Detmold, Landestheater Detmold, LADY MACBETH VON MZENSK - D. Schostakowitsch, IOCO Kritik, 08.04.2023

Detmold, Landestheater Detmold, LADY MACBETH VON MZENSK - D. Schostakowitsch, IOCO Kritik, 08.04.2023

Landestheater Detmold

Landestheater Detmold © Björn Klein
Landestheater Detmold © Björn Klein

LADY MACBETH VON MZENSK  - Oper Dmitri Schostakowitsch

Urfassung von 1932, Uraufführung am 22. Januar 1934 in Leningrad, Libretto vom Komponisten / Alexander Preis, Deutsch - Jörg Morgener und Siegfried Schoenborn

von Karin Hasenstein

Sympathie für eine Mörderin?

Lady Macbeth von Mzensk ist die zweite Oper von Dmitri Schostakowitsch. Nach dem Erfolg von Die Nase widmete sich der Komponist der Vertonung einer Erzählung von Nikolaj Leskow. Wie schon bei Die Nase schrieb der Komponist das Libretto mit dem Schriftsteller und Dramaturgen Alexander Preis selbst.

Zunächst sollte es eine Trilogie über die "Lage der Frau in verschiedenen Epochen Russlands" werden, später verwarf er dieses Vorhaben jedoch.

Die Uraufführung der Lady Macbeth von Mzensk am 22. Januar 1934 in Leningrad war überaus erfolgreich. Die Oper entsprach in ihrer Radikalität und Expressivität jedoch nicht dem "Sozialistischen Realismus", wie ihn die offizielle Seite propagierte, so dass sie bei den ersten Aufführungen zensorischen und redaktionellen Eingriffen ausgesetzt war. Nachdem Stalin einer Aufführung beiwohnte, die er allerdings in der Pause verließ, wurde sie mit einem Aufführungsverbot belegt, das erst 1936 in der Sowjetunion aufgehoben wurde. Eine geglättete und revidierte Fassung unter dem Titel Katerina Ismailowa wurde bis 1979 auch in der Bundesrepublik gespielt. Seit der Wiederentdeckung der Urfassung durch Mstislaw Rostropowitsch wird Lady Macbeth von Mzensk heute zumeist in der Originalfassung gespielt.

Landestheater Detmold / LADY MACBETH VON MZENSK hier Szenefoto © Matthias Jung
Landestheater Detmold / LADY MACBETH VON MZENSK hier Szenefoto © Matthias Jung

Wer die Lady Macbeth von Mzensk besucht, sollte sich im Klaren sein, dass es kein heimeliger Opernabend mit leichter Unterhaltung ist, sondern dass er sich auf ein gesellschaftlich heikles Thema und gegen den Strich gebürstete Musik einlässt. Der Abend lässt den Zuhörer nicht unberührt.

Der Titel lässt eine gewisse Nähe zu Shakespeares Drama Macbeth und dessen Figur der Lady Macbeth zu, jedoch liegt der Fall anders. Es ist die wahre und tragische Schilderung des Schicksals einer begabten, klugen und sehr außergewöhnlichen Frau, die an den alptraumhaften Zuständen im vorrevolutionären Russland scheitert. Es ist eine eindringliche Darstellung einer der dunkelsten Epochen. Der Darstellung von Lesnikow fügten Schostakowitsch und Preis eine Eingangsszene auf der Polizeistation hinzu und ließen den Mord an Katerina Ismailows Neffen weg. So wurde Lady Macbeth von Mzensk zu einer tragisch-satirischen Oper.

Katerina lebt inmitten von Räubern. Sie leidet wie in einem Gefängnis an der Langeweile in ihrer Ehe und ihrem lieblosen Verhältnis zu ihrem emotional und sexuell impotenten Ehemann.  Katerina ist aber auch eine sehr starke Persönlichkeit. So kann sie die Chance nutzen, die sich ihr bietet, als die Liebe in Gestalt von Sergej in ihr Leben tritt. Diese Liebe ist ihr tatsächlich ein schweres Verbrechen wert. Ohne den geliebten Mann hätte ihr Leben seinen Sinn verloren.

Schostakowitsch widmete die Oper seiner großen Liebe, seiner Frau Nina Wassiliewna. Sie handelt davon, wie die Liebe sein könnte, wenn nicht ringsum Schlechtigkeit herrschen würde. Denn an dieser Schlechtigkeit geht die Liebe zugrunde...

