Paris, Opéra National de Paris - Bastille, NIXON IN CHINA  - Oper von John Adams, IOCO Kritik, 10.04.2023

Paris, Opéra National de Paris - Bastille, NIXON IN CHINA  - Oper von John Adams, IOCO Kritik, 10.04.2023
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Opera National de Paris

Opéra Bastille, Paris © Uschi Reifenberg
Opéra Bastille, Paris © Uschi Reifenberg

NIXON IN CHINA (1987) - John Adams

Oper - John Adams in drei Akten, Libretto von Alice Goodman

von Peter Michael Peters

  • EIN MYTHOS UNSERER WELT-GESCHICHTE…
  • This Great Hall of the People stands
  • Like a fortress against the winds
  • Whatever their direction. Yet
  • The west wind heralds spring.
  • ( Auszug aus dem 1. AKT / Duett  Nixon and Pat)

Die Frage der Oper in unserer Zeit ?

Die Musikwelt fragt sich nicht mehr (ganz) so wie vor etwa fünfunddreißig oder vierzig Jahren, ob Nixon in China etwas anderes als ein Avatar eines Brodway-Musicals oder bestenfalls eine CNN-Oper in Anlehnung an das Fernsehen der Nachrichtensender ist, die in den gleichen Jahren geboren wurden. Das Werk hat im Laufe seiner vielen Produktionen – von seiner Uraufführung an der Houston Grand Opera im Jahr 1987 bis hin zu seiner Weihe an der berühmten Metropolitan Opera New York im Jahr 2011 – bewiesen, dass sich sein dramatisches und musikalisches Material im Laufe der vielen Jahre überhaupt nicht erschöpft hat. Dass das hässliche Entlein dabei fast dem schönen Schwan im Lohengrin (1850) von Richard Wagner (1813-1883) die Show gestohlen hat!

Teaser NIXON IN CHINA von John Adams youtube Opéra National de Paris [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Wie so oft haben sich die Meinungen gewendet: Nixon in China ist eine echte Oper, sogar (da einige es so geschrieben haben) eine große historische Oper, nach dem Vorbild von Giacomo Meyerbeer (1791-1864), Fromental Halévy (1799-1862) oder Giuseppe Verdi (1813-1901), mit protokollarischen Chören, Bravour-Arien und exotischen Balletten. Was anfangs schockierte – die Anwesenheit noch lebender Charaktere – unterstützt diese Patenschaft sogar, denn als Gustav III. (1746-1792) von Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871) auf der Bühne der Opéra National de Paris im Jahre 1833 Premiere hatte: Protestierte die Witwe des Mörders Jacob Johan Anckerström (1762-1792) des Königs von Schweden über eine erfundene Liebesgeschichte des Librettisten Eugène Scribe (1791-1861), um die dramatischen Quellen seines Szenarios besser zu aktivieren. Die Autoren von Nixon in China haben sich die gleichen Freiheiten eingeräumt! Was die komische Dimension anbelangt, fast blödsinnig und dumm, so fehlt sie auch nicht in der großen Oper, die ihre Vorliebe für die Vermischung von Stilen hat: Die von der Romantik entlehnt wurden!

Der Traum von der „Erneuerung der Tradition der historischen Oper“ wäre also dem amerikanischen Regisseur Peter Sellars (*1957) gelungen? Ja, wenn man vorbehaltlos akzeptiert, dass Nixon in China eine Oper ist! Weniger sicher ist es, wenn sich die Frage stellt, dass ein lyrisches Werk die Vorgaben eines Stils erfüllen würde, dem es aber eigentlich nicht zuzuordnen wäre. Denn die Herausforderung der Oper besteht darin, glaubhaft zu machen, dass die Charaktere singen statt zu sprechen. Doch scheint der amerikanische Komponist John Adams (*1947) ein boshaftes Vergnügen daran zu haben, gelegentlich die Inkongruenz des lyrischen Ausdrucks hervorzuheben.

