Monte-Carlo, One Monte-Carlo, FESTIVAL PRINTEMPS DES ARTS DE MONTE-CARLO 2023, IOCO Kritik, 3.4.2023

Monte-Carlo, One Monte-Carlo, FESTIVAL PRINTEMPS DES ARTS DE MONTE-CARLO 2023, IOCO Kritik, 3.4.2023
One Monte-Carlo bei Nacht @ Wikimedia Commons
One Monte-Carlo bei Nacht @ Wikimedia Commons

FESTIVAL PRINTEMPS DES ARTS DE MONTE-CARLO

FESTIVAL PRINTEMPS DES ARTS DE MONTE-CARLO 2023

Melodien- und Lieder-Abend im "One Monte-Carlo"

Edwin Crossley-Mercer, Bass-Bariton,  Michel Dalberto, Klavier

von Peter Michael Peters

César Franck:   POUR MOI SA MAIN CUEILLAIT DES ROSES (1878)

Text von Lucien Paté (1845-1939)

Ô FRAÎCHE NUIT! (1884)

Text von Louis de Boussès de Fourcaud (1851-1914)

Henri Duparc:   CHANSON TRISTE (1868)

Text von Henri Cazalis alias Jean Lahor (1840-1909)

LA VAGUE ET LA CLOCHE (1871)

Text von François Coppée (1842-1908)

LA VIE ANTÉRIEURE (1884)

Text von Charles Baudelaire (1821-1867)

Gabriel Fauré:    LA BONNE CHANSON, OP. 61 (1892)

Texte von Paul Verlaine (1844-1896)

  1. Une sainte en son auréole Puisque l’aube grandit
  2. La lune blanche luit dans les bois  4. J’allais par des chemins perfides
  3. J’ai presque peur, en vérité  6. Avant que tu ne t’en ailles
  4. Donc, ce sera par un clair jour d’été  8. N’est-ce pas ?
  5. L’hiver cessé

Franz Schubert:    DER ERLKÖNIG, D 328 (1815)

Text von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

LITANEI AUF DAS FEST ALLER SEELEN, D 343 (1816)

Text von Johann Georg Jacobi (1740-1814)

AM BACH IM FRÜHLING, D 361 (1816)

Text von Franz Adolf Friedrich von Schober (1796-1882)

DER ZWERG, D 771 (1823)

Text von Matthäus Kasimir von Collin (1779-1824)

SCHWANENGESANG, D 957 (1828 / Auszüge)

Texte von Heinrich Heine (1797-1856)

  1. Der Atlas 9. Ihr Bild  10. Das Fischermädchen  11. Die Stadt
  2. Am Meer  13. Der Doppelgänger 
  3. Die Taubenpost  -  Text von Johann Gabriel Seidl (1804-1875)

MICHEL DALBERTO - Le chant et la musique - Der Gesang und die Musik youtube FESTIVAL PRINTEMPS DES ARTS DE MONTE-CARLO [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

  DORT WO DU NICHT BIST, IST DAS GLÜCK…

Das goldene Zeitalter der französischen Melodie entwickelt sich als Reaktion auf die Niederlage von 1871, die sowohl als militärische als auch kulturelle Demütigung empfunden wurde. In der Musik wollten sich französische Komponisten von ihren deutschen Kollegen und insbesondere vom Lied abheben, indem sie die Grundlagen für einen neuen musikalischen Ausdruck legten: Den der französischen Melodie.

Ô fraîche Nuit,

Nuit transparente,

Mystère sans obscurité,

La vie est noire et dévorante

Ô fraîche Nuit,

Nuit transparente.

Donne-moi ta placidité.

(Auszug aus Nocturne von  Franck / Boussés de Fourcaud)

