) in seinem künstlerischen Testament um das Instrumentieren seiner Oper Der steinerne Gast (1872) bat. Mit tonmalerischer Programm-Musik wie den Suiten Antar, Op.9 (1868 / 1913) und Scheherazade, Op. 35 (1888) ist Rimski-Korsakow denn auch außerhalb der Grenzen seiner Heimat zuerst bekannt geworden. Seiner erster Biograph Iwan Jastrebzew (18081-1952) hebt als bedeutendste schöpferische Kräfte des Komponisten hervor: „1. Die Gabe einer eigenartigen charakteristischen-russischen Melodien-Erfindung, 2. Die Gabe einer glänzenden, kühnen und doch tadellosen Harmonisierungs-Kunst, 3. Die Gabe einer ganz eigenartigen, wirkungsvollen und spirituellen, im höchsten Grade bildhaften und zu gleicher Zeit leichten und durchsichtigen Instrumentierungs-Kunst.“ Rimski-Korsakows Hauptschaffungsgebiet wurde mit fünfzehn Werken die Oper, in der er Stoffe der russischen Geschichte und vor allem der heimatlichen Sagen und Legenden bearbeitet hatte.

Das Märchen vom Zaren Saltan, des Komponisten zehnte Oper, steht an der Schwelle seiner letzten Schaffensperiode. Die Stoffgrundlage war Alexander Puschkins (1799-1837) gleichnamiges Märchen (1831), das der junge Wladimir Belsky (1866-1946) in engem Kontakt mit dem Komponisten  zum Libretto einrichtete. Dabei wurden die theatergemäßen Möglichkeiten des Sujets gleichermaßen souverän wie dem Geist der Vorlage entsprechend genutzt. Hält sich Belsky einerseits bis zu wörtlichen Übernahmen an den Text von Puschkin, so sind andererseits die – gemäß  der großen russischen Märchentradition dreimal erfolgenden – heimlichen Besuche Gwidons im Reich des Vaters sehr  wirkungsvoll zu einem Bild konzentriert, während die farbigen Szenen am Hof der von ihrem kriegsführenden Mann verlassenen Militrissia und vollends der Abschied des Volkes von seiner todgeweihten Zarin und ihrem Sohn dichterische Ausweitung der von Puschkin vorgegebenen Situation sind. Zugleich ist damit dem Werk eine Tiefendimension gegeben, die bei Puschkin aus gutem Grund nur zwischen den Zeilen zu lesen war. Das Libretto verzichtet auch auf das in Puschkins Märchen offenbar noch nötige Abmildern der Schilderung zaristischer Willkür, das sich daraus ergibt, das der grausame Befehl des Zaren zum Aussetzen von Frau und Kind auf dem Meer ebenfalls nur eine gefälschte Botschaft Babarichas ist. Hier wie dort sind Eltern- und Kinderpaar einander als Spiegel und Alternative gegenüberstellt, am deutlichsten in den Gestalten der Militrissa und der Schwanen-Prinzessin. Vermag die unglückliche Zarin ihrem unmenschlich harten Los nur Schicksalsergebenheit und auch eine unantastbare Würde entgegenzusetzen, so versucht die Schwanen-Prinzessin vorsichtigerweise, sich der moralisch-ethischen Qualitäten ihres Partners zu versichern, bevor sie sich ihm rückhaltlos anvertraut. Und hier wie dort ist es letztlich vor allem dem Eingreifen einer gütigen Natur oder eines halb naturhaften Wesens geschuldet, wenn die aus Menschen-Willkür unausweichlich erwachsende Katastrophe abgewendet werden kann.

Opéra national du Rhin / Das Märchen vom Zaren Saltan hier Bernarda Bobro (Die Koechin); Carole Wilson (Babarichas); Stine Marie Fischer (Die Weberin); Ante Jerkunica (Zar Saltan); Tatiana Pawlowskaya (Zarin Militrissia), Bogdan Volkow (Zarewitsch Gvidon) © Klara Beck
Opéra national du Rhin / Das Märchen vom Zaren Saltan hier Bernarda Bobro (Die Koechin); Carole Wilson (Babarichas); Stine Marie Fischer (Die Weberin); Ante Jerkunica (Zar Saltan); Tatiana Pawlowskaya (Zarin Militrissia), Bogdan Volkow (Zarewitsch Gvidon) © Klara Beck