Es fängt aber sehr gut an: Das Vorspiel, das wie ein Sonnenaufgang voranschreitet, wird von einem Chor kommentiert, dessen anfängliche Schwere einem schillernden Volksjubel weichen wird… Dies ist ein hervorragender Anfang einer traditionellen Oper. Als Höhepunkt dieser Einführung begleitet eine jubelnde symphonische Passage die Landung des Präsidenten-Flugzeugs, ohne sich über eine realistische Imitation zu schämen. Aber jetzt schwankt diese schöne Struktur ab bei der ersten Antwort von Richard Nixon (1913-1994) und erinnert an seinen „angenehmerer als gewöhnlich“ Flug: Seine konturierte Gesangslinie, die in Stufen vom hohen e zum tiefen c absteigt, gibt mehr Information über den Tonumfang eines Baritons als auf den Charakter, den er verkörpert.

Opéra National de Paris / NIXON IN CHINA hier Szenenphoto mit Renée Fleming als Pat Nixon, Thomas Hampson als Richard Nixon © Elena Bauer
Opéra National de Paris / NIXON IN CHINA hier Szenenphoto mit Renée Fleming als Pat Nixon, Thomas Hampson als Richard Nixon © Elena Bauer

Von der Diplomatie zur Wahrheit der Charaktere…

Immer unbekümmert um den Realismus geht die erste Arie, genährt von Wiederholungen eines Zauberworts: News!, zu lang um eine realistische Inszenierung der formellen Begrüßung-Zeremonie zu ermöglichen. Die prägnanten Antworten von Zhöu Enlai (1898-1976), der versucht seinen amerikanischen Gast in die chronometrische Realität zurückzubringen, unterstreichen nur die große Abweichung der Situation, die ein riesiger ziemlich verwirrter Monolog besiegeln wird. Der Zuschauer wird schnell begreifen, dass nun je nach dem Authentizitätsgrad der jeweiligen Person mehrere Einstellungen nebeneinander bestehen oder sich überlagern: Aus dieser Sicht sind Nixon und Zhöu Enlai an entgegengesetzten Enden! Der erste, der seine Rolle als Politiker und Opernheld spielt, offenbart die Künstlichkeit seiner Szenen-Person – die Aufrichtigkeit einer seiner berührendsten Inspirationen Let us join hand… wird durch übermäßiges beharren diskreditiert -, während der zweite, in sich gekehrt und auf der Suche nach dem richtigen Begriff im musikalischen Ausdruck jene Unklarheit findet, die verdeutlicht oder verwischt: Seine fast visionäre Sprache (Akt 1, Szene 3), die sich entwickelt zu fortlaufenden Arpeggien und die sie gleichzeitig umhüllen und auch ihre Bilder färben. Nixons Antwort wird im Vergleich dazu voller Zorn sein! Ein ideales Sprungbrett für den Abschluss des ersten Akts: Ist die Geburtsfeier von George Washington (1732-1799), die einen richtigen Vorwand liefert. Verstrickt in rhythmische Ausbrüche mit gezwungenen Synkopen, klingt die dann ausbrechende Freude so falsch wie möglich, wie eine Parodie von einer musikalischen Komödie.

Die Ehefrauen, die im ersten Akt ausgelöscht oder abwesend sind, werden den zweiten Akt gemäß einer klassischen Opern-Aufteilung dominieren. Pat Nixon (1912-1993), schlau und gleichzeitig einfühlsam über ihre Naivität hinaus, trifft oft den richtigen Ton. Ihre große Arie: This is prophetic…, ist die Wiederholung des ruhigen einfachen und schlichten Diskurs von Zhöu Enlais: Dieselbe harmonische Ausgewogenheit angereichert mit Gegen-Melodien der Soloinstrumente: Englisch-Horn, Streicher und Trompete. Umgekehrt posiert  die Frau von Mao Tse-tung (1893-1976) als große Diva, wie Nixon ist die ehemalige Schauspielerin Jiang Qing (1914-1991) in großer Repräsentation. Ihre arrogante Haltung in der Arie: I am the wife of Mao Tse-tung… ist jedoch weder ein Pastiche noch eine Parodie, denn Adams selbst gibt zu, sich von der Königin der Nacht aus Der Zauberflöte (1791) von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) inspiriert zu haben: Aber nichts deutet wirklich darauf hin! Was wir hingegen empfinden, ist dass die Rolle der Frau Mao einer Sängerin anvertraut wurde, die mit Leichtigkeit die Königin der Nacht, Lakmé (1883) von Léo Delibes (1836-1891) oder die Olympia aus Les Contes d’Hoffmann (1881) von Jacques Offenbach (1819-1880) singen könnte. Die Interpretin vergisst absichtlich in diesem Moment ihre wirkliche Rolle: Frau Mao!