Vor Beginn der Vorstellung am 31.3.2023 trat der Intendant des Landestheaters Detmold, Georg Heckel, vor den Vorhang und erklärte, dass der Sänger des Popen, Seungweon Lee, sich in der letzten Probenwoche bei einem kleinen Bühnenunfall verletzt hat. Mit einem kleinen Trick ist er aber dankenswerterweise aufgetreten.

 Landestheater Detmold / LADY MACBETH VON MZENSK hier Ralf Lukas als Boris © Matthias Jung
Landestheater Detmold / LADY MACBETH VON MZENSK hier Ralf Lukas als Boris © Matthias Jung

Mit den ersten Tönen und dem sich öffnenden Vorhang fällt der Blick auf einen braunen S-Klasse-Mercedes der 1970er/ 80er Jahre mit viel Chrom. Wir sind beim reichen Kaufmann Boris Timofejewitsch zu Hause, und dieser Mercedes ist wohl Zeichen dafür, dass die Geschäfte ganz gut laufen. Begrenzt wird die Bühne von drei Seiten von bemalten Wänden mit einer angedeuteten Wald-Landschaft. Dieser Mercedes wird in den folgenden vier Akten zentrales (und einziges) Bühnenelement sein, aus dem heraus alles entwickelt wird. Er ist Haus, Schlafzimmer, Keller, Versteck der Leiche, Liebesnest, Altar und Ort der Hochzeitsfeier. Die Idee erinnert an den Ring des Nibelungen von Stefan Herheim an der Deutschen Oper Berlin, in dem ein Flügel das zentrale Element war, um das herum sich die gesamte Handlung abspielte.

Der Mercedes befindet sich mittig auf einer kleinen Drehbühne, so dass die Seiten, das Heck oder die Motorhaube passend zum Publikum gedreht werden können, je nachdem, welche Funktion oder Ansicht gerade gebraucht wird.

In der ersten Szene sitzt Katerina auf dem Beifahrersitz und beklagt ihr Schicksal, ein Leben voller Langeweile mit einem unfähigen Ehemann, ohne eigene Aufgabe, nicht einmal ein Kind hat sie, es ist alles so sinnlos und unglaublich langweilig. Diese Langeweile wird durch eine monotone Basslinie verdeutlicht.  Ihr Schwiegervater, Boris Timofejewitsch, steigt aus. Es kommt zum Streit. Katerina gibt ohne Umschweife ihrem Mann die Schuld an ihrer ungewollten Kinderlosigkeit. Boris beklagt, dass er immer noch keinen Erben für sein Geschäft hat. Katerina macht deutlich, dass das nicht an ihr liegt.

Da kommt ein Arbeiter und berichtet, dass ein Staudamm an einer Mühle der Timofejewitschs gebrochen ist. Der Chef schickt seinen Sohn Sinowi, um sich darum zu kümmern. Der Chor stimmt ein Klagelied der Bauern an "Oh Herr, warum willst du uns denn verlassen?"  Der Sohn, ein blasser Buchhaltertyp in beiger Altherrenjacke tut, was Chef und Vater ihm befiehlt.  Der Vater will, dass Katerina ihrem Mann die Treue schwört als er mitbekommt, dass sie ihm keine Träne nachweint, als dieser davon muss.  Er zwingt sie vor ihm in die Knie, sie macht ihn jedoch lächerlich, indem sie sich ihm zu Füßen wirft und seine Beine umklammert, wobei sie in übertriebenes lautes Klagegeheul ausbricht.

Währenddessen macht sich der neue Handlungsgehilfe, Sergej, an die schöne Köchin Axinja heran. Diese versucht ihn loszuwerden "Hau ab, du!", aber er stellt ihr so lange nach, bis er sie in den Mercedes zerren und auf der Rückbank vergewaltigen kann. Die Bauern umringen die Szene dicht und feuern Sergej aufs Primitivste an. Katerina bekommt den Aufruhr mit und geht dazwischen. Sie führt ein leidenschaftliches Plädoyer für die Frau. Sergej passt das natürlich überhaupt nicht und er fordert einen kleinen Ringkampf mit Katerina. Beide beginnen ein Armdrücken, als der Vater hinzukommt und das Ganze beendet. Sergej verschwindet, Katerina bleibt allein zurück.