Ohne Frage hat sich Rimski-Korsakow bei der Gestaltung einer solchen geheimnisvoll zwischen Natur- und Menschenwelt changierenden Gestalt besonders in seinem Element gefühlt. Er selber hat in seinen autobiografischen Aufzeichnungen davon gesprochen, dass er für Zar Saltan einen gemischten Kompositionsstil gewählt habe, für den er die Bezeichnung „instrumental-vokalen Stil“ verwandte. „Die fantastischen Abschnitte haben vornehmlich instrumentalen, die realistischen überwiegend vokalen Charakter.“ Und als typisches Beispiel für den Vokalstil führt der Komponist die erste, im Hause der drei Schwestern spielende Szene an, während er im Zusammenhang mit dem „fantastischen Gesang des Schwanes im 2. Akt“ auf den „teilweise instrumentalen Charakter“ und die „ganz neuartigen Harmonien“ hinweist. Gleich mit einem Bündel von Motiven hat er sowohl das Wesen wie die äußere Erscheinung der Schwanen-Prinzessin in Musik zu bannen gewusst – vom Leuchten ihres weißen Federkleides auf mondbeschienenem Meer bis zum Funkeln des Sterns auf der Stirn der erlösten Zarentochter. Überhaupt ist die Präzision der motivischen Arbeit, mit den Personen und  Vorgänge charakterisiert werden, in ihrer feingliedrigen Faktur und ihrem Reichtum an Varianten ein bestimmendes Merkmal dieses reifen Spätwerks. Ein exemplarischer Beleg dafür ist die Szene am Hof des alten Zaren, in der die Motive Saltans, der Schwestern und Babarichas mit dem Gesang der Seeleute in Singstimmen und Orchester so ungezwungen wie kunstvoll mit- und gegeneinander geführt werden. Dass ein Stoff, in dem das Meer eine so bestimmende Rolle spielt, für den ehemaligen Seemann Rimski-Korsakow mit seiner Erfahrung einer zweijährigen Weltumseglung von spezieller Anziehungskraft sein musste, bedarf kaum der Erwähnung, hatte der Komponist doch schon in seinen vorangegangenen Orchester- und Bühnenwerken mehr als eine Probe seiner Meisterschaft in der musikalischen Schilderung dieses Elements geliefert. Das schwebende Gleichgewicht, das er zwischen den realistischen und den fantastischen, zwischen den tragischen und den burlesken Zügen des Werkes herzustellen weiß, macht nicht zum geringsten Teil dessen besonderen Reiz aus.

Die Uraufführung der Oper im Jahre 1900 fand bezeichnender Weise an einem Moskauer Privat-Theater, dem Solodownikow-Theater statt! Ihr großer Erfolg ist im russischen Sprachraum dem Märchen vom Zaren Saltan bis heute treu geblieben und hatte sofort Rückwirkungen auf die bildende Kunst der Zeit. Der Maler Michail Wrubel (1856-1910), der für die Uraufführung die Bühnenbilder und Kostüme entworfen hatte, wandte sich dem symbolhaften Sujet der Schwanen-Prinzessin in mehreren Arbeiten zu. Iwan Bilibin (1876-1942) stattete 1905 eine Neuausgabe der Märchen von Puschkin aus, die er Rimski-Korsakow widmete. Ein Teil dieser Illustrationen befinden sich im Moskauer Puschkin-Museum.

Opéra national du Rhin / Das Märchen vom Zaren Saltan hier Szenefoto © Klara Beck
Opéra national du Rhin / Das Märchen vom Zaren Saltan hier Szenefoto © Klara Beck

Die Aufnahme in Europa und auch in Deutschland ist eher als zögerlich zu bezeichnen. Ein Hauptgrund dafür dürfte die spezielle Architektur des Werkes sein, das in seinem Ursprungsland die große Kenntnis  der Puschkin-Märchen voraussetzen kann und entsprechende Lücken im Handlungsverlauf durch sinfonische  Zwischenspiele, denen jeweils Puschkin-Verse als Motto zugeordnet sind, überbrückt. Hier setzt die Bearbeitung des russischen Regisseurs Dmitri Tschernjakow ein, der bestrebt ist die Handlungsstränge, die dem europäischen Zuhörer meistens unbekannt sind, deutlicher miteinander zu verknüpfen und mit zusätzlich gesprochenen Dialogen zu erweitern. Ihr ganz auf die szenische Interpretation gerichteter Zweck ist erfüllt, wenn es ihr gelingt, den exemplarischen Rang von Rimski-Korsakows Meisterwerk einem breiteren Publikum zum Erlebnis werden zu lassen.