Opéra National de Paris / NIXON IN CHINA hier Mao Tse-tung Statue © Wikimedia Commons
Opéra National de Paris / NIXON IN CHINA hier Mao Tse-tung Statue © Wikimedia Commons

Eine Hauptfigur, da er der Tenor der Besetzung ist, Mao Tse-tung tauchte im zweiten Akt nicht wieder auf. Wir wagen es nicht, das Gewicht einer Präsenz standardmäßig zu suggerieren… Im Wesentlichen zweideutig, präsentiert er sich im ersten Akt als Philosoph außerhalb der Welt: Jenseits von Politik und Macht! Mit schönen, oft tiefen, manchmal unerwarteten Überlegungen spielt er mehr Katze und Maus mit seinem Gast! Die Frage nach der Authentizität seines Ausdrucks stellt sich nicht mehr, weil seine Stimme oft von den Stimmen seiner Sekretärinnen umgeben ist, die widerhallen im Echo, ja sogar mit antizipieren: Was er sagen wird! Es ist also nicht mehr der Mann selbst, sondern seine eigene Ikone, der keine Sätze mehr spricht sondern sie nachspricht: The History is a dirty sow… Seine ersten Worte im dritten Akt: I am no one… wird diesen erbärmlich gewordenen Selbstverlust bestätigen, der sich aber schließlich doch herausstellen wird als äußerst lyrisch…

Diese Ambivalenz der Figuren, die abwechselnd an die Wahrhaftigkeit ihres Gesangs glauben lassen, aber auch gleichzeitig die große Geschwollenheit der politischen Reden anprangern, findet sich auch in dem chinesischen Ballett des zweiten Akts : Die rote weibliche Abteilung (1964) aus dem Repertoire der Peking-Oper wieder. Das Argument ist ziemlich getreu gehalten, aber die Musik verleiht einen eher amerikanischen Musicals-Stil in einer derartigen schmackhaften Unechtheit. Aber leider auch die Originalmusik des Ballets enthält kein einziges Fünkchen Authentizität in der russisch-germanischen Komposition. Paradoxerweise wird Pat Nixon, die die Fälschung für das Echte hält, durch diesen Schund mit dem Anspruch engagierter Kunst die Realität des alten feudalen Chinas entdecken.

Der Zuschauer lächelt, ohne sich auch gegen sentimentale Berührungen wehren zu können! Beweis dafür, dass die Wirksamkeit der Theater-Literatur von ihrem Grad an Künstlichkeit abhängt. Nixon in China würde daher abwechselnd die Normen des musikalischen Dramas, die sich mit Realismus befassen und dem Belcanto-Stil viel entlehnen, bei der die Wahrhaftigkeit zweitrangig ist, so dass am Ende ihrer Auseinandersetzungen das Künstliche authentisch wird und auch umgekehrt.

Weder wahr noch falsch, diese Oper ernährt sich höchstwahrscheinlich von zwei Seiten: Vom Kommen und vom Gehen? Der letzte Akt wird die Befragung verschärfen! Weil die Charaktere, indem sie auf ihre Vergangenheit zurückblicken, in einer gemeinsamen Aufrichtigkeit zusammenfinden und ihre Gesangslinien enger an dem festhalten: Was sie sagen! Der Abstand wird (fast) abgeschafft!

Weil es Adams weniger darum ging, die Psychologie der Charaktere in Noten zu übersetzen, als ihnen eine belebende Lebendigkeit zu verleihen. Außerdem ist es diese Lebendigkeit, die in seinen ersten Instrumentalwerken so besonders auffällt, z. B. in: Shaker Loops (1978), wo er sich auch von Steve Reichs (*1936) repetitivem Minimalismus emanzipierte, um seinem musikalischen Diskurs eine andere Richtung zu geben. Die auch Sellars veranlasst hatte, indem er ihm vorschlug: Eine Oper zu komponieren.