 Landestheater Detmold / LADY MACBETH VON MZENSK hier Shelley Jackson als Katerina © Matthias Jung
Landestheater Detmold / LADY MACBETH VON MZENSK hier Shelley Jackson als Katerina © Matthias Jung

Wieder klagt sie "Langeweile schließt mich ein." Das mag Boris nicht hören und er will sie zwingen, ins Bett zu gehen. Zu gerne möchte er ihr selber zeigen, was ein richtiger Mann ist, wenn es der eigene Sohn schon nicht bringt. Katerina klagt weiter. Sie braucht jemanden, der sie liebt. Ihre Tage ziehen vorüber, ihr Leben ist ohne Freude. Sergej hört ihr Klagelied und kommt zu ihr. Auch er ist einsam, was also kann man tun? Sergej meint, sie sollte einen Freund haben und wird zudringlich.

Die Musik wird immer drängender, wie Sergej.  Katerina gibt schließlich nach und die beiden lieben sich in ihrem Schlafzimmer beziehungsweise im Mercedes. Plötzlich kommen ihr Zweifel "Ich bin doch seine Frau!" Sergej will nicht, dass sie so spricht.

Boris schleicht, von Schlaflosigkeit geplagt, draußen herum. "Ich spüre das Alter!". Er findet den Schnaps des Schäbigen, der diesen im Kofferraum des Mercedes deponiert hat. Er schwelgt in Erinnerungen: "Zum Fenster mancher schönen Frau trieb es mich...", immer noch ist er voller Begierde. Zu Walzerklängen träumt Boris von heißen Nächten, die er den Frauen bereitet hat und beschließt plötzlich "Ich muss jetzt zu dir". Als er Katerina aufsucht, erwischt er die beiden quasi in flagranti. Er fragt Sergej, wo er war und ruft die Knechte herbei, die den angeblichen Dieb aufhalten sollen.  Das Herumgeistern hat ihn hungrig gemacht und Katerina soll ihm etwas zu essen bringen. Sie sagt, dass es noch Pilze gibt, die isst er so gerne...

Das Metrum im Orchester tönt dunkel und bedrohlich, Unheil kündigt sich an.

Boris will, dass der Sohn nach Hause kommt, bevor hier alles aus dem Ruder läuft. Katerina hat ihm Rattengift ins Essen getan und will, dass er krepiert. Sie füttert ihn, er nimmt ihr die Schüssel ab. Nach kurzer Zeit windet er sich vor Schmerzen und verlangt nach dem Popen. Als dieser erscheint, im schwarzen Ornat und mit Gehstock (da haben wir den Bühnenunfall!), will er beichten. Er bezichtigt Katerina und Sergej: "Dieser Tod ist ein Verbrechen! Nur Ratten krepieren so, wenn man die vergiftet!" Der Pope stellt fest: "Tot ist er. Amen."

Der Chor kommentiert im Stile des Griechischen Chors und stellt lakonisch fest "Jeder muss sich schinden."

Landestheater Detmold / LADY MACBETH VON MZENSK hier Szenefoto © Matthias Jung
Landestheater Detmold / LADY MACBETH VON MZENSK hier Szenefoto © Matthias Jung

Katerina stimmt daraufhin ein übertriebenes Klagelied an.  Der Pope stellt fest "Geh mir weg mit kalten Suppen und Pilzen."  Es ist die reine Satire. Der reiche Kaufmann wurde gerade kaltblütig umgebracht, aber niemand scheint irgendwie beeindruckt. Immerhin beten alle für seine arme Seele. Sie schleifen die Leiche fort. Der Pope tröstet die arme Katerina und tätschelt ihr ganz beiläufig den Hintern. Schließlich wendet er sich ab, um mit einem jungen Mann zu verschwinden...     Katerina und Axinja bleiben zurück.

Die Musik des folgenden kurzen Zwischenspiels ist sehr bewegt, fortissimo, schnell im Tempo und dramatisch.