…Wer aber die Geschichte nicht glauben will, der fahre in die vielkupplige Stadt Ledenez auf der Insel Bujan, kurz vor dem Reich Tmutarakan und frage nach dem Zaren Gwidon und seiner wunderschönen Schwanen-Zarin!

Opéra national du Rhin / Das Märchen vom Zaren Saltan hier Bernarda Bobro (Die Koechin); Stine Maria Fischer (Die Koechin); Carole Wilson (Babarichas); Ante Jerkunica (Zar Saltan) und Bogdan Volkow (Zarewitsch Gvidon) © Klara Beck
Opéra national du Rhin / Das Märchen vom Zaren Saltan hier Bernarda Bobro (Die Koechin); Stine Maria Fischer (Die Koechin); Carole Wilson (Babarichas); Ante Jerkunica (Zar Saltan), Bogdan Volkow (Zarewitsch Gvidon) © Klara Beck

DAS MÄRCHEN VOM ZAREN SALTAN - Premiere 5. Mai 2023 - Opéra National du Rhin

Die Metamorphosen eines wunderbaren Kindes…

Das 1900 am Solodownikow-Theater in Moskau uraufgeführte Werk ist Teil der sogenannten Silbernen Zeit, die die russische Kunst der Jahre 1890 bis 1920 bezeichnet, die sich durch eine symbolistische Dimension und einen sehr ausgeprägten Geschmack für das Magische, das Heilige oder das Irrationale auszeichnete. Tatsächlich komponierte Rimski-Korsakow nach einem Märchen von Puschkin  anlässlich dessen 100jährigen Bestehens Das Märchen vom Zaren Saltan mit einem Libretto, das der Komponist dem Dichter Belsky anvertraut hatte, eine ungeheure naturverbundene Musik. Nicht umsonst nannte man Rimski-Korsakow den großen Zauberer der Orchester-Musik!

Die Oper ist in diesem Jahr im Rahmen des interdisziplinären und internationalen Festival Arsmondo Slave (21. April bis 14. Mai 2023) in Straßburg präsentiert: Eine Verbreitung der slawischen Kultur durch eine Reihe polymorpher Werke wie Cinema, Theater, Ausstellungen, Musik, Bildende Kunst, usw…

Leider wird im aktuellen wirtschaftlichen Kontext nur die Straßburger Spielstätte der Opéra National du Rhin (5. Mai bis 13. Mai 2023) diese Koproduktion mit La Monnaie in Brüssel und De Nederlandse Opera in Amsterdam ausrichten, da die beiden in Mulhouse geplanten Vorstellungen zu einem einzigen Termin in eine Konzert-Version (28. Mai 2023) geändert wurde.

Diese von dem mittlerweile weltberühmten Regisseur Tschernjakow geschaffenen Produktion ist von dem belgischen Regisseur Joël Lauwers in der Wideraufnahme eingerichtet worden. Als dramaturgische Achse wird das Thema der bedingungslosen und gegenseitigen Kindesliebe gewählt. In dieser Version ist das wunderbare Märchen der Vorwand einer Mutter, ihrem autistischen Sohn die Geschichte seines abwesenden Vaters zu erzählen. Diese Wahl führt und rechtfertigt auch die ganze Inszenierung! Es verkörpert sich in einer permanenten Dualität zwischen zwei plastischen Universen: Der Realität, dunkel und langweilig und die der magischen, farbenfrohen und kindlichen Welt des Geschichten-Erzählens gegenübersteht. Tschernjakow organisiert aus diesem bösen märchenhaften Blickwinkel eine abgründige dunkle angstvolle Fiktions-Vision, die er als die einzig mögliche Realität für die Figur des jungen autistischen Knaben beschreibt. Er huldigt dem illustrierten Märchen, indem er seine eigenen projizierten und animierten Zeichnungen heraufbeschwört. Die ganze Intelligenz und Magie dieses Dispositiv liegt in der ständigen Interaktion zwischen schauspielerischen Sängern und den Video-Projektionen, zwischen Realität und Fiktion oder sogar zwischen Fiktion und der Geschichte in der Fiktion. Die von dem russisch-israelischen Licht- und Video-Designer Gleb Filshtinsky geleiteten Video- und Beleuchtungs-Kreationen zeichnen sich durch eine große Technik und Präzision aus: Die Illusion ist total, besonders während des überaus poetischen Erscheinens der Schwanen-Prinzessin, die mit einem Federstrich auf der Bühne auftaucht und auch wieder äußerst schnell verschwindet.

