Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, RUSALKA - Antonin Dvorak, IOCO Kritik, 30.01.2023

Wiesbaden, Hessisches Staatstheater, RUSALKA - Antonin Dvorak, IOCO Kritik, 30.01.2023
Hessisches Staatstheater Wiesbaden © Martin Kaufhold
Hessisches Staatstheater Wiesbaden © Martin Kaufhold

Hessisches Staatstheater Wiesbaden

RUSALKA - Antonin Dvorak

- Rusalka, das magische Wasserwesen - doch um ihr ersehntes Glück betrogen-

von Ingrid Freiberg

Der „einfache tschechische Musikant“, als den sich Antonín Dvorák selbst bezeichnete, lernte bei seinem Dorfschulmeister das Geigenspiel. Es waren Johannes Brahms, der Kritiker Eduard Hanslick, der Geiger Joseph Joachim und der Dirigent Hans von Bülow, die sich für die Verbreitung der Werke von Dvorák einsetzten. Von Brahms ist der Ausspruch überliefert: „Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle. Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben.“

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Im 19. Jahrhundert bestand ein gesteigertes Interesse an Märchen, Sagen und Legenden. Auch die Oper Rusalka verarbeitet einen in Europa verbreiteten Märchenstoff, dessen namengebende Gestalt eine Wassernixe ist, eine Verwandte von Andersens Meerjungfrau oder von La Motte Fouqués Undine. Der tschechische Dichter, Regisseur, Schauspieldirektor und Dramaturg Jaroslav Kvapil schrieb 1899 das Libretto nach einem Ferienaufenthalt auf der Ostseeinsel Bornholm. Er hatte es zunächst Josef Suk, Josef Förster und Oskar Nedbal angeboten. Erst Dvorák, der bereits acht große Opern komponiert hatte, schuf daraus im Laufe des Jahres 1900 ein Meisterwerk. Die oft symbolistisch anmutenden Verse erweckte er mit großem impressionistischem Klangzauber, aber auch spätromantischer Opulenz. Rusalka ist stark beeinflusst von den Erkundungen der menschlichen Psyche, wie sie Sigmund Freud Anfang des 20. Jahrhunderts betrieb. Im Handlungskern zeigt sich die Oper als ein psychologisch kraftvolles Werk und erweist sich als spannendes Seelendrama einer Frau, die um ein selbstbestimmtes Leben und ihre eigene Identität kämpft.

Geisterhaft fließendes Unterwasserreich

Die Oper Rusalka besticht durch ihren Reichtum an eingängigen Melodien, die, wie so oft im Werk Dvoráks, aus der böhmischen Folklore schöpfen. Er war 60 Jahre alt, als er in 1900 seine vorletzte Oper, drei Jahre vor seinem Tod, komponierte. In dieser wohl bekanntesten tschechischen Oper geht es auch um Sprache und Sprachlosigkeit. Mit großem musikdramatischem Schwung vertonte Dvorák die gegensätzlichen Welten des geisterhaft fließenden Unterwasserreichs und des distanziert steifen Königshofes. Eine glückliche Lösung für den gleichnishaften Stoff über den Wert der Bedeutung der menschlichen Seele und die Wandlung der Hauptfigur Rusalka von der romantischen Nixe, dem Wassergeist, zum leidensfähigen Menschen gibt es nicht. Gewagt auch, eine Geschichte zu wählen, in der die Hauptfigur für lange Zeit, über 1.000 Takte, verstummt, glücklicherweise aber über Menschenohren verfügt. Zu verstehen ist sie nur durch ihr Leitmotiv. Allen Warnungen des Wassermanns zum Trotz, ihr Element, das Wasser nicht zu verlassen, bezahlt sie die ersehnte Verwandlung zur Menschenfrau mit ihrer Stimme, vertraut dabei auf ihre starken Gefühle. Ihr Erscheinen bei den Menschen berückt den Prinzen zunächst, doch als magisches, stimmloses Wesen bleibt Rusalka eine Fremde in der Menschenwelt. Schließlich wendet sich ihr Geliebter von ihr ab – was für ihn den Tod und für sie die Verbannung bedeutet.

