Frankfurt, Oper Frankfurt, HERCULES - Georg Friedrich Händel, IOCO Kritik, 11.05.2023

Frankfurt, Oper Frankfurt, HERCULES - Georg Friedrich Händel, IOCO Kritik, 11.05.2023
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Oper Frankfurt

Oper Frankfurt inmitten des Finanzzentrums © IOCO
Oper Frankfurt inmitten des Finanzzentrums © IOCO

HERCULES - Georg Friedrich Händel

1745 am King’s Theatre am Haymarket in London uraufgeführt

von  Ljerka Oreskovic Herrmann

Georg Friedrich Händel in Westminster Abbey © IOCO
Georg Friedrich Händel - Grab in Westminster Abbey © IOCO

Erstmalig wird an der Oper Frankfurt das „new musical drama“, wie Georg Friedrich Händel sein 1745 am King’s Theatre am Haymarket uraufgeführtes Werk nannte, gegeben. Es handelt sich um Hercules, dem Libretto von Thomas Brougthon liegen wiederum SophoklesDie Trachinierinnen und Auszüge aus Ovids Metamorphosen zugrunde. Das Drama fiel aber beim Londoner Publikum durch, Belshazzar parallel entstanden, ebenso; es war ein künstlerischer Tiefpunkt für Händel, der zu einem Nervenzusammenbruch führte und die zweite gesundheitliche Krise nach 1737 bei ihm auslöste. Von Anfang an stand Hercules unter keinem guten Stern: die berühmte und von Händel verehrte Mrs Cibber (als Lichas) erkrankte zur Premiere, die Ersatzlösung stellte keine adäquate Entsprechung dar, das Interesse an mythologischen Figuren in der Oper hatte zudem nachgelassen und die Konkurrenz durch die italienische Oper, inzwischen im New Theatre ansässig, war wohl zu groß. Als Susannah Maria Cibber, wie die Sängerin und Schauspielerin mit vollem Namen hieß, wieder einsatzfähig war, gelang es dennoch nicht, das Stück dauerhaft im Repertoire zu verankern.

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In den vergangenen zwanzig Jahren erfährt es (zumindest in Deutschland) eine Renaissance – Luc Bondy führte das Werk 2004 in Paris auf, ein Jahr später wurde es von den Wiener Festwochen übernommen; in der Folge nehmen sich immer mehr Opernhäuser des Werkes an. Für Barrie Kosky stand, wie dem Programmheft zu entnehmen ist, Händels Hercules auf seiner „Wunschliste“, und seine erstmalige Inszenierung erzielte, um es gleich vorweg zu nehmen, einen grandiosen Erfolg!

Das Bühnenbild von Katrin Lea Tag, erhöht, steil und eine Art rechtwinkliges Dreieck und einen Graben zwischen hinterer Bühnenwand und Spielfläche bildend, ist nur mit einem fliederfarbenen Sofa bestückt, auf dem eine verhüllte Gestalt und ein steinerner nachdenklich blickender Hercules sitzen. Der echte Held wird noch sehnsüchtig erwartet. Dass erfahren wir von Lichas; Kelsey Lauritano gibt die sympathische jüngere Schwester von Hercules, und zugleich erfährt ihre Rolle die einzige Änderung, die das Regieteam vornimmt – bei Händel war es noch ein Diener, nun aber wird alles, was sich in diesem Haushalt abspielen wird, zu einem familiären Drama. Dejanira, die sich hinter dem Tuch verbirgt, hat die Hoffnung verloren, ihren Mann wiederzusehen – aller Aufmunterung zum Trotz. Nur langsam löst sie sich aus ihrem Versteck, eine Frau aus gutbürgerlichem Haus, in schwarzen Midi-Rock und schwarz-weiß gestreifter Bluse, wirkt gestresst. Ihr späterer Wahnsinn deutet sich hier schon an, immer wieder greift sie sich an den Kopf, immer wieder plagen sie Zweifel, musikalisch dominiert Moll. Hyllus, Michael Porter überzeugt als treusorgender Sohn, vermag ebenfalls keine Stimmungsänderung herbei zu führen, der Chor dagegen wird großen Anteil an den Wechseln der Gefühlswelten besitzen. 1Und dieser ist eine Wucht, jedes Chormitglied verdiente es namentlich genannt zu werden, sie sorgen dafür, dass ihr Ensemble zum siebten und entscheidenden Protagonisten avanciert! Stellvertretend ist das Chorsolo (Nr. 25) von Tiina Lönnmark und Pere Llompart zu nennen. Individuell gekleidet – Katrin Lea Tag zeichnet auch für die gelungenen Kostüme verantwortlich –, erleben wir einzelne Personen, die gemeinsam agierend und stimmgewaltig wahlweise zum kommentierenden oder handelnden Chor werden. Als Mob jagen sie die von Hercules in Oechalia erbeutete Königstochter Iole wie bei einem Blindekuh-Spiel über die Bühne, die nur durch Hercules’ Intervention Schlimmerem entgeht, später werden sie das Gift der Eifersucht in jede Pore von Dejanira einflößen, begleitet von den pochenden Ausrufen: „Jealousy!“ Dafür lässt ihr Kosky diesen Chor regelrecht auf die Pelle rücken, wie sie körperlich leidet und sich windet, aber diesen 37 Individuen nicht ausweichen kann, ist eine der beeindruckendsten Szenen überhaupt. Zuvor werden sie Hercules’ Ankunft (von Fanfaren begleitet) und am Ende mit einem Loblied den erzeugten Frieden zwischen Oecchalier und Trachier und die Freiheit feiern.