Wenn das Politische dem Menschlichen weicht…

Indem er die Herausforderung annahm, achtete Adams natürlich darauf, den Gesangsstil der Protagonisten und die Musik der Situationen zu finden. Er freute sich sogar auf diese Weise dazu geführt zu werden, in der Höhlung seines Innenohrs das zu entdecken: Was er sonst dort nie gesucht hätte! Aber er begnügte sich nicht damit seine Inspiration anzuregen, indem er Schritt für Schritt den Bildern, den Umwegen, den Anspielungen des Librettos von Alice Goodman (*1958) folgte. Ohne sie zu ignorieren entschied er sich dafür, das rhythmische Pulsieren niemals schwächer werden zu lassen, auch wenn nichts im Text auf eine erneute Spannung hindeutete.

Dabei fühlt er sich viel näher bei Gioachino Rossini (1792-1868) denn bei Wagner: Er taucht den Zuhörer nicht in ein harmonisches Gewebe ein, um ihn die Tiefe der Themen spüren zu lassen, er stimuliert ihn, schubst ihn, weckt ihn auf zur Dramatik über eine rhythmische und raffinierte Trance-Brücke. Es ist ein Rhythmus, der sich nicht auf regelmäßige oder unregelmäßige synkopierte Pulsationen und auf Überlagerungen erstreckt. Aber er zeigt sich unablässig in einer Häufigkeit von Harmonie-Wechsel oder melodischen Variationen: Jedoch auf die unregelmäßige Dauer von Perioden!

Eine sorgfältige Untersuchung enthüllt eine viel komplexere Komposition, als es den ersten Zuhörern erschien, die nur von der Einfachheit der Elemente negativ beeindruckt waren: Primäre Rhythmen, triviale Harmonien, tonale Beziehungen ohne Rätsel und grobe Instrumentation. Sie haben nur vergessen, dass die Qualität der Umsetzung für das End-Ergebnis viel mehr zählt als der Wert des unfertigen rohen Werkmaterials.

Man wäre versucht damit zu schließen, dass Nixon in China mehr durch die Kraft der Musik als durch das dramatische Interesse des Themas verführt. Nicht dass das Libretto  von Goodman wertlos wäre, aber es hätte sich nicht durchsetzen können, wenn die Musik nicht gewusst hätte: Wie man mit ihm spielt und ihn sogar gegen den Strich zärtlich streichelt! Bei der Uraufführung des Werks hatte die Inszenierung von Sellars andere Distanzen, die von dieser Konfrontation zwischen Wörtern und Tönen eingenommen wurde. Es war also das Ergebnis eines lyrisches Objekts mit manchmal drei konvergierenden, aber auch  häufiger mehreren entgegengesetzten Gesichtern, die ihre Energien aus diesen Reibungen bezogen. Was auch immer sie sind, die nachfolgenden Inszenierungen können nicht redundant sein, die Synergie zwischen Libretto und Musik lässt es nicht zu.

Opéra National de Paris / NIXON IN CHINA hier Szenenphoto mit Renée Fleming als Pat Nixon, Kathleen Kim als Chiang-Ching, Thomas Hampson als Richard Nixon, Joshua Bloom als Henry Kissinger, John Matthew Myers als Ma Tse-Tung, Xiaomeng Zhang als Chou Enlai © Elena Bauer
Opéra National de Paris / NIXON IN CHINA hier Szenenphoto mit Renée Fleming als Pat Nixon, Kathleen Kim als Chiang-Ching, Thomas Hampson als Richard Nixon, Joshua Bloom als Henry Kissinger, John Matthew Myers als Ma Tse-Tung, Xiaomeng Zhang als Chou Enlai © Elena Bauer

Nixon in China - Premiere l’Opéra National de Paris / Salle Bastille - 25. Mars 2023

 Eine Ping-Pong-Diplomatie…

Im Jahre 1972 reiste Nixon nach China, um sich mit Mao Tse-tung zu treffen und damit die Karten der Weltpolitik neu zu mischen, während aber die Spannungen mit der UDSSR noch immer sehr hoch waren und der Vietnamkrieg noch lange nicht vorbei war. Diese historische Episode war 1987 Gegenstand einer in Houston uraufgeführten Oper Nixon in China, die dem Komponisten Adams durch seinen sehr persönlichen Umgang mit diesem zeitgenössischen Mythe einen großen Platz  im lyrischen Universum einbrachte.

