Genf, Grand Théâtre de Genève, LADY MACBETH VON MZENSK - Dmitri Schostakowitsch, IOCO Kritik, 06.05.2023

Genf, Grand Théâtre de Genève, LADY MACBETH VON MZENSK - Dmitri Schostakowitsch, IOCO Kritik, 06.05.2023
 Grand Théâtre de Genève c Fabien Bergerat
Grand Théâtre de Genève c Fabien Bergerat

LADY MACBETH VON MZENSK (1934) - Dmitri Schostakowitsch

- Oper in vier Akten und neun Bildern, Libretto von Alexandre Preis und dem Komponisten, nach einer Nouvelle von Nikolai Leskow -

von Peter Michael Peters

AM ENDE NUR DAS AUSGEBRANNTE LEBEN…

  • Ihr Männer habt eine sehr hohe
  • Meinung von euch selbst!
  • Ihr denkt, dass ihr die Stärksten seid,
  • die Tapfersten. Ihr glaubt,
  • das ihr die intelligentesten seid!
  • Wisst ihr wie viele Frauen
  • Ihre Familien alleine ernähren können?
  • Und während des Krieges,
  • wie haben sich die Frauen verhalten
  • gegenüber dem Feind?
  • Und wenn sich die guten Frauen
  • opferten um ihren Ehemann
  • oder Verlobten zu retten?
  • Aber für euch bedeutet es nichts!
  • Und wenn ich euch ordentlich
  • Verprügeln könnte, damit ihr begreift:
  • Warum eine Frau gut ist?   (Szene der Katerina - Akt / 1.Bild)

Ein kurzes goldenes Zeitalter…

Anfang der 1930er Jahre, kurz nach der Premiere seiner ersten Oper Die Nase (1930) nach der gleichnamigen Novelle (1836) von Nikolai Gogol (1809-1852), wandte sich Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) erneut an Alexandre Preis (1905-1942) für die Mitarbeit an einem Libretto für seine neue Oper Lady Macbeth von Mzensk. Sie wurde im Dezember 1932 fertiggestellt und greift die Argumentation einer Geschichte von Nikolai Leskow (1831-1895) auf, die das unglückliche Leben von Katerina Ismailowa (1865) in einem kleinen russischen Dorf beschreibt, in dem Langeweile und Isolation herrschen.

Trailer - Lady Macbeth von Mzensk youtube Grand Théâtre de Genève

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Schostakowitsch war damals sechsundzwanzig Jahre alt und genoss bereits internationalen Ruhm dank des galoppierende Ruhms seiner Symphonie N° 1 in F-Moll, Op. 10, die 1925 vollendet war und 1926 von mehreren westlichen Orchestern bereits gespielt wurde. Auch übte er die Tätigkeit als Komponist für Stummfilme und gleichzeitig als musikalischer Begleiter aus. Schostakowitsch lernte den Marschall Michail Tuchatschewski (1893-1937) kennen, der sein Freund und Gönner wurde, desgleichen macht er auch Bekanntschaft mit Sergei Prokofjew (1891-1953) und dem Regisseur Vsewolod Meyerhold (1874-1940). Nachdem er 1927 eine mögliche Karriere als Pianist durch sein Scheitern beim Frédéric Chopin (1810-1849) -Wettbewerb in Warschau erschüttert aufgegeben hatte, widmete er sich fortan ganz der Komposition und erhielt zahlreiche Aufträge direkt von der Partei: Wie etwa seine Symphonie „Oktober“ N° 2 in B-Dur, Op. 14, komponiert zum zehnjährigen Jubiläum der Oktober-Revolution. In diesem Kontext entstanden seine Opern Die Nase, sowie Lady Macbeth von Mzensk. Auch der große  faszinierende Eindruck der Oper Wozzeck (1925) von Alban Berg (1885-1935), die Schostakowitsch 1927 bei einem deutschen Gastspiel in Leningrad entdeckte, durch die er gewissermaßen  einen Leitfaden für seine zukünftigen Kompositionen bekam. Wenn er Berg nicht auf dem Weg der Atonalität und des Dodekaphonismus folgt, behält Schostakowitsch jedoch bestimmte lyrische und dramatische Lehren von Wozzeck bei. Die Bariton-Stimme der Hauptfigur Kvaliow in Die Nase und die soziale Einsamkeit und Sentimentalität der Haupt-Charaktere. Desgleichen die expressionistische Atmosphäre, die der Verschärfung der Verbindungen zwischen den Charakteren oder der Situation förderlich ist. Oder sogar das tragische Ende des Dramas in einer allgemeinen Gleichgültigkeit!