Nicht nur eine kulturelle Konfrontation…

Um eine solide Grundlage zu gewährleisten, wird dieser Ansatz durch Musikvereine institutionalisiert, die unter der Leitung des Komponisten Camille Saint-Saëns (1835-1921) und unter der Beteiligung anderer Musiker u.a. von Gabriel Fauré (1845-1924), César Franck (1822-1890) und Henri Duparc  (1848-1933) entstehen. Das Motto dieses Ansatzes ist Ars Gallica, bezieht sich also als Banner seiner Ausrichtung auf die „gallische Kunst“, also historisch gesehen nur auf die „französische“ Kunst. Die Musik wird von vornherein nur für eine höhere soziale Schicht anspruchsvoller Musikliebhaber gedacht. Neue Beziehungen werden zwischen Komponisten und Dichtern geknüpft, um gemeinsam die französische Sprache zu feiern. Fauré vertonte 1892 La Bonne Chanson, op. 61 nach einem Gedicht von Paul Verlaine (1844-1896). Duparc übernahm 1884 La Vie antérieure nach Texten von Charles Baudelaire (1821-1867) und Franck komponierte im selben Jahr sein Nocturne nach einem Gedicht von Louis de Boussès Fourcaud (1851-1914), einem französischen Kunsthistoriker. Diese Melodien wollten sich von der Musik für Dilettanten entfernen und verweigerten sich der beliebten Einfachheit von Ritornell-Formen oder anderer Strophe-Chorus-Strukturen. Sie zeugten von einer fortschreitenden Komplexität der Sprache, sowohl von der musikalischen Seite des Verses als auch in der harmonischen Wahl, der ihn trug. So basierten Melodien wie La Vague et la Cloche von Duparc nach einem Gedicht von Henri Cazalis alias Jean Lahor (1840-1909), oder J’allais par des chemins perfides aus La Bonne Chanson von Fauré auf einer harmonischen Sprache, die durch das Gleiten der Linien und der Begleitung gezeichnet wurde und den Zuhörer herausforderte das Gefühl von Instabilität und  Dissonanz  zu hören,  die diese zu vermitteln suchten.

Ich unglücksel’ger Atlas! Eine Welt,

Die ganze Welt der Schmerzen muss ich tragen,

Ich trage Unerträgliches, und brechen

Will mir das Herz im Leibe.

(Auszug aus Der Atlas von Schubert / Heine)

…sondern auch eine politische Konfrontation!

Diese nicht zu verstehende Rache der französischen Musik hängt an folgendem und kann nur verstanden werden, wenn man die Allmacht des deutschen Liedes in diesem romantischen Jahrhundert in vollem Umfang ermisst. Wie sein französisches Pendant verkörpert auch das deutsche Lied politische Notlagen. Tatsächlich existierte Deutschland im 19. Jahrhundert nicht als einheitliche Nation, sondern als Territorium mit instabilen Grenzen. Aus dieser Fragmentierung ergibt sich ein Paradoxon: Innerhalb einer im Aufbau befindlichen und multikulturellen Nation wird der Begriff Germanien als kohärente Kraft wahrgenommen. Dieser Entwurf greift die Vorschläge von dem Dichter Johann Gottfried Herder (1744-1803) auf, der daran dachte eine deutsche Identität zunächst um eine gemeinsame Sprache herum zu schmieden, aber auch um eine Geschichte, eine Kultur und eine gemeinsame Traditionen. Dieses Nationalgefühl wird dann als anti-französisches Modell politisiert, das die Invasionen des revolutionären Frankreichs und dann der Tyrannei des napoleonischen Regimes ablehnte. Somit etabliert sich Deutschland dann nach und nach als eine Kulturnation, aber noch nicht als ein Staat.

Unter den großen Persönlichkeiten dieser Bewegung hatten Komponisten und Dichter unter anderem die Funktion von Wegweisern und entfalteten ihren großen Einfluss auf der politischen Ebene. Wie es ein halbes Jahrhundert später in Frankreich der Fall sein wird, das National-Bewusstsein wird vor allem durch die Entstehung einer sogenannten Gelehrten-Kultur ermöglicht, die sehr intensiv von dem aufgeklärten Groß-Bürgertum vorangetrieben wurde. Damit einher geht die Suche nach dem „nationalen Genie“, das Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und Ludwig van Beethoven (1770-1827) zu emblematischen Figuren und vor allem gemeinsamen kulturellen Deutschtums erhebt. Nachdem ein Briefwechsel mit Goethe unbeantwortet blieb, nahm Franz Schubert (1797-1828) dennoch einige Gedichte des großen Dichter-Fürsten wieder auf, insbesondere der phantasmagorische Erlkönig im Jahre 1815 und es folgte auch gleich Gretchen am Spinnrade. Aber der große Lieder-Korpus von Schubert nutzte auch andere zeitgenössische Dichtungen wie zum Beispiel von Franz von Schober (1796-1882) mit Am Bach im Frühling oder von Heinrich Heine (1797-1856) mit dem berühmten Schwanengesang aus. Jedoch immer von dem Wunsch getrieben, auf eine erschöpfende germanische Formulierung zu warten! Haben die ersten Werke von Schubert die dramatische Intensität des Melodramas geerbt, so sind sie vor allem Träger des „volkstümlichen Tons“, mit dem noch immer die national Verankerung bezeichnet wird. So erinnert die scheinbare Schlichtheit gewisser Lieder wie Das Fischermädchen oder Die Taubenpost an weltliche Melodien, die noch immer im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Die Naivität, die dieser Schreibweise entspringt, koexistiert mit soliden narrativen Einsätzen: Die epische Dimension, die in der Einführung des Erlkönig innewohnt, spiegelt sich im Topos des nächtlichen Ritts wieder, der auf dem Klavier umgesetzt wird. Aber auch in einer sehr übertriebenen Vokalität, die den Zuhörer eiskalt erstarren lässt,  indem er die verzweifelte Not des Kindes lauscht: Wenn es seinen Vater anfleht!