Wie schon bei Einstein on the Beach (1976), dem Fahnenträger der neuen Oper Made in USA, deren großer Erfolg sowohl der Regie von Robert Wilson (*1941) als auch der Partitur von Glass zu verdanken war. Auch ist der große Erfolg von Nixon in China  zu einem großen Teil dem Regisseur der Uraufführung Sellars zu verdanken, der auch das Thema der Oper vorgeschlagen hatte.

Heutzutage ist Nixon in China eine besondere schwierige Aufgabe: In Paris konkurrieren große  Berge aus brennendem Müll mit vandalisierten Gebäuden. In den Vereinigten Staaten macht eine Reihe von Angriffen auf die Künste und der geistigen Freiheit Schlagzeilen in den Zeitungen. Aber überaus  wichtiger ist wohl, dass der Krieg nicht so weit von Frankreich entfernt stattfindet. Ja, es brennt überall! Europa brennt! Die Welt brennt!

Nixon in China von Adams und Goodman befasst sich ebenso mit den Realitäten von heute wie auch dem historischen Ende des Kalten Krieges. Wir sind wieder einmal durch gewaltige Extreme gespalten! Die allererste Produktion von Nixon in China an l’Opéra National de Paris unter der Regie der argentinischen Regisseurin Valentina Carrasco verurteilt natürlich vehement den Missbrauch des totalen Autoritarismus, scheint aber mehr als einmal – szenisch und musikalisch – doch am Ziel vorbeizugehen.

Es ist auch schwer die Inszenierung von Nixon in China - von dieser wichtigen Person – eben von Sellars zu lösen! Er ist irgendwie der ewige geistige Mentor dieser Oper und es ist seine ursprüngliche Inszenierung – und auch alle die nachfolgenden Produktionen – sind noch immer von seiner Anwesenheit durchdrungen. Hat Carrasco es geschafft, etwas Originelles vorzugeschlagen? Nixon in China mag wohl eine Oper sein, die immer mehr und mehr populär wird, aber sie hat sich immer noch nicht als Teil des Standard-Repertoires in Paris etabliert. Unseres Wissens gab es mit der Aufführung im Jahre 1992 im Théâtre du Châtelet bis jetzt nur diese zwei verschiedenen Inszenierungen der Oper in der Stadt.

Opéra National de Paris / NIXON IN CHINA hier Szenenphoto mit Renée Fleming als Pat Nixon © Christophe Pele
Opéra National de Paris / NIXON IN CHINA hier Szenenphoto mit Renée Fleming als Pat Nixon © Christophe Pele

Carrasco spielt gekonnt mit politischem Größenwahn und großer Symbolik! Die Bühnenbilder von dem spanischen Bühnenbildner Carles Berga und dem belgischen Bühnenbildner Peter Van Praet spielen auf einen riesigen Ping-Pong-Platz. Das Spiel im Jahr 1971 mit der berühmten „Ping-Pong-Diplomatie“ zwischen den USA und China hat in den folgenden Jahren große Geschichte gemacht.

Ping-Pong-Spiel ist ein besonders eleganter Sport: Seine kompetitiven Ballwechsel können zu einer scheinbaren Zusammenarbeit führen. Denn das schnelle Schwingen von Schlägern und das Fliegen kleiner weißer Bälle in einem größeren kompakten Feld, erweckt komischer Weise den Eindruck eines Tanzes. Die Schläger müssen die Bälle mit Präzision und modulierter Kraft treffen! Andernfalls fließt das Spiel nicht! Die Tisch-Tennis-Bälle können Symbole für Chinas Gewalt sein! Aber auch Schneebälle während der entfremdeten und den entfremdenden Spaziergänge von Pat Nixon durch das stille nächtliche Peking.

Andere Symbole werden auf der Bühne mit einiger Komplexität verwendet. Eine bezaubernde Drachen-Attrappe aus bunten Papier mit der durchscheinenden Seele eines verspielten dummen Retrievers repräsentiert China. Das gewaltige Amerika und Nixon mit seinem AIR FORCE ONE-Flugzeug, dass aber nur ein ominöser Silberadler in Plastik mit leuchtenden roten Laser-Augen. Aber Carrasco lässt jedoch viel zu wenig Raum für Zweideutigkeiten über Chinas undemokratisches Regime! Die zweite Szene des ersten Akts zeigt im Keller von Mao Tse-tungs Bibliothek die Folter auf der Bühne und das Verbrennen verbotener Bücher.