Sergej kommt, sein Rücken ist blutig gepeitscht. Katerina versorgt seine Wunden. Die Musik wird ruhiger. Sergej weiß nicht, wie er die Situation aushalten soll, wenn er Katerina nicht sehen darf. Er will sie heiraten, dann können sie immer zusammen sein. Katerina breitet eine Decke aus, beide legen sich darauf. "Der Alte wollte zerstören unser Glück. Nun ist er tot." Diese kurze Szene ist komplett in rotes Licht getaucht.  Plötzlich ertönt die Stimme des Geistes von Boris aus dem Auto. Er ruft sie und verflucht sie für ihre Tat.

Katerina und Sergej  liegen noch eng aneinander geschmiegt auf der Decke, als plötzlich Sinowi zurückkehrt und sie so findet.  Er erfasst die Situation sofort, stellt seine Reisetasche ab und geht. Die beiden hören Schritte und steigen in den Mercedes. Sinowi kommt zurück, eine Gerte in der Hand...

Katerina soll ihm aufmachen! Er will wissen, wieso der Vater so plötzlich starb. Offenbar weiß er sowieso schon alles und es entbrennt ein lauter heftiger Streit. Sie soll die Wahrheit sagen! Plötzlich kommt Sergej hinzu und erstickt Sinowi mit den Worten "Den Popen! Da hast du ihn!"  Wohin nun mit der nächsten Leiche? In den Keller mit ihm. Der Keller, das ist in diesem Fall der geräumige Kofferraum des Mercedes. Katerina und Sergej setzen sich auf den Kofferraumdeckel, der Mercedes dreht sich und Katerina stellt fest "Mein Mann bist du jetzt!"

Zu den Klängen einer gestopften Trompetet schließt sich der Vorhang.

"Fürchte nicht die Toten, fürchte das, was lebt!"

Nach der Pause sitzt Katerina in einem pompösen weißen, mit Pailletten besetzten Hochzeitskleid auf dem Kofferraum. Auch Sergej trägt einen Hochzeitsanzug.  Katerina verkündet "Wir wollen zur Kirche."  Der Schäbige erscheint und vermisst seinen Schnaps. "Ohne Schnaps und ohne Wein, wie kann man da froh sein?" Angesichts des Elends eine berechtigte Frage...  Er macht sich auf die Suche nach Alkohol, denn "Ich muss saufen immerzu!" Die Suche nach Wodka führt ihn in den Keller, besser gesagt in den Kofferraum des Mercedes. Zunächst findet er die Gerte, dann einen Gürtel, außerdem herrscht dort ein bestialischer Gestank. Mord! Im Keller liegt Sinowis Leiche! Schnell eilt der Schäbige zur Polizei.

Die Bühne dreht und die Gaze fährt herunter.  Der Polizeichef lässt seine Mannschaft in zwei Reihen antreten und exerzieren. 30 Liegestütze sollen es sein, dann 40 Situps. Der wenig motivierte Haufen wirkt aber insgesamt recht schlappt und verstimmt, schließlich wird bei Ismailows Hochzeit gefeiert und die Polizei ist nicht eingeladen.

An dieser Stelle hat Schostakowitsch eine entzückende Bühnenmusik in Form einer Banda komponiert, die leider in Detmold aus dem Graben kam. Vermutlich wäre es neben dem ca. 18 Mann starken "Polizeichor" dann doch etwas eng geworden auf der kleinen Bühne des Landestheaters.

Der Polizeichef (souverän gestreng Andreas Jören) verkündet "Ordnung schafft die Polizei!" Dieses Loblied auf die Polizei ist natürlich eine weitere Satire auf den Staat und die Obrigkeit. Immer wieder stellt er fest "Bei Ismailows feiern sie Hochzeit jetzt!" aber die Polizei ist nicht eingeladen. So hat man leider keinen Vorwand, hinzugehen und mitzutrinken.

Immerhin hat man einen "Sozialisten" gefasst, er ist ein Nihilist. Dieser wird jedoch laufen gelassen, als plötzlich der Schäbige auftaucht und berichtet, dass man bei Ismailows im Keller eine Leiche gefunden hat. Der Polizeichef ist begeistert "Dich sandte Gott!" - endlich hat man einen Vorwand, bei Ismailows vorbeizuschauen und mit Hochzeit zu feiern. Auf dem Hof wird alles für die Hochzeit vorbereitet. Die Frauen decken die Tische, Weinflaschen werden gebracht und eine Hochzeitstorte.