Oper Frankfurt / HERCULES hier Paula Murrihy als Dejanira und Ensemble © Monika Rittershaus
Oper Frankfurt / HERCULES hier Paula Murrihy als Dejanira und Ensemble © Monika Rittershaus

Iole, jung, unschuldig und im Brautkleid, löst bei Hyllus Zuneigung, ja Liebe, bei seiner Mutter nur Eifersucht und Misstrauen aus – diese Gefühle werden alles überschatten. Die Freude über die Heimkehr ihres Mannes, inzwischen trägt Dejanira ein farbenfrohes, langes Kleid mit Hippie-Anmutung, währt nur kurz, ihr Inneres lässt eheliches Glück nicht mehr zu. Die Da-Capo-Arien werden besonders sinnfällig, wenn es zum Konflikt zwischen Hercules und Dejanira kommt. Immer wieder trägt er den Wunsch vor, sich gewissermaßen aufs Altenteil zurückzuziehen, dem Krieg und Heldengepolter abzuschwören, was sie nur höhnisch (lachend) abweist; es ist wie in einer (durchaus zeitgenössischen) Ehe eben, jeder oder jede trägt angestrengt dieselben Argumente vor, ohne dass sie dadurch wahrer oder überzeugender werden, unfähig den Standpunkt des Gegenüber zu begreifen und darauf einzugehen. Wie Händel diesen Ehedisput musikalisch auslotet und vorantreibt, die psychologisch-menschlichen Defizite erklingen lässt, hier sind nicht mythologische Gestalten, sondern echte Menschen am Werk, die uns heute noch ansprechen, zeugt von einem Meisterwerk.

Oper Frankfurt / HERCULES hier aula Murrihy als Dejanira_ Anthony Robin Schneider als Hercules © Monika Rittershaus
Oper Frankfurt / HERCULES hier Paula Murrihy als Dejanira, Anthony Robin Schneider als Hercules © Monika Rittershaus