Ein musikalisches Kauderwelsch…

Ironischerweise und paradoxerweise waren die Jahre 1926/1934 das goldene Zeitalter der Produktionen von Schostakowitsch und der Höhepunkt der künstlerischen Gärung der sowjetischen 1920er Jahre. Aber es war auch die Zeit seiner ersten schweren Krise mit der stalinistischen Macht! Und Lady Macbeth von Mzensk ist genau das Werk , das diesen Zustand des politischen Übergangs bezeugt und sich selbst zu den schärfsten Kritiken äußerst gut geeignet hat, wie es in dem berühmten Artikel in der berüchtigten Partei-Zeitung Prawda vom 28. Januar 1936 publiziert wurde: Vielleicht hat Josef Stalin (1878-1953) den Artikel selbst geschrieben ? Wie Julian Barnes (*1946) in einem Roman anmerkt, der auf das Leben von Schostakowitsch basiert: „Seine Oper wurde nun unterdrückt wie ein zu laut bellender Hund, der seinem Herrn plötzlich missfiel!“ Was ihn am Tag zuvor noch sehr berühmt gemacht hatte und ihn schnell in den Rang eines offiziellen Komponisten befördert hatte, verurteilte ihn nun augenblicklich als sogenannte öffentliche Abscheu. Die Musik seiner Oper wurde gegenüber der Doktrin des „sozialistischen Realismus“ als volksfeindliches und stinkendes vulgäres „musikalisches Kauderwelsch“ empfunden. Es wurden die „schmutzigen Prägungen des Jazz“ angeprangert und die Inszenierung wäre vom „krudesten Naturalismus besudelt“ und schließlich und vor allem würde das Werk vom bürgerlichen Publikum im Ausland geschätzt werden. „Also er komponiert nur für ästhetisch-formalistische Geister mit einem ausgeprägten ungesunden und krankhaften Geschmack!“ Mitten im Artikel taucht eine kaum verhüllte Drohung auf: „Originalität, wo wir Hermetik gespielt haben – ein Spiel, das sehr böse enden kann! Zu Beginn der massiven stalinistischen Säuberungen (die Moskauer Prozesse, die den „Großen Terror“ ankündigten, fanden hauptsächlich 1936 statt), schlief Schostakowitsch vollständig angezogen mit einem Koffer am Fußende seines Bettes: Er war sich bewusst, dass er jederzeit verhaftet und deportiert werden konnte! Aber zeitweise komponierte er dann doch für die „Schublade“ und versteckte dort seine verbotenen Werke, die Gegenstand von Vorwürfen des Regimes sein könnten, wie die im April 1936 fertiggestellte Symphonie N° 4 in C-Moll Op. 43, die erst im Dezember 1961 endgültig uraufgeführt wurde. Diese Situation erklärt zum Teil die Aufgabe des lyrischen Trilogie-Projekts über die Situation russischer Frauen, die leider daher nie das Licht der Welt erblicken wird. Ebenso wird der Komponist alle anderen Opern unvollendet lassen, sei es beispielsweise die satirische Oper Orango (1932), die komische Oper Der Große Blitz (1933) oder Der Spieler (1941/42) nach einer Novelle von Gogol.