Hessisches Staatstheater / RUSALKA hier Olesya Golovneva, Nora Kazemieh, Sarah Mehnert, Donata-Alexandra Koch © Karl und Monika Forster
Hessisches Staatstheater / RUSALKA hier Olesya Golovneva, Nora Kazemieh, Sarah Mehnert, Donata-Alexandra Koch © Karl und Monika Forster

Bestechend einfühlsame Team-Inszenierung

Bisher gab es noch keine Haus-Inszenierung dieser Oper am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, obwohl es überaus lohnend ist, dieses Märchen aufzuführen. Nun überrascht Rusalka in einer bestechend einfühlsamen Team-Inszenierung: Daniela Kerck, Regie, von Hause aus Bühnenbildnerin, ist der rationalen Auffassung: „Rusalka ist bereit, alles zu opfern, um ihrem Verlangen nach dem Anderen, dem Anderssein, nachzugehen. Das macht sie zu einer sehr heutigen Figur: Sie fühlt sich nicht wohl in ihrem Körper, also ändert sie sich – dafür muss sie einen hohen Preis zahlen. Sie kämpft um ihre Emanzipation auch gegen Widerstand und Warnungen von allen Seiten.“ Hingegen sieht Olesya Golovneva, Regie, sie singt auch die Titelpartie, die Oper etwas emotionaler: „Wie oft passiert es doch, dass unsere Träume nicht der Realität entsprechen. Rusalka hat viele Vorstellungen und Träume über eine märchenhafte Beziehung zu einem Prinzen. Aber sie wird mit dem Fluch der Realität konfrontiert: Sie wird betrogen, sie wird alleine gelassen, sie wird nicht wahrgenommen, und sie wird nicht so akzeptiert, wie sie ist.“ Ihre beiden Ansätze bereichern sich auf fabelhafte Weise. Aus weiblicher Sicht wird der Schmerz, die Ausweglosigkeit einer Liebenden sensibel herausgearbeitet. Der Konflikt zwischen weiblichem Wasserwesen und Mensch wird zum Konflikt zwischen Frau und Mann, und nicht so sehr zwischen irdischer und unirdischer Natur. Vielmehr zeigen Kerck und Golovneva die Abhängigkeit von männlichen Wesen, wie dem Wassermann und dem Prinzen, und die Unterwerfung Rusalkas unter die manipulierende Kraft der Hexe. Ein zusätzliches „Ass im Ärmel“ dieses Regie-Teams ist Philipp Pointer, Musikalische Leitung, der Tschechisch spricht und der mit einer gekonnten Strichfassung, die in den Gefühlsstrudel förmlich hineinzieht, hervorragende Arbeit geleistet hat.

Märchenhaft sinnliche Bilder, romantische Kostüme

Das Bühnenbild von Daniela Kerck, überzeugend ergänzt durch die Video-Projektionen von Astrid Steiner, zaubert Bilder von surrealer Schönheit, poetisch rätselhaft. Märchenhaft sinnliche wie gewaltige Bilder entstehen. Wasser fließt in seinen verschiedenen Aggregatzuständen, erzeugt Nebel und Eis. Bei Auftritten der Hexe sind Vulkaneruptionen, Feuerstrudel zu sehen. Sie prägen auf der dunklen und weitgehend leeren Bühne im 1. und 3. Aufzug die Szene mit Wellenbewegungen, Gischt und Tiefsee-Unendlichkeit. Die eindringlichen Bilder werden verstärkt durch Aufnahmen einer Apnoetaucherin, die sich in dem weißen Kleid von Rusalka in den Fluten formvollendet treiben lässt. Im 2. Aufzug sind im Hintergrund schwarze „Tetrapoden“? zu sehen. Sie begünstigen und unterstützen die Auf- und Abgänge. Nachdem von den schwarzen Gebilden die Tücher abgedeckt werden, entpuppen sich diese als gestapelte Stühle, die für die Festgesellschaft aufgestellt werden. Diese fantasievollen Bilder werden haften bleiben… Kostüme für ein Märchen zu entwerfen ist unheimlich schwer. Andrea Schmidt-Futterer hat die Aufgabe als große Kunst angenommen und verwirklicht. Nicht immer muss eine Nixe an einem in einem Fischschwanz endenden Unterkörper zu erkennen sein, unfähig, sich damit auf der Erde zu bewegen. Ein überlanges weißes Kleid, in dem sich Rusalka immer wieder verfängt, hat eine vergleichbare Wirkung und betont die romantische Sichtweise. Die Farben Schwarz und Weiß dominieren. Prinz und Spratek tragen identische Kostüme, die Festgesellschaft ist in schwarze Cutaways mit Zylinder gekleidet, die Nixen bezaubern mit weißen Kleidern, der Wassermann ist in einer schwarzen Neopren-Jacke zu sehen. Nur Ježibaba/Die fremde Fürstin trägt ein mauvefarben transparentes Kleid, als Hexe hat sie eine Glatze, als Fürstin trägt sie eine schwarze Perücke. Damit wird ihre Außenseiterrolle betont.

Hessisches Staatstheater / RUSALKA hier Olesya Golovneva als Rusalka © Karl und Monika Forster
Hessisches Staatstheater / RUSALKA hier Olesya Golovneva als Rusalka © Karl und Monika Forster

Fortune: Künstlerinnen und Künstler zum Niederknien

Die bereits für ihre Leistungen als Anna Bolena und Luisa Miller zur „Besten Sängerin des Jahres“ gekürte russische Sopranistin Olesya Golovneva, wurde bereits für ihre Interpretation der Rusalka an der Oper Köln für den Deutschen Theaterpreis FAUST nominiert. Als Rusalka erscheint Golovneva nahezu perfekt in ihrer Sehnsucht zu einem Menschen. Mit ihrer warmen, biegsamen Stimme, einer ungebrochenen Intensität und Ausdauer ist sie unschuldig, zärtlich, aber auch leidenschaftlich. Unter den geschlossenen Nummern in Dvoráks Oper hat es „Silberner Mond du am Himmelszelt…“ zu volkstümlicher Bekanntheit gebracht. Umso mehr ist es zu bewundern, dass Golovneva das Erlebnis vermittelt, das Lied zum ersten Mal zu hören, und wie sehr sehnt man sich danach, dass sie ihre Stimme im Laufe des Abends wiedergewinnt. Olesya Golovneva bereichert dieses Opernfest auf ungewöhnliche Weise, als Interpretin und Regisseurin, und trägt maßgeblich zum Erfolg bei.

Umwerbend bis abweisend, am Ende schicksalsergeben überzeugt Gerard Schneider als Prinz mit seinem strahlenden Tenor, mit viel Sinnlichkeit und Schmelz: „Holdester Traum du, süss und mild, bist du ein Mensch, bist ein Märchen?“ / „Bin ich verzaubert, du verspürst es nicht! Wärst du auch kälter noch wie Eis und Stein, mein musst du werden, mein allein!“... Seine Leidenschaft, die stets mitschwingt, ist charismatisch, gestalterisch perfekt, erzählerisch glaubhaft. Schneider gelingt es, die Wandlung vom Eroberer eines unbekannten Wesens zum Betrüger und Verräter mitreißend in Szene zu setzen. Er ist kein Märchenprinz, kein Held, sondern ein - bis zum schmerzlichen Ende – einem Traumbild Verfallener. Einnehmend ist die tiefe Grundierung von Derrick Ballard als Wassermann: „Wehe dir, Rusalka, wehe! Warum. gabst du dich Menschen hin?“ ist ein kantables, wunderschön-sonores Lied, das seinen voluminösen Bass wohltönend und prächtig aufleuchten lässt. Völlig unangestrengt, wunderbar leicht und sauber, und doch voller Ausdrucksstärke in den kontrollierten Ausbrüchen, ist er zu heldischen Aufschwüngen bis hin zur gefühlsbetonten Verhaltenheit fähig. Ein mutiger „Geniestreich“ von Regie und Interpretin ist das Verschmelzen der Rollen von Ježibaba mit der Fremden Fürstin. Katrin Wundsam geht das Wagnis ein, beide Partien zu singen, ihr Stimmvolumen von Mezzosopran auf Sopran auszuweiten. Ihre anregende Tiefe, neben dem nötigen Stimmumfang, ermöglicht ihr als Hexe teuflisch, kraftvoll glühend zu agieren. Als Fremde Fürstin ist sie auch die Personifikation des menschlichen Zweifels, der dekadent-mondänen Zivilisation, also eine direkte Antagonistin zu Rusalka. Entgegen deren Kälte versucht sie den Prinzen mit heißer Glut zu verführen, was ihr letztendlich misslingt. Durch diesen Regieeinfall kann sie unmittelbar das Scheitern von Rusalka, der Zivilisation und Natur erleben, ihren bösen Plan verfolgen… Wundsam begeistert mit mühelos erreichten Spitzentönen, mit bewegender Intensität, mit diabolischer und erotischer Ausstrahlung.

Hessisches Staatstheater / RUSALKA hier Derrick Ballard, Nora Kazemieh, Sarah Mehnert, Donata-Alexandra Koch © Karl und Monika Forster
Hessisches Staatstheater / RUSALKA hier Derrick Ballard, Nora Kazemieh, Sarah Mehnert, Donata-Alexandra Koch © Karl und Monika Forster

Zu Beginn ist Christopher Bolduc als Jäger a capella zu hören und trifft damit mitten ins Herz. Im 2. Aufzug tuschelt er (Heger) im Park mit dem Küchenjungen, Stella An, im über die blasse, stumme, sonderbare Braut, die der Prinz heiraten will. Es ist vergnüglich und bezaubernd, den beiden zuzuhören: Bolducs sehr feinsinnig ausbalancierter Tenor verbindet sich mühelos mit der jugendlichen Natürlichkeit und den jubilierenden Höhen von Stella An. Beide sorgen für die einzigen humoristischen Elemente dieser Inszenierung. Die Elfen (1. Nymphe: Donata-Alexandra Koch, 2. Nymphe: Nora Kazemieh, 3. Nymphe: Sarah Mehnert) scheinen beständig den Handlungsverlauf zu kommentieren, auch indem sie das Tagebuch von Rusalka lesen. Durch ihre individuelle, feinsinnige Rollengestaltung zeigen die Nymphen Kontraste und Dramatik der Handlung auf. Die drei übermütigen Elfenschwestern necken den Wassermann: „Hei-ja he, Vollmond steht über'm See! Wassermännchen, klüglich achte, wie der Mond sich hebt schon sachte…“ Das erinnert an Wagners Rheintöchter, die sich über Alberich lustig machen. Mit ihrer mädchenhaften Leichtigkeit und Klarheit in der Diktion gelingt ihnen eine beglückende Ensembleleistung. Sascha Schicht ist Spratek, ins Deutsche übersetzt ein Giftzwerg, ein Teufel. Dem entspricht er so gar nicht. Als stummes Spiegelbild des Prinzen ist er Rusalka sichtlich zugetan, streichelt sie, ist ihr immer wieder körperlich nahe, scheint sie zu beschützen. Dennoch gibt er das Messer, das ihm Ježibaba mit dem Auftrag gibt, Rusalka solle damit den Prinzen töten, an sie weiter und stürzt sie in ein Seelenchaos. Diese hinzugefügte Figur wird von Schicht ausdrucksstark und spannend gespielt, gibt aber auch Rätsel