Das Brautpaar erscheint, festlich gewandet. Ein Fotograf macht aufwändig und umständlich ein Gruppenfoto der Hochzeitsgesellschaft. Der Chor singt "Lang sollt ihr leben!" und der Pope stimmt mit sonorem Bass (Seungweon Lee) ein mit einem Loblied auf die Braut "Was ist schöner als die Sonne?" Der Chor antwortet "Kenne keinen, kann nicht sein". Natürlich ist es die Braut, Katerina ist viel schöner! "Lang soll leben Katerina!"

Doch mitten in die Feierlichkeiten platzt die Nachricht, dass das Schloss zum Keller offen ist! Katerina erkennt sofort die Lage. "Das Schloss! Offen! Wir müssen fliehen!" bevor man die Leiche von Sinowi entdeckt. Die Polizei kommt zu den Klängen der Banda hinzu.

Um das klarzustellen wird sich noch einmal beschwert "Gott grüß euch! Ihr habt uns nicht geladen!" Sodann wird Katerina in Handschellen gelegt, "Ins Kittchen mit ihnen" und dann kann man sich dem Kuchen widmen.

Die Umbaupause zum 4. Akt wird überbrückt mit einer entzückenden Kuchen-Pantomime, dargestellt von der Köchin Axinja und dem Popen. Beide stehen vor dem Vorhang, Axinja offenbar extrem gelangweilt, und der Pope hocherfreut, denn ihm schmeckt die Hochzeitstorte offensichtlich ganz vorzüglich. Mit pointierten kleinen Gesten fordert er immer wieder die Torte näher in seine Richtung und vergeht quasi vor Genuss. Axinja ist es langsam leid und will ihren Teil der Torte, aber der Pope setzt sich immer wieder durch. Ein wirklich humoristischer kleiner Pausenfüller.

Es ist Nacht geworden. Die hintere Wand fährt hoch, so dass fahles Mondlicht die Szene beleuchten kann.

Ein Treck von Zwangsarbeitern in Ketten zieht vorüber und lagert sich zur Nacht auf die Erde. Die Aufseher halten die Menschen in Gruppen getrennt, links die Männer, rechts die Frauen. Ordnung wird mit Schlagstöcken durchgesetzt. "Wer hat die Meilen gezählt, die wir in Ketten geschritten?" Langsam rücken die Personen auf der Bühne weiter nach vorne.

Landestheater Detmold / LADY MACBETH VON MZENSK hier Ral Lukas als Boris © Matthias Jung
Landestheater Detmold / LADY MACBETH VON MZENSK hier Ral Lukas als Boris © Matthias Jung

Vorne links bei den Männern liegt Sergej in Ketten auf dem Boden. Hinten sieht man, wie Katerina eine der Wachen mit Geld besticht, damit er sie zu Sergej lässt. Dieser fragt sie "Hast auch die Schuld vergessen?" Katerina erwidert, nein, die Schuld quält sie furchtbar. Er steht auf und geht. Sie bleibt alleine vorne liegen und beklagt ihr Schicksal. Die Solo-Oboe ertönt klagend.  Am schwersten ist es für Katerina, Sergejs Verrat zu ertragen.

Sergej ist währenddessen zum Lager der Frauen gegangen und sucht dort seine neue Freundin Sonjetka. Eifrig versichert er ihr seine Liebe, sie will jedoch einen Beweis seiner Liebe. Sie weiß auch schon genau, was es sein soll. Ihre Strümpfe sind zerrissen, sie will neue warme Strümpfe und zwar von Katerina. Sergej soll sie ihr besorgen. Das verspricht er und verschwindet.

Sergej bittet Katerina zum Schein um Verzeihung. Er sagt ihr, er sei krank und müsse ins Lazarett. Er bittet sie um ihre warmen Strümpfe und sie zieht sie aus und gibt sie ihm. Nachdem er sie verlassen hat, beobachtet Katerina, dass Sergej ihre Strümpfe Sonjetka gibt. Es gibt ein dramatisches Durcheinander, untermalt vom keifenden Frauenchor, abrupt beendet durch ein Freeze.

Katerina singt "Ich weiß, irgendwo im Wald liegt ein See. Und sein Wasser ist so schwarz wie mein schwarzes Gewissen ist." Der Freeze wird aufgelöst und Sergej und Sonjetka lieben sich.  Sonjetka treibt es auf die Spitze, indem sie sich bei Katerina für die schönen warmen Strümpfe bedankt.