Genf / Lady Macbeth von Mzensk hier Ausrine Stundyte als Katerina, Ladislav Elgr als Sergei Foto Magali Dougados
Genf / Lady Macbeth von Mzensk hier Ausrine Stundyte als Katerina, Ladislav Elgr als Sergei Foto Magali Dougados

Eine pluralistische Sprache…

Als Werk der frühen Reife ist Lady Macbeth von Mzensk Teil einer neoklassizistischen Ästhetik, die eine in der Tonalität verankerte Sprache verwendet und bereits Schostakowitschs Merkmale der Symphonie trägt: Überlegenheit der Melodie, tragische Dichte, Lebendigkeit, unerbittliche schnelle Bewegungen und Gewalt oder Ironie der Dissonanzen. Die mit einem gewalttätigen Universum verbunden sind, in dem die Beziehungen zwischen den Charakteren unter dem Zeichen des großen Exzess, ja der Ungeheuerlichkeiten gestellt werden. Über ein intertextuelles Netz von Zitaten, aber vor allem auch Anspielungen, entdecken wir den Schatten von Ludwig van Beethoven (1770-1827), von Johann Sebastien Bach (1685-1750) und von Gustav Mahler (1860-1911). Von denen Schostakowitsch den Einfluss beansprucht, aber auch die Tonarten von Nikolai Rimski-Korsakow (1844-1908), Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893) und Modest Mussorgski (1839-1881), von dem der Komponist den Boris Godunow (1874) orchestriert  in 1939/40 hatte. Zudem verbirgt die Dramaturgie eine gewisse avantgardistische Tendenz! In Die Nase und Lady Macbeth von Mzensk  wird die Technik des Filmschnitts benutzt: Die vier Akte bestehen aus kurzen, schnell aufeinander folgenden Szenen.

Shakespeare oder Ostrowski

Die Figur von Katerina in Lady Macbeth von Mzensk ist vielleicht weniger mit der Heldin von William Shakespeare (1564-1616) verwandt als mit der Katerina aus dem Stück Der Sturm (1859) von Alexander Ostrowski (1823-1886), das 1921 von Leos Janacek (1854-1928) unter dem Titel Katja Kabanowa übernommen wurde. Es geht um eine ehebrecherische und mörderische Frau, für die Schostakowitsch jedoch viel anders als Leskow in der ursprünglichen Novelle versucht, mildernde Umstände zu finden. Alle schriftlichen Zeugnisse, die Schostakowitsch während der Entstehungszeit der Oper hinterlassen hat, weisen in die gleiche Richtung. So wird das feindselige und gewalttätige Umfeld, dessen Opfer sie ist: (die Tyrannei ihres Stiefvaters Boris, die Dummheit ihres Mannes Zinovis, ihre Vergewaltigung durch ihren zukünftigen Geliebten Sergei und die ebenso groteske wie erschreckende Polizei-Repression) Stark unterstrichen! Während die vernichtende Episode eines Kindesmordes völlig aus dem Libretto von Schostakowitsch entfernt wurde. Das Mitgefühl des Komponisten für Katerina erklärt auch den Platz, den die Heldin in der gesamten Oper einnimmt: Sie ist die einzige, der fünf Arien und Kantilenen zugeordnet sind und wir können so die Entwicklung ihrer Gefühle sehen, sie verstehen und auch verurteilen. Darüber hinaus verlagert das Ende der Oper die Handlung nach Sibirien und bewirkt eine auffällige Annäherung – vom Komponisten beabsichtigt – an die Erinnerungen aus einem Totenhaus (1861) von Fjodor Dostojewski (1821-1881).