Die explizite Darstellung der Brutalität des Regimes widerlegt die scheinbare Herzlichkeit eines Mao Tse-tung, der den amerikanische „Rechts-Flügel“ in der Person von Nixon willkommen heißt. Eine Video-Hommage an die vom Regime gedemütigten und verfolgten chinesischen Künstler füllt die jämmerliche Lücke zwischen dem zweiten und dritten Akt aus.

Das Hauptproblem bei Carrascos Inszenierung  ist, dass es manchmal schwer zu sagen ist, ob ihre Kritik sich gegen den Autoritarismus des maoistischen China oder im Gegenteil gegen das chinesische Volk richtet. Ihre Entscheidung, Mao Tse-tung zu end-sexualisieren und zu entmannen – ein Manöver, das in der Partitur nicht sehr offensichtlich ist – könnte als Wiederbelebung klassischer Formen der politischen Kritik wie Charlie Chaplins (1889-1977): The Great Dictator (1945) angesehen werden.

Einige Dinge waren jedoch, gelinde gesagt äußerst erbärmlich und flirteten mit vielen Stereotypen ostasiatischer und rassistischer Repräsentation. Nach einer Karikatur von Zhöu Enlai folgte die Entmannung von Mao Tse-tung! Da Frau Mao übermäßig kontrollierend ist, bringt sie ihrem hilflosen Mann bei, wie man Tisch-Tennis spielt, obwohl sie mehr als schlecht darin ist. Nur bei Carrasco weiß Maos tse-tungs Frau nicht, wie man ein tragbares Radio bedient und sie braucht Henry Kissingers Hilfe, damit es funktioniert. Sie wusste nicht, dass es eine Antenne hat…

Im dritten Akt wird Carrasco sehr fleischlich! Die ursprüngliche Sellars-Konzeption einer Darstellung des Missbrauchs an Jiang Qing von Mao tse-tung ist in dieser Szene der Quasi-Intimität zwischen einem sexuell aufgeladenen Paar, das irgendwie in der Zuneigung große Vulgarität teilt und findet.

Mehr als derselbe Missbrauch von zu viel Übereifer, der nichts mit rassistischen Repräsentations-Praktiken zu tun hat, schafft Carrascos Inszenierung nicht, Nixon in China zu einer wirklichen relevanten politischen Debatte zu erheben. Nixons ursprüngliche Prämisse sind kaum zu glauben! Aber eine politische Debatte genau in diesem Moment wäre nützlicher als ein albernes Kasperl-Theater oder eine Walt Disney (1901-1966) -Show.

Es waren einmal zwei der problematischsten Figuren des letzten Jahrhunderts – ein Autokrat, der eine gelassene blutige Revolution befehligte und einen beinahe angeklagten und gedemütigten politisch rechtsgerichteten Präsidenten. Beide begannen eine diplomatische Beziehung, die die Welt veränderte und es zeigte sich, wie Politik inmitten eines gar nicht so kalten Krieges funktionieren konnte!

Goodmans Libretto wird diesen politischen Persönlichkeiten keineswegs verzeihen, aber es schafft es: Uns einzuladen und ihnen als Menschen zu nähern! Diese Menschen zu karikieren, spricht der Oper ihre Kraft ab, Politik und individuelle Tragödie zusammenzubringen. In Nixon in China sind wir eingeladen, die Perspektive sogar derer zu verstehen, die uns Unrecht getan haben. Aber zu mindestens in den ersten beiden Akten konnte wir das in Carrascos Inszenierung überhaupt nicht sehen.