Die Suche, die das Lied und die französische Melodie bei ihrer Ausarbeitung verfolgen, ist daher im Wesentlichen dieselbe: Die eines ästhetischen Ideals, das nicht nur Repräsentation sondern auch Matrix einer nationalen Anstrengung ist, die in die Welt der Künste deportiert wird. Aus diesen Begegnungen zwischen Musik und Dichtung auf beiden Seiten des Jahrhunderts entstanden Meisterwerke.

Festival Printemps des Arts / LIEDERABEND hier Edwin Crossley-Mercer, Bass-Bariton, Michel Dalberto, Klavier © Alice Blangero
Festival Printemps des Arts de Monte-Carlo / LIEDERABEND hier Edwin Crossley-Mercer, Bass-Bariton, Michel Dalberto, Klavier © Alice Blangero

„Ma fin est mon commencement“ opus 2

Bruno Mantovani, der französische  Komponist und künstlerischer Leiter des FESTIVAL PRINTEMPS DES ARTS DE MONTE-CARLO, setzt das im Jahre 2022 begonnene Thema „Mein Ende ist mein Anfang“ nach einem Rondo von Guillaume de Machaut (um 1300-1377) mit einem Opus 2 fort. Um gewissermaßen eine Konfrontation zwischen dem ersten und dem letzten Werk eines jeweiligen Komponisten und Schöpfer zu definieren. Das Festival, das vom 8. März bis 2. April 2023 stattfindet, bietet ein abwechslungsreiches Programm unter anderem mit amerikanischer Musik: Aaron Copland (1900-1990), Elliott Carter (1908-2012), Steve Reich (*1936) und Betsy Jolas (*1926). Gleichzeitig öffnet es sich auch für andere künstlerische Ausdrucksformen wie Kino, Literatur und Malerei. Eine Ausstellung ist dem amerikanischen Maler Robert Guinan (1934-2016) gewidmet, der besonders für seine Porträts der turbulenten New Yorker Jazz-Szene, den verrauchten Bars, den Schwarzen und Ausgeschlossenen bekannt ist. Reservation: printempsdesarts.mc  +377 92 00 13 70.

Anmerkung: Wir werden über das nächste Konzert vom 12. März 2023 berichten: Werke von Felix Mendelssohn und Wolfgang Rihm mit dem Insula Orchestra, Solisten und dem Chor Accentus unter der Leitung von Laurence Equilbey.

11. März 2023 - Melodien- und Liederabend im "One Monte-Carlo"

Frühlings-Ode an die holde Kunst…

Für die musikalische Repräsentation an diesem Abend müssen wir noch tiefer als am Vorabend mittels einer Rolltreppe hinunterfahren. Wir sind in einer Stadt ohne Stadt, wir sind in Monte-Carlo! Aus Platzmangel bohrt man in den Felsen immer tiefer und tiefer! Der Saal für den Liederabend ist in sich ein kleines Paradox: Die Breite ist lang und die Länge ist kurz und da wir am äußersten Ende platziert sind, haben wir naturgemäß eine unangenehme schlechte Akustik. Dazu ist der Saal mit   seinen pseudo-dorischen  Säulen  mit einer so unechten Ästhetik dekoriert. Aber versuchen wir ganz schnell das Unangenehme aus unseren Gedanken zu vertreiben.

Überraschender Weise waren die beiden Künstler in ganz ausgezeichneter Form und somit hatten wir einen wunderbaren ereignisreichen Melodien- und Liederabend. Der erste Teil des subtil durchdachten Abends ist der französischen Melodie gewidmet, der zweite dem deutschen Gegenstück: Das Lied! Es ist einschließlich Schubert gewidmet mit seinen drei wichtigen Perioden in seinem zu kurzem Leben. Es erschafft eine große gewaltige Konfrontation von Sprache, Kultur, Stil, Tradition und natürlich Persönlichkeit…

Edwin Crossley-Mercer, Bass-Bariton © Alice Blangero
Edwin Crossley-Mercer, Bass-Bariton © Alice Blangero