Auch die Besetzung spiegelt diese dramatische Situation: Katerina ist fast ausschließlich von Männerstimmen umgeben und eigentlich von den Frauen sind nur die Sopranistin Aksinia, die heftige Köchin mit der schrillen hohen Stimme am Anfang und die Altistin Sonietka. Am Ende bleibt nur die vulgäre skrupellose Gefangene. Die Heldin verfügt über ein meisterhaftes dramatisches Sopran-Register, das es ihr mit ihrem Tonumfang von mehr als zwei Oktaven ermöglicht, die vielfältigen Emotionen ihres Charakters auszudrücken. Die beiden Tenöre Zinovis und Sergei stehen sich gegenüber: Der Ehemann ist so grell und Substanzlos wie der Liebhaber selbstbewusst und wandlungsfähig! Die anderen männlichen Rollen gehören zum tiefen Stimmen-Register, wie der Pope und der Alte Sträfling oder der Polizeichef. Was Boris, den Stiefvater betrifft, der in der Mitte des 2. Akt stirbt, ist er sowohl lächerlich als auch unhöflich unter dem Deckmantel einer erbarmungslosen Autorität.

Genf / Lady Macbeth von Mzensk hier Szenefoto Foto Magali Dougados
Genf / Lady Macbeth von Mzensk hier Szenefoto Foto Magali Dougados

Zensur und Rehabilitation…

Wie die Oper Die Nase, 1931 nach sechzehn Aufführungen verboten (wir mussten bis in die 1970er Jahren warten, bis sie in Deutschland, Italien und dann in Moskau wieder aufgeführt wurde). Auch Lady Macbeth von Mzensk verschwand 1936 von den sowjetischen Opernbühnen, um im Januar 1963 nach siebenjähriger Umschreibung in Moskau unter dem Titel Katerina Ismailowa wieder aufzutauchen. Die Sopranistin Galina Wischnewskaja (1926-2012), die Darstellerin dieser Wiederauferstehung wird auch die Züge der Heldin in der filmischen Adaption (1966) von Mikhail Chapiro (1908-1971) und dann auch in der Originalversion annehmen, die 1978 unter der Leitung ihres Mannes Mstislaw Rostropowitsch (1927-2007) in London für EMI aufgenommen wurde.

Wenn heute das Originalwerk privilegiert ist, da sein Remake eine erheblich verwässerte Version ist: Die Dissonanzen sind oft geglättet, die Schärfe gelöscht, die Register weniger extrem, die Rhythmen weniger synkopiert. Erhebliche Änderungen am Libretto und im Text führen zur schlichten und einfachen Zurücknahme offener erotischer oder vulgärer Evokationen und verstecken im Namen des Anstands die schockierenden Szenen: Wie die Szene zwischen Katerina und Sergei am Ende des 1. Akts, in dem das glissandi der Posaunen das atemlose Ende des Geschlechtsakts darstellen! Diese Szene ist, wie andere fast vollständig ausgelöscht! Wie André Lischke (*1952) am Ende seiner vergleichenden Studie feststellt, wurde Lady Macbeth von Mzensk aus einer wunderbaren Illusion von Freiheit geboren, Katerina Ismailowa ist das Ergebnis einer Konzession: Deren Preis niemand ermessen kann.“

LADY MACBETH VON MZENSK - Premiere . 30. April 2023 - Grand Théâtre de Genève

 Eine erstickende Langeweile…

Die Inszenierung des katalanischen Regisseurs Calixto Bieito in einer Form des sowjetischen Schwarz-Weiß-Films der 1940er Jahre, Schostakowitschs ausdrucksstarke Musik und die hervorragende Bühnenpräsenz der Protagonisten verleihen dieser Produktion eine unbestreitbare große filmische Qualität. Die geniale litauische Sopranistin Ausrinè Standytè verkörpert das Leiden, die Frustration und die mörderische Leidenschaft von Katerina Ismailowa mit einer Intensität, die uns total in die Eingeweide geht und auch  nicht mehr loslässt.