Es gibt einen großen Trommelwirbel.  Die Wache treibt die Zwangsarbeiter an "Steht auf, es geht los!"  Vorne ertränkt Katerina Sonjetka, indem sie ihren Kopf in einem Eimer Wasser taucht. (Im Original stößt sie sie in den Fluss). Als sie aufhört zu zucken, zieht sie ihr die Strümpfe aus.

Sonjetka bewegt sich nicht, um mit den anderen aufzubrechen. Die Wache entdeckt die Tote. "Beide sind ertrunken. Die Strömung war zu stark."  Wieder erklingt ein Klagelied "Wird das Leiden niemals enden?" Die Klagen des Chores und des alten Zwangsarbeiters werden beendet von einem letzten klagenden Schlussakkord. Der Vorhang fällt.

Die Inszenierung

Der Regisseur Joan Anton Rechi wurde in Andorra geboren und studierte in Barcelona am Instituto del Teatro und an der Universität von Barcelona. Er begann seine Karriere als Schauspieler in Film, Theater und Fernsehen und wandte sich dann der Regie zu.

Er konzentriert sich auf das Leid und das Schicksal der einzelnen Personen. Katerina ist nicht die kaltblütige Mörderin, die aus niederen Motiven mordet. Sie hat ein freudloses liebloses Leben und wird von den Umständen dazu getrieben, zu morden. Man empfindet kein Mitleid mit ihren "Opfern", zumindest nicht mit Boris Timofejewitsch, eventuell noch mit seinem Sohn Sinowi, ihrem Mann. Wobei man sich die ganze Zeit fragt, warum sie ihn überhaupt geheiratet hat, so ein Schlappschwanz, der er ist. Sie mordet also nicht aus Habgier oder ähnlichem, sondern allein, um ihrer ausweglosen Tristesse zu entkommen. Insofern hegt man doch ein gewisses Verständnis für Katerina.

Die Figuren sind teilweise stark überzeichnet, das aber nicht erst durch die Regie sondern bereits in der literarischen Vorlage so angelegt. Daher ist es konsequent von Rechi, die Groteske auch deutlich zu zeigen. Das geschieht an verschiedenen Stellen, etwa dass Boris sich ein Pilzgericht wünscht, weil Katerina Pilze am besten zubereiten kann und schließlich mit einem Pilzgericht vergiftet wird. Groteske Züge weisen auch andere Figuren auf, etwa der Pope oder der Polizeichef.

Die Einheitsbühne von Markus Meyer konzentriert sich drei Akte lang ganz auf den S-Klasse-Mercedes, der je nach Bedarf Haus, Schlafzimmer, Keller, Kirche oder Altar ist.

Die Kostüme zeigen die ländliche Bevölkerung, dementsprechend einfach und praktisch sind die Personen gekleidet. Kleider, Röcke und Kittel in gedeckten Farben. Der Kaufmann und sein Sohn sind entsprechend ihrem Stand mit Anzug und Krawatte ausstaffiert, Katerina trägt ein schlichtes, ihre weiblichen Reize betonendes ärmelloses dunkles Kleid. Die Polizei kommen in grauen NVA-Uniformen daher. Der Pope trägt eine schlichte schwarze Soutane, jedoch nicht die eines orthodoxen Geistlichen. Axinja trägt ein kurzes helles Kleid, ihre Köchinnenuniform. Der Schäbige ist einfach nur schäbig, seine Kleidung ist abgerissen und dreckig.

Gesungen wurde am Premierenabend durchweg auf gutem bis sehr gutem Niveau. Chor, Ensemble und Gäste verschmolzen zu einem organischen Ganzen.

Die italo-amerikanische Sopranistin Shelley Jackson gestaltet die Rolle der Katerina Ismailowa mit großer Hingabe. Sie verfügt über einen strahlenden dramatischen Sopran mit brillanter Höhe. Aber auch in den leisen Momenten weiß sie zu mit zartem Piano zu überzeugen.