In ihrer starren brutalen Haltung gegenüber Mao Tse-tung und dem maoistischen China offenbart Carrasco eine politische Oberflächlichkeit, die dem Libretto von Goodman völlig fremd ist. Während Mao Tse-tungs Gewalt in pornographischer Weise sehr offensichtlich wird, ist Nixons teilweise auftauchendes Fehlverhalten: Punktuell, projiziert und spektral! Sehr wahrscheinlich ist der tiefste – und politisch überzeugendste – Moment der Inszenierung völlig losgelöst von Adams‘ Partitur. Gewissermaßen als Zwischen-Musik vom ersten zum dritten Akt zeigte Carrasco ein Fragment des Isaac Stern (1901-1969) Dokumentarfilms From Mao to Mozart aus dem Jahr 1981 mit einem eindrucksvollen Bericht über die grausamen Folterungen und öffentlichen Demütigungen von westlich-orientierten chinesischen Musiklehrern durch das Mao Tse-tung-Regime. Es ist eine sehr starke Anprangerung der chinesischen Kultur-Revolution und vermittelt wichtige Fakten, die unbedingt bekannt sein sollten. Aber es ist weder in Adams‘ Partitur noch in Goodmans Libretto vorhanden! Es schien völlig überflüssig nach der eindeutig kritischen Auseinandersetzung mit dem Maoismus nach der zweideutigen Arie von Jiang Qing im zweiten Akt: I am the Wife of Mao Tse-tung…!

Nichtsdestotrotz ist Carrascos Inszenierung ein sehr starkes visuelles Erlebnis und die meisten seiner Repräsentations-Probleme wären nicht schwer mit ein paar Änderungen in den Regie-Anweisungen zu beheben. Das Publikum aber schien die Produktion zu genießen! Dennoch bot es wenig Einblick in diesen großen politischen Moment unserer Welt-Geschichte! Vielleicht braucht auch Paris – und natürlich die gesamte westliche Welt –  genauso dringend eine politische überquerbare Brücke wie damals: Als Nixon nach China reiste?

Der berühmte amerikanische Bariton Thomas Hampson als Nixon in seiner Arie: News, News, News… schien szenisch gut eingesetzt zu sein, aber vom stimmlichen sind leider nur noch einige schöne Fragmente seiner ehemaligen großen Stimme übrig, die früher mit Leichtigkeit und Schönheit enorme Orchester-Massen überqueren konnte. Dies ist keineswegs ein Kommentar zu den stimmlichen Fähigkeiten der Sänger – jeder, der die große amerikanische Sopranistin Renée Fleming (Pat Nixon) oder Hampson jemals in der Vergangenheit gehört hatte, kann ihre musikalischen und stimmlichen Kräfte niemals vergessen. Im zweiten Akt war der Gesang jedoch stärker hörbar, aber nicht vollständig! Flemings Interpretation der Frau des Präsidentin war wirklich großartig. Bei ihrem Rollendebüt scheint die umfangreiche Erfahrung der Sopranistin mit Mozart-Rollen gut geeignet gewesen zu sein, um einen Charakter zu konstruieren, der sowohl erhaben als auch ein bisschen naiv, wenn nicht sogar erbärmlich  und lächerlich wirkt mit ihren Wurzeln aus der Arbeiterklasse!

Flemings Arie: This is prophetic… fand eine echte Wärme, selbst in ihren Erinnerungen an die veralteten Formen des unerfüllten großen amerikanischen Traum. Fleming ist besonders gut darin, Phrasen zu kreieren, die den banalsten Tagträumen ein ungemeines Gefühl von Heroismus verleihen und auch Goodmans Worte mit viel Bedeutung erfüllen: …why regret life which is so much like a dream?  Auch wenn die Sängerin den heimkehrenden amerikanischen Vietnam-Soldaten besingt: Let im be recognized at home…, waren Pat Nixons Tagträume eine einladende nie erfüllbare Utopia!

Hampsons Nixon mit der unpersönlichsten aller Perücken bestückt, war aber charismatisch und im oberen Register absichtlich undurchsichtig. Allerdings ist dieser Nixon etwas erbärmlicher und weniger tragisch als in einer historischen Oper. Es ist jedoch offensichtlich, dass Hampson mit Adams‘ Komponier-Stil ziemlich gut vertraut ist. In dieser Szene im dritten Akt: …this is my way of saying thanks, sein „thanks“ auf einem hohen g hört sich fast wie „Quack“ an. Eine aktive Entscheidung, die Nixon fast sympathisch, aber nicht heroisch macht!