Genf / Lady Macbeth von Mzensk hier Ausrine Stundyte als Katerina, Alexander Chaveev als Polizist Foto Magali Dougados
Genf / Lady Macbeth von Mzensk hier Ausrine Stundyte als Katerina, Alexander Chaveev als Polizist Foto Magali Dougados

Lady Macbeth von Mzensk sollte der erste Teil der Tetralogie sein, die sich dem Schicksal russischer Frauen zu verschiedenen Epochen widmete. „Ich will einen sowjetischen Ring der Nibelungen schreiben“, kündigte Schostakowitsch in einem Interview mit Leonid Tur (1905-1961) an. Katerina Ismailowa, die Lady Macbeth von Mzensk, in der ersten Oper sollte die Frau des 19. Jahrhunderts darstellen, die im zaristischen und patriarchalischen Russland lebte. Dann sollte die Geschichte von Sofia Petrowskaja (1853-1881) folgen, der jungen nihilistischen Aristokratin, die das Attentat auf Zar Alexander II. (1818-1881) ausführen wird. Während der letzte Teil eine Hymne an die sowjetische Frau sein sollte: Von der Schriftstellerin Larissa Reisner (1895-1926) bis zu den Arbeiterinnen des gigantischen Bauplatz von Dnjepr. Doch die politische Verurteilung des jungen Komponisten durch Stalin wird seine Projekte verhindern. Lady Macbeth von Mzensk wird bis 1962 in der Sowjetunion verboten sein!

Das Werk war jedoch in den zwei Jahren nach seiner gleichzeitigen Uraufführung in Leningrad und Moskau am 22. Januar 1934 ein durchschlagender Erfolg. Auf Tourneen durch die Sowjetunion wurde Lady Macbeth von Mzensk mehr als 200 Mal aufgeführt und übertraf damit weitaus die Anzahl der Aufführungen der populären Opern von Giuseppe Verdi (1813-1901), Giacomo Puccini (1858-1924) und Gioacchino Rossini (1792-1868). Mit Ausnahme von Nazi-Deutschland wurde Lady Macbeth von Mzensk im Ausland gefeiert und u.a. in den Vereinigten Staaten, Argentinien, Dänemark, Schweden, der Schweiz und der Tschechoslowakei aufgeführt. Der Pianist Arthur Rubinstein (1887-1982) sagte: „…er sei tief bewegt von diesem brutalen Drama!“ Benjamin Britten (1913-1973) und Francis Poulenc (1899-1963) bringen ihre Begeisterung zum Ausdruck! Die Sowjetischen Kritiker feiern Lady Macbeth von Mzensk als eine bedeutende Entwicklung im sowjetischen Musiktheater und die gesamte UDSSR scheint von der „tragischen Satire“ ihres jungen Star-Komponisten verführt zu sein. Am 26. Janvier 1936 wird Stalin neugierig auf diese allgemeine Begeisterung: Er besucht eine Aufführung der Lady Macbeth von Mzensk im Bolschoi-Theater, flankiert von Viatcheslav Molotow (1890-1986), Anastase Mikojan (1895-1978) und Andrei Jdanov (1896-1948). Der „kleine Vater des Volkes“ und seine schmutzigen Handlanger werden die Zarenloge nach dem 3. Akt äußerst verärgert verlassen. Und Schostakowitsch wird von großer Angst gepackt und das auch aus gutem Grund!

Das Urteil wird nicht lange auf sich warten lassen. Zwei Tage später, während er für ein Konzert in Archangelsk weilte, öffnete Schostakowitsch die Prawda und entdeckte einen Artikel mit dem Titel: „Musikalischer Mülleimer aus Lärm, Knarren und Kreischen, mit tierischen und vulgären Charakteren, die nur degenerierte und krankhafte Personen  verführen können“. Aus der Union der Komponisten ausgeschlossen, weil er seinen „Herrn“ beleidigt hat. In seinem kreativen Impuls völlig gebrochen und auch von einigen ihm Nahestehenden gemieden! Vom Kreml ausspioniert und der öffentlichen Schande überlassen, weiß er: Dass die kleinste Geste oder das kleinste Wort von jetzt an fatal für ihn sein kann! So sperrt er sich nach und nach selbst in ein langes Fegefeuer ein, ein endloses inneres Exil. Schostakowitsch wird einem Freund erklären: „Selbst wenn sie mir die Hände abhacken, werde ich mit einer Schreibfeder zwischen den Zähnen weiter meine Musik schreiben.“ Er wird weiter komponieren, aber er wird jetzt seine Kritik und seine Frustration verbergen!