Anthony Robin Schneiders  Hercules wird gegen seine Frau, trotz männlichen Gebaren und Stimmgewalt, keine Chance haben. Denn Dejanira hat sich verrannt, nichts und niemand wird sie umstimmen können, schon gar nicht die wunderbare Elena Villalón als Iole, die den Verlust von Vater und Heimat betrauert, zugleich aber Mitgefühl für Dejanira empfindet und vor der Eifersucht warnt, die alles zerstört: „Adieu to peace, adieu to love.“ Der innere Frieden ist längst perdu, die Liebe der Eifersucht und dem Hass gewichen. Dafür geht Dejanira ihrer vermeintlichen Nebenbuhlerin tatsächlich an die Gurgel, um im letzten Moment von ihr abzulassen und ihr die Freiheit zu gewähren. Das vermeintlich magische Hemd, Lichas wird es dem Bruder reichen, hat sie als letzten verzweifelten Liebes-Rettungsversuch unternommen, aber es ist ein teuflisches Geschenk von Nessos. Dieser hatte es Dejanira noch im Tode – Hercules hatte den Kentauren tödlich verwundet – gegeben, um erloschene Liebe neu zu entfachen. Doch es entflammt keine Liebe, sondern tötet den Träger – und ist die späte Rache Nessos’. Hercules stürzt, vom inneren Feuer zerfressen, in den hinteren Graben, Lichas ist verzweifelt über das Blut an ihren Händen und der Mitschuld am Tod des Bruders, Hyllus dagegen nicht zuletzt auch über die Abweisung Ioles untröstlich. Doch für den Helden öffnet sich die Wand und gibt ein Stück vom Himmel frei: Jupiters Priester – Erik van Heyningen erscheint beinahe als jugendlichen Wiedergänger von Hercules – verkündet von dessen Aufnahme in den Kreis der Götter. Hercules ist nun endgültig zu einer in Stein gemeißelten Figur geworden, die auf das Publikum und das weitere Geschehen den Blick richtet. Aber nicht er, sondern Dejanira steht im Zentrum des Geschehens, sie allein ist für den tragischen Ausgang verantwortlich. Das allmähliche Abgleiten in den Wahn findet seinen Kulminationspunkt, als sie sich von Furien bedrängt glaubt, ihre Wahnsinnsarie singt. Paula Murrihy beglaubigt stimmlich jeden einzelnen Augenblick, dieser ihrer eigenen mentalen Kontrolle entgleitenden Frau, und nicht nur das: auch darstellerisch ist die aus Irland stammende Murrihy ein Ereignis.

Oper Frankfurt / HERCULES hier Anthony Robin Schneider als Hercules © Monika Rittershaus
Oper Frankfurt / HERCULES hier Anthony Robin Schneider als Hercules © Monika Rittershaus

Händel verleiht insbesondere den Frauenpartien ihre jeweils eigene musikalische Sprache, die Koskys Regie kongenial übersetzt. Er wird zu Recht mit dem gesamten Regieteam vom Publikum gefeiert. Dazu gehört das Licht von Joachim Klein, der mal grell die helle Bühne auslotet, mal mit Farbakzenten beim Chor andere Stimmungen erweckt oder unterstreicht. Dem Chor unter der Leitung von Tilman Michael wird selbstverständlich frenetisch applaudiert. Insgesamt ist die Leistung aller (mehr als drei Stunden) auf dieser ziemlich steilen Bühne gar nicht genug zu würdigen, denn sie fordert Kondition: stimmlich wie darstellerisch. Aber auch die Mitwirkenden im Orchestergraben verdienen besondere Erwähnung, sie sorgen für den besonderen (barocken) Klang: das Continuo von Felice Venanzoni (Cembalo), Johannes Oesterlee (Violoncello), Thomas Boysen (Laute) und Jürgen Banholzer (Orgel).

Und nicht zuletzt gebühren dem Dirigenten und dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester ebenso großes Lob für diese Opernproduktion, denn sie haben entscheidenden Anteil am Erfolg. Die Mitglieder spielen „weitestgehend auf historischen Instrumenten“, ihr satter Klang verströmt trotz Drama und Tod Zuversicht, wie meistens bei Händel. Wohl nicht zu Unrecht gilt dieses Werk, was an diesem Abend das Orchester nachdrücklich beweist, als die größte aller englischen Opern; mit Laurence Cummings, er gibt sein Debüt an der Oper Frankfurt, steht ein ausgewiesener Händel-Kenner am Pult, der als Cembalist und Dirigent mit historischer Aufführungspraxis bestens vertraut ist. Händels Musik klingt nie antiquiert, im Gegenteil, sie wirkt frisch und selbst den unerwarteten Happy-End-Schluss – Hyllus und Iole werden, Jupiters Befehl gehorchend, doch noch ein Paar und damit den Frieden zwischen den beiden Völkern besiegeln – vermag sie glaubhaft erscheinen zu lassen. Ein hin- und mitreißender Abend.