Opéra national du Rhin / Das Märchen vom Zaren Saltan Szenefoto © Klara Beck
Opéra national du Rhin / Das Märchen vom Zaren Saltan Szenefoto © Klara Beck

Auf der Rückseite des Spiegels…

Die feenhaften Entwürfe der russischen Kostümbildnerin Elena Zaytsewa markieren auch den Gegensatz zwischen der wunderbaren Geschichte, die von der Mutter erzählt wird und der schwierigen Realität, mit der sie und ihr kranker Sohn konfrontiert sind. Die Figuren des Märchen erscheinen in extravaganter Bekleidung: Die an ein mit kindlichen Zeichnungen von farbigen Filzstiften auf ein gekritzeltes Blatt Papier erinnern. Die Mutter und ihr Sohn hingegen sind in nüchternen und bescheidenen Kleidern in matten unschönen Farben gestaltet. Die Schwanen-Prinzessin hat drei magische Auftritte in einer makellosen weißen Federrobe und einem leuchtenden Stern aus glitzernden Diamanten auf dem Kopf, bevor sie beim dritten Mal  ihren Märchen-Rahmen verlässt und die realistische Welt betritt: In einem einfachen puderrosa Kleid und weißen Turnschuhen!

Der junge äußerst talentierte usbekische Dirigent Aziz Shokhakimow weiß wieder einmal, wie man aus dem Orchestre Philharmonique de Strasbourg höchste Präzision und einen satten vollen Klang erzielt. Das konstante Gleichgewicht zwischen den Bläsern und den Streichern in einem fast dualen/binären Schema von Rimski-Korsakows sinfonischer Musik ist harmonisch und ausgewogen. Das Orchester findet seinen rechtmäßigen Platz im Verhältnis zu den Stimmen, die es in eine magische Dimension transportiert. Der Dirigent versteht es, die Feinheiten der Partitur zu unterstreichen, die wiederum die verschiedenen Klangfarben hervorhebt. Besonders während des 1. Akts in der Arie der Zarin Militrissa: „Mein geliebter Ehemann…“ wird ein Frage-Antwort-Spiel zwischen der Stimme und den verschiedenen Instrumenten organisiert: Zuerst der Piccolo, dann dem Cello und einer Streicherstaffel mit fast unmerklichen Übergängen. Eine Reaktion des Publikums ist zu spüren, wenn man sich das ungemein berühmte Thema im 3. Akt des Hummelfluges anhört – viele entdecken, dass es aus dieser Oper stammt – das mit beunruhigender Akribie und rhythmischer Präzision ausgeführt wird.

Der kroatische Bass Ante Jerkunika war zu Beginn der Aufführung für krank erklärt worden, verkörpert den Zaren Saltan aber mit einer vollen und reichen Stimme, die trotz allem keine Anzeichen von Schwäche verriet. Sein Timbre ist nachhaltig, ausgeglichen und ruhig, aber dennoch mit der nötigen Autorität. Der Bass demonstriert tadellose Gesangstechnik und serviert schwarze Tiefen mit reicher und gefühlvoller nachhallender Kraft.

Die russische Sopranistin Tatiana Pavlowskaya stellt eine Zarin Militrissa dar, die sowohl zart als auch stark ist. Im 1. Akt kontrastiert der dramatische Ton ihrer Stimme mit den wunderbaren Charakteren aus dem Märchen, mit denen sie interagiert und deren Melodien von den Konsonanzen der russischen Volksmusik durchdrungen ist. Im Gegenteil, sie verkörpert eine in der Realität verankerte und von ihren Problemen durchdrungene Figur, der sie durch ihre Stimme den richtigen Ton und die entsprechende Glaubwürdigkeit zu verleihen weiß.

Der noch junge ukrainische Tenor Bogdan Volkow fällt zunächst nur durch sein schauspielerisches Talent auf, mit dem er den Zarewitsch Gwidon zu einem überzeugenden und besonders berührenden Autisten macht. Erst im 2. Akt offenbart er seine zarte Stimme, deren Leichtigkeit die Sorglosigkeit seiner Rolle angesichts seiner Situation vermittelt – er staunt über die vielen Schönheiten auf der einsamen Wüsteninsel, auf der er und seine Mutter gestrandet sind – und vertieft somit noch mehr den Kontrast mit ihm und der sorgevollen Zarin. Seine ansonsten kraftvolle und souverän geführte Stimme erweckt große Emotionen beim Publikum während der gesamten Aufführung, zumal er eine sehr musikalische und sensible Interpretation seiner Arien bietet: Mit besonders viel Kontrast in den Nuancen und Phrasierungen.