Ein psychologischer Thriller in Schwarz und Weiß…

Es wird gesagt, dass Schostakowitsch seine Lady Macbeth von Mzensk so sehr liebte, dass er nur diese einzige Partitur mitnahm, als er Leningrad während des Krieges verließ. Inspiriert von der Nouvelle Lady Macbeth aus dem Landkreis von Mzensk von Leskow, die 1865 in der Zeitschrift Die Epoche unter der Leitung von Dostojewski veröffentlicht wurde. Es erzählt die Geschichte des provinzialen Lebens einer intelligenten Frau, die von ihrem Ehemann sexuell vernachlässigt wurde, einem reichen aber mentalitätsmäßig sehr weichen Kaufmann. Von Verlangen verbrennend und vor Langeweile erstickend um zum Mord greifend, ihre heiße verzehrende Leidenschaft auszuleben. Wie der Komponist aber selbst sagt: Wird seine Heldin von der selbstbewussten Brutalität der sie umgebenden Mittelmäßigkeit einfach erdrückt. Der Widerstand, den sie ihren Mitmenschen mit ebenso viel mörderischem Wahnsinn wie auch Mut zum Selbstmord entgegensetz: Macht Katerina Ismailowa zu einer ebenso liebenswerten wie auch beängstigenden Person!

Nach einer meisterhaften Inszenierung von Krieg und Frieden (1946) von Sergei Prokofjew (1891-1953) in der Spielzeit 2021/22 kehrt Bieito mit einer ursprünglichen 2014 für die Flämische Oper Antwerpen & Gent geschaffene Produktion nach Genf zurück. Als ein Kriminalfilm in Schwarz/Weiß konzipiert, spielt die Handlung in einem kontrastreichen Universum, zwischen einem modernen Innenraum, kalt und äußerst steril, von blendendem grellen Licht durchflutet und einem dunklen, schlammigen heruntergekommenen sehr bedrohlichem Äußeren: Das an ein Industriegelände, ein Bergwerk oder sogar ein Atomkraftwerk erinnert! In der finsteren heruntergekommenen und schlammbedeckten Ausstattung, die die deutsche Bühnenbildnerin Rebecca Ringst imaginierte, werden der leidenschaftliche Sex, die brutale Vergewaltigung, die sadistische Belästigung, der verzweifelte Mord und das Leiden auf der Suche nach einem Sinn des Lebens gesucht: Dazu mit galoppierender und donnernder Musik begleitet, ohrenbetäubend, poetisch und radikal aufrichtig!