Der Mao Tse-tung ist interpretiert von dem amerikanischen Tenor John Matthew Myers und zeigt eine großartige Beherrschung von Adams‘ lyrischer Herangehensweise an die Politik. Seine Stimme hat ein besonders gutes und heroisches oberes Register mit einem Timbre, das manchmal mehr als ein Bariton klingt. Seine Expressivität verbindet Mao Tse-tung mit Peter Grimes (1945) von Benjamin Britten (1913-1976): Eine Verbindung , die wir nicht anders erwartet hätten. Er verlieh einer Figur, die die Inszenierung die meiste Zeit verspottete, ein Gefühl von stimmlicher Würde.

Die amerikanische Koloratur-Sopranistin Kathleen Kim in der Rolle der Jiang Qing, die dritten Frau von Mao Tse-tung, war leider durch die Inszenierung zu einer dummen Karikatur eines politischen Charakters geworden: Aber stimmlich war sie ein lyrischer Höhepunkt! Ihre erste Arie, ein unterschwelliger-ekelerregender Moment in der Oper, I am the Wife of Mao Tse-tung… war vielleicht der dramatischste Gravitationspunkt des Abends. Ihre hohen Töne waren sonor und konzentriert mit präziser Intonation. Es ist offensichtlich, dass sie mit der Rolle bestens vertraut ist!

Der Zhöu Enlai von dem chinesischen Bariton Xiaomeng Zhang war extreme präzise! Der Sänger war souverän und machte Zhöu Enlai mehr zu einem Protagonisten, als es der Rolle normalerweise zugestanden wird. Er schien dem Ministerpräsidenten die Klangfülle von Verdis historischen Opern verliehen zu haben, seine Stimme klang auch in dem Ton-technischen Fiasko des ersten Aktes äußerst gut.

Die lauteste Stimme des Abends, unabhängig von der schwierigen Verstärkung, war die von dem australischen Bass Joshua Bloom. Seine Rolle des Henry Kissinger ist wohl die problematischste Figur der Oper und der Sänger verzichtete nicht auf eine passende Stimmlage! Sein So hot… als er die Darstellung von einem jungen Bauern in der Ballett-Aufführung betrachtet, zeigt die gleiche bewusste fehlerhafte Vokalisierung, die wir schon  in Nixons: Thanks! wiederholt gehört haben.

Die chinesische Sopranistin Yajie Zhang, die amerikanisch-chinesische Mezzo-Sopranistin Ning Liang und die rumänische Mezzo-Sopranistin Emanuela Pascu sangen das Trio der Mao Tse-tung-Sekretärinnen sehr lebendig und korrekt. Der Choeurs de l‘Opéra National de Paris war sehr professionelle vorbereitet von der taiwanischen Chor-Direktorin Ching-Lien Wu, und sang auch sehr gut, obwohl ihr französischer Akzent beim Singen auf Englisch auffiel.

Das Orchestre de l‘Opéra National de Paris, dirigiert von seinem talentierten musikalischen Direktor, dem venezuelischen Dirigenten Gustavo Dudamel hatte vor allem im dritten Akt große Momente. Adams‘ Partitur erfordert große rhythmische Präzision, die Dudamel fast den ganzen Abend über beherrschte. Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass das Orchester während eines großen Teil des Abends unnötig laut gespielt hatte. Es könnte an der elektronischen Verstärkung gelegen haben, aber was auch immer die Lautstärke hat die Musik nicht verbessert.

Mit der wahrscheinlich bestmöglichen Besetzung für Nixon in China ist sowohl die Inszenierung von Carrasco als auch die musikalische Leitung von Dudamel äußerst vielversprechend, aber damit die Oper auch wirklich richtig funktionieren kann, sind wohl noch einige größere technische und konzeptionelle Anpassungen unbedingt erforderlich. Trotzdem wurde das Wichtigste erreicht: John Adams Musik war auf jeden Fall ein Hit. Adams, der bei der Premiere anwesend war, erhielt unmissverständliche Standing Ovations: Etwas Ungewöhnliches in l‘Opéra National de Paris! Es war mit ziemlicher Sicherheit nicht die Aufführung selbst, sondern die Größe des Werkes Nixon in China, das heute vielleicht die am meisten bewunderte Oper eines lebenden Komponisten ist. Und es ist auch nicht zu vergessen: Nixon in China hat eine wichtige und auch sehr aktuelle Botschaft für alle friedliebenden Menschen bereit!     (PMP/07.04.2023)