Die poetische Stimme: Die das Wort trägt, ist dem franco-irländischen Bass-Bariton Edwin Crossley-Mercer anvertraut. Der auch voll mit gesunder Frische und viel sensuellem Verlangen ein jegliches träumendes Herz traf. Er nutzt seine physische Präsenz als musikalisches Parameter in der Kontinuität als eine Reise wie auf der Opernbühne aus. Mitunter vielleicht ein wenig zu viel, denn ein Lied ist weiß Gott keine Arie…, keine Oper! Sein Blick erhebt sich, seine großen Hände streicheln sanft die Luft, zeigen zornig mit dem Zeigefinger zum Horizont, erfassen mit der anderen Hand inbrünstig das eigene klopfende Herz. Vorsichtig, nicht zu viel! Der Sänger schwingt sich manchmal leicht von einem Bein zum anderen, als wollte er in entlegene ferne poetische Länder reisen, die vielleicht auch noch voll von wartenden Seelen sind.

Der Sänger beherrscht auch die große und wichtige Kunst einer perfekten Diktion, indem er Konsonanten und Vokale auf Französisch  und Deutsch unterschiedlich poliert. In der ersten sind die Konsonanten im Legato enthalten und alles ist eine Frage der Farben und  Proportionen. Wie schon gesagt, seine kraftvolle tiefe Stimme vergleichbar mit einem schwarzen strahlenden Diamanten, wird aber leider mitunter zu „opernhaft“ eingesetzt. Franck und Duparc ist von ihm einmalig interpretiert, der Künstler scheint beide Komponisten unter der Haut zu haben. Dagegen La Bonne Chanson wurde unserer Meinung zu „äußerlich“ gesungen, der Gesang wirkte fremd und unwirklich: Die Verse von Verlaine verflogen und erreichten uns nicht!

Im zweiten Teil lässt er seinem artikulatorischen Kneten mehr freien Lauf und erinnert an das große Leiden von Schubert. Die Atemzüge sind kurz, um die strophische und hymnische Dimension der Gedichte zu unterstreichen, die auch bei Bedarf unterbrochen werden. In sehr atemlosen Passagen wird es eine sehr luftige Kompagnie umgeben mit feinfühliger Musik! Aktiv, manchmal auch nasaliert, hilft es ihm den Ausdrucksfaden zu halten, während der Text und die Noten in donnerndes Grollen und blitzenden Einschlägen zerrissen werden. Die Dynamik erreicht mühelos ihre beiden Pole, gesponnene Pianissimo oder anders-schwere Sforzando, gestaltet durch ein paar Stimm-Ritzenschläge, die bis zum Schrei im hohen poetischen Gipfel enden, ohne jedoch jemals das Ohr zu belästigen. Wir erinnern uns, das wir schon vor vielen Jahren den noch unbekannten Sänger in einem Liederabend hörten. Wir waren sofort begeistert von seiner Interpretation des Liedes, besonders von der einmaligen Diktion und dem unaussprechlichen Gefühl: Das er versteht, was er singt! Obwohl die Stimme reifer und voller mit den Jahren geworden ist, er ist und bleibt ein großer Interpret des Liedes! Doch noch einmal: Ein Lied ist keine Opernarie, es ist ein intimes Werk! Bei Schubert hat Wolfram nichts zu suchen! Pianissimo…

Edwin Crossley-Mercer, Bass-Bariton und Michel Dalberto, Klavier © Alice Blangero
Edwin Crossley-Mercer, Bass-Bariton und Michel Dalberto, Klavier © Alice Blangero

Aber unsere größte Überraschung war das Klavier von Michel Dalberto! Nach den brutalen und lauten Tönen von vorgestern war das etwa so wie: Tag und Nacht! An diesem Melodien- und Liederabend ist seine Berührung seismisch, sofort durchdringend: Sehr schneidend aber auch plastisch! Das Klavier bietet damit seine imposanten symphonischen Orgeln an, ohne jedoch jemals zu nahe über die kraftvolle Stimme des Bass-Bariton hinauszugehen. Tatsächlich legt der Sänger liebevoll seine linke Hand in den Bauch des Instruments und somit verbunden mit seiner großen Echo-Kammer. Aber der Pianist achtet sehr darauf, ihn niemals zu verschlucken. Seine üppigen Melodien-Flüsse treiben die dynamischen und gutturalen Stöße des Gesangparts an und dämpfen sie auch. Bei ihm ist die Ruhe ungestüm und der Tumult heiter!

Diese kammermusikalische Kombination, die nur von der Beziehung zwischen Lied, Gedicht und Klavier lebt, wird von einem Publikum bejubelt und es wahrscheinlich auch in Erinnerung behalten. Den weltweiten Schlager Ave Maria (1825) von Schubert gibt es als Zugabe: Die diesen Melodien- und Liederabend ins absolute untermalt! (PMP/29.03.2023)