Der Bayreuther Ralf Lukas ist eine sichere Bank als Vater Boris Timofejewitsch. Der Bassbariton studierte an der Hochschule der Künste Berlin und arbeitete mit Dietrich Fischer-Dieskau, Aribert Reimann und Hans Hotter zusammen. Lukas gibt einen selbstbewussten tyrannischen Chef des Familienunternehmens, der die Zügel fest in der Hand hält. Neben seinem sonoren Bassbariton überzeugt Lukas auch mit einer großen Bühnenpräsenz und unheimlicher Eindringlichkeit als Geist des Boris.  Sein Sohn Sinowi wird dargestellt vom südkoreanischen Tenor Ji-Woon Kim.

Kim verfügt über einen schlanken lyrischen Tenor, der gut geführt und schön fokussiert ist. Die etwas undankbare Rolle des gehörnten Ehemannes und Juniorchefs füllt Kim auch darstellerisch überzeugend aus.

In der Rolle der Köchin macht das bewährte Ensemblemitglied Lotte Kortenhaus stimmlich wie darstellerisch eine gute Figur.

Zunächst muss sie sich energisch gegen Sergej zur Wehr setzen, zur Belohnung darf sie dann Torte mit dem Popen essen. Wie bereits erwähnt gerät dieser kleine Pausenfüller zu einem komödiantischen Bravourstück.

Als Gast in der Rolle des Sergej kehrt Zoran Todorovich an das Landestheater Detmold zurück. Der in Belgrad geborene Tenor studierte Gesang in Frankfurt am Main und München.  Für das Landestheater Detmold hat er bereits erfolgreich die Inszenierung von Madama Butterfly übernommen.

Todorovich spielt und singt den Sergej als selbstbewussten kernigen Weiberhelden, der zunächst jedem Rock nachstellt. Die Köchin kann sich nicht wehren, ist ein billiges Opfer, aber er hat bereits vielen Herrschaften gedient und weiß daher, dass die Frauen gewiss nicht abgeneigt sind, wenn es der eigene Ehemann nicht bringt. Schon dass er Katerina zum Ringskampf auffordert, ist eine Dreistigkeit, die er sich selbstbewusst herausnimmt.

Zu diesem Auftreten Sergejs passt Todorovichs markante virile Stimme. Er verkörpert den Handlungsgehilfen ideal. Selbst den eiskalten Bruch im vierten Akt, als er sich von Katerina abwendet und sie sogar belügt, um an die Strümpfe für seine neue Geliebte zu kommen, nimmt man ihm ohne weiteres ab.

Seungweon Lee verleiht dem Popen stimmliche Größe und hintergründige Komik. Der aus Südkorea stammende Bass ist seit der Spielzeit 2018/19 festes Mitglied des Detmolder Opernensembles. Mit seinem wohltimbrierten sonoren Bass verkörpert er den Popen, der es mit den Tugenden auch nicht so genau nimmt. Sei es, der Köchin mal schnell an den Hintern zu greifen oder sich leiblichen Genüssen in Form von Wein und Hochzeitstorte hinzugeben. Dabei bleibt Lee jedoch immer souverän und sympathisch.

KS Andreas Jören ist seit der Spielzeit 2005/06 festes Ensemblemitglied des Landestheater Detmold. Der in Wattenscheid aufgewachsene Bariton studierte in Essen und Detmold. Jören gestaltete die Rolle des Polizeichefs souverän mit der nötigen Strenge aber auch einer gewissen Komik.

In den kleinen Rollen überzeugten (mit großem schauspielerischen Talent) Karsten Münster als der Schäbige, Irakli Atanelishvili als Verwalter und alter Zwangsarbeiter, Florian Zanger als Hausknecht und Wächter, Felix Schmidt und Steffen Schulte als 1. und 2. Vorarbeiter, Lifan Yang als Kutscher / Betrunkener Gast, Jakob Kunath als Sergeant, Stephen Chambers als Lehrer, Dorothea Bienert als Sonjetka und Stephanie Hershaw als Zwangsarbeiterin.

In dem Artikel "Chaos statt Musik" in der Prawda vom 28. Januar 1936 heißt es: "Der Komponist bediente sich der nervösen, verkrampften und hysterischen Jazzmusik, um die "Leidenschaften" seiner Helden zu zeigen. In einer Zeit, in der unsere Kritiker um den sozialistischen Realismus kämpfen, stellt das Werk von Schostakowitsch einen vulgären Naturalismus dar. Monoton und grausam werden darin sowohl die Kaufleute als auch das Volk gezeigt. Die räuberische Kauffrau, die durch Mord Reichtum und Macht gewinnt, wird als "Opfer" der bürgerlichen Gesellschaft hingestellt."

"Alles ist grob, primitiv und trivial. Die Musik schnattert, stöhnt und keucht, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit möglichst drastisch die Liebesszenen auszumalen; und diese "Liebe" wird in der Oper auf ausgesprochen vulgäre Art ausgebreitet."

Das Orchester des Landestheaters Detmold unter der Leitung des GMD Per-Otto Johansson war den Solisten durch den Abend eine solide Basis. Der Dirigent ist seit der neuen Spielzeit 2022/23 Generalmusikdirektor in Detmold. Der aus Schweden stammende Johansson studierte an der Musikhochschule in Malmö und an der königlichen Musikakademie Kopenhagen. Johanssen leuchtete die Dramatik der Partitur Schostakowitschs gekonnt aus und fand eine gute Balance zwischen großer symphonischer Opulenz und den ganz leisen Tönen in den intimen Szenen. Die Solisten begleitete er sicher und mit viel Gespür für die unterschiedlichen Stimmungen. Eindringlich die großen Chorszenen, genauso wie die Reflexionen Katerinas und ihr Monolog am Ende vierten Aktes.

Was wäre diese Oper ohne den Chor! Der Opernchor ergänzt durch den Extrachor des Landestheaters (Einstudierung Francesco Damiani) meisterte die anspruchsvolle Aufgabe bravourös. Als homogener Klangkörper sowie als schauspielerisches Kollektiv trug der Chor wesentlich zum Gelingen des Abends bei. Begeistertes Hochlebenlassen des Brautpaares, geifernde Menge in der Vergewaltigungsszene oder deprimierte verzweifelte Zwangsarbeiter auf dem Todesmarsch, alles wurde mit großer Überzeugung dargestellt.

Auf große Neugier, wie das relativ kleine Haus in der lippischen Provinz diese große Aufgabe meistern würde, folgte einmal mehr die Überzeugung, dass kleinere Häuser auch dicke Bretter bohren können, wenn der Ensemblegeist so ausgeprägt ist, wie am Landestheater Detmold. Das Premierenpublikum honorierte das großartige Engagement und die außergewöhnliche Leistung aller Beteiligten mit lang anhaltendem begeisterten Applaus.

Klare Empfehlung für diese außergewöhnliche Oper im Landestheater Detmold!

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  • Musikalische Leitung         Per-Otto Johansson
  • Inszenierung                    Joan Anton Rechi
  • Ausstattung                      Markus Meyer
  • Dramaturgie                    Elisabeth Wirtz
  • Licht                                Carsten Lenauer
  • Maske                              Kerstin Steinke
  • Chor                                Francesco Damiani
  • Darsteller*innen
  • Boris Timofejewitsch Ismailow, Kaufmann      Ralf Lukas
  • Sinowi Borissowitsch Ismailow, sein Sohn       Ji-Woon Kim
  • Katerina Lwowna Ismailow, Frau des Sinowi  Shelley Jackson
  • Sergej, Handlungsgehilfe bei den Ismailows   Zoran Todorovich
  • Axinja, Köchin                                               Lotte Kortenhaus
  • Der Schäbige, ein verkommener Arbeiter       Karsten Münster
  • Verwalter                                                      Irakli Atanelishvili
  • Hausknecht                                                   Florian Zanger*
  • Vorarbeiter                                                    Felix Schmidt Vorarbeiter                                                  Steffen Schulte
  • Kutscher/ Betrunkener Gast                           Lifan Yang
  • Pope                                                              Seungweon Lee
  • Polizeichef                                                     KS Andreas Jören
  • Polizist/ Sergeant                                           Jakob Kunath
  • Lehrer                                                            Stephen Chambers
  • Wächter                                                        Florian Zanger*
  • Sonjetka, Zwangsarbeiterin                           Dorothee Bienert
  • Alter Zwangsarbeiter                                     Irakli Atanelishvili /  Ognjen Milivojsa
  • Zwangsarbeiterin                                           Stephanie Hershaw*
  • Geist des Boris Timofejewitsch                       Ralf Lukas
  • *Mitglied im Opernstudio
  • Symphonisches Orchester, Opernchor und Extrachor des Landestheaters Detmold