Die Sopranistin Standytè in der Titelpartie und der russische Bass Dmitry Ulyanov in der Rolle des Boris, des lüsternen Schwiegervaters, überwältigen sowohl durch die Überzeugung ihres Spiels als auch durch ihre große Stimmgewalt und ihre technische Beherrschung der gesamten Bandbreite. Stundytè und Ulyanov legen die Messlatte sehr hoch und manche Kollegen haben Mühe mitzuhalten. Wir kennen diese äußerst engagierte Künstlerin mehr als zwanzig Jahre, als sie noch zum Ensemble der Kölner Oper gehörte und schon damals war uns sehr bewusst: Welches Potenzial in der jungen Sängerin schlummerte! Der englische Tenor John Daszak in der Rolle des farb- und geschmacklosen Ehemanns Zinovi erfüllt seine Aufgabe ehrenvoll mit direkter und klarer Stimme. Während die Herausforderung für den tschechischen Tenor Ladislav Elgr in der Rolle des Sergei viel gefährlicher ist. Als er den Charakter des Arbeiters und Weiberheld, Emporkömmling und selbstsüchtigen Liebhaber beschrieb, hatte sich Schostakowitsch „…sicherlich ein Mistvieh, aber auch einen gutaussehenden Mann vorgestellt. Das Publikum muss verstehen, dass eine Frau einem solchen Mann nicht widerstehen kann“. Der Zuschauer ist leicht von der verheerenden Leidenschaft von Katerina zu überzeugen, die von Stundytè souverän interpretiert wird. Aber Elgr nimmt in der Rolle von Sergei manchmal Abkürzungen auf Kosten der großen Komplexität seines Rollencharakters, der zwischen heuchlerischem Charme und erobernder Männlichkeit vielleicht ein wenig zu karikaturhaft interpretiert wird. Aber im Großen und Ganzen werden die vier Hauptrollen  jedoch bewundernswert von den Interpreten mit großer Stimmqualität und einer wunderschönen Bühnenpräsenz glaubwürdig gespielt.

In den Nebenrollen glänzt besonders der deutsche Tenor Michael Laurenz in der Rolle des schäbigen idiotischen Tölpel, der Katerina und Sergei ungewollt zu Fall bringen wird. Dagegen die beiden russischen Bässe, Alexander Roslavets als Pope / Alter Sträfling und Alexey Shishlyaev in der Rolle des Polizeikommissar, sollten doch entschieden mehr Energie und Einsatzfreudigkeit in ihre fade und seichte Interpretation hineingeben. Besonders auch Roslavets enttäuscht leider vor allem mit einem zu erhabenen Gestus und liefert seine schöne Arie des Alten Sträflings im 4. Akt ohne Brillanz und Volumen ab. Mit einem Gürtel um den Hals  in einer schmalen Wendeltreppe hinaufgezogen, durch den Schlamm geschleift von einer Gruppe von Arbeitern und dann brutal vergewaltigt! So porträtiert dennoch die kolumbianische Sopranistin Julieth Lozano die Rolle der Aksinia mit einer erstaunlichen geistesbetäubenden und körperlichen gefährlichen Interpretation mit erschreckendem Realismus und erstaunlicher Stimm-Beherrschung. Sonyetka, die Gefangene, die Sergei im sibirischen Straflager mit großem Gefallen ins Visier nimmt, wird von der estnischen Mezzo-Sopranistin Kai Rüütel bemerkenswert interpretiert. Der Chor des Grand Théâtre de Genève rundet dieses alptraumhafte Bild kraftvoll ab.

Im Orchestergraben, auf der Bühne und sogar auf den Balkonen ist das Orchestre de la Suisse Romande unter der souveränen und aufmerksamen Leitung des argentinischen Dirigenten Alejo Pérez in sehr guten Händen. Im ständigen Dialog mit den Darstellern auf der Bühne kommentiert, verspottet oder hinterfragt das Orchester die Geschichte, die sich vor unseren Augen abspielt. Es kündigt Debakel an, verrät Lügen, unterstützt eine Bühnenfigur und prangert eine andere an. Es bringt Farbe, große Ausbrüche, Grausamkeit, das Groteske, Gewalt und auch Sanftmut in das Spiel. Und im 4. Akt , der von absoluter Trostlosigkeit geprägt ist, liefert das Orchester, getragen von den Cellos, eine langziehende und langsame Melodie von unergründlicher Traurigkeit und viszeraler Klarheit. Die Interpretation des Orchesters unter der Leitung von Pérez ist kontrastiert, entfesselt mit seinen donnernden Blechbläsern und einer Energie auf der Höhe dieser Oper aller möglichen Extreme.  (PMP/04.05.2023)