Die deutsche Mezzo-Sopranistin Stine Marie Fischer interpretiert die bösartige intrigante Weberin mit ihrer klaren und durchdringenden Stimme, die dem kleinlichen und unangenehmen  Charakter ihrer Rollen-Figur entspricht. Die slowenische Sopranistin Bernada Bobro, die der Rolle der Köchin ihre selbstbewusste und fasst karikaturhafte Stimme verleiht. Beide Sängerinnen bieten eine vokale und theatralische Interpretation, die ihrem abscheulichen und extravaganten Charakteren entspricht und zeugen Präzision in Genauigkeit und Rhythmus an, wenn sie in Duetten zusammen singen.

Die englische Altistin Carole Wilson bekleidet die alte Babaricha mit ihrer kraftvollen und sehr ausgeprägten Stimme. Sie porträtiert die typische Haltung einer bösen Märchen-Figur, deren nasale Stimme an populäre russische Lieder erinnert, besonders im 1. Akt, wenn sie den Refrain eines sehr alten russischen Wiegenlied „Schlafe mein Kind, schlafe ein…“ singt.

Die junge russische Sopranistin Julia Muzychenko bietet eine Interpretation der Schwanen-Prinzessin an, die der Schönheit des Symbols entspricht, das sie verkörpert. Mit ihr werden die Farben auf der Bühne neu geboren und ihre kostbare Stimme entspricht der makellosen Vision ihres Aussehens. Ihre weiche, klare Stimme entfaltet sich in den extremen Höhen und führt die geschwungene melodische Linie ihrer Partitur mit einer Flüssigkeit aus, die ihr ihren traumartigen Charakter verleiht. So wie sie von Zauberhand auf der Bühne erscheint, verschmilzt das Timbre ihrer Stimme mit dem Klang des Orchesters und spielt mit diesen Effekten  ähnliche Klänge.

Der russische Tenor Evgeny Akimov porträtiert theatralisch und musikalisch  mit großer poetischer und lyrischer Kunst den alten Mann und auch den 1. Navigator. Seine klagende und bittende Stimme offenbart im 1. Akt die Müdigkeit des Alters und beschwört mit seinem durchdringenden Timbre auch die Klänge herauf, die für die russische Volksmusik so typisch ist.

Der Bote des Zaren Gwidon wird von dem belgischen Bariton Ivan Thirion interpretiert, der es versteht der Figur durch seine schauspielerischen Talente, dazu mit einer großen Gesangstechnik trotz seiner einfachen Position eines Boten die Handlung allen näher zu bringen. Seine sehr timbrierte Stimme tritt mühelos über die Chor- und Orchester-Massen hinaus und wenn er seine wichtige Botschaft überliefert, hört man sie ungeniert bis in den hintersten Teil des Saals klingen.

Der russische Bass Alexander Vassiliev spielt den dynamischen und enthusiastischen Hofnarren und erscheint im 1. Akt lustig hüpfend und dazu begleitet er sich selbst auf einem Tambourin. Der Künstler demonstriert mit viel Genauigkeit und rhythmischer Präzision und verkörpert seinen Charakter  mit humoristischer Theatralik und überschäumender Energie.

Schließlich trägt die enorme Klangpräsenz des Chors der Opéra National du Rhin, der aus den Kulissen singt und der viel dazu beiträgt für den traumhaften Charakter der Darstellung des beliebten Wiegenliedes im 1. Akt. Er  errichtet gewissermaßen die harmonischen Grundlagen des Themas, das von den bitter-bösen Sticheleien der Babaricha überlagert wird.

Diese tiefe abgründige Inszenierung des Märchens von Puschkin verleiht ihren Charakter einem besonderen Status und verdoppelt die Leistung der Darsteller mit einer subtilen und tiefschürfenden theatralischen Herausforderung. Jeder der Künstler in dieser Besetzung liefert seine eigene Antwort auf diese manchmal nicht sehr märchenhafte menschliche Voreingenommenheit: Die aber mit Genauigkeit durch ihre Gesangs- und Bühnengestaltung gemacht wird!

Die Aufführung war ein großer Erfolg und wurde vom dem äußerst gerührten Publikum mit Standing Ovation gefeiert. Unter dem Jubel der stehenden Zuschauer werden die Künstler mehrmals zum Salut heraus gerufen! Brava! Bravo! Bravi!      (PMP/ 08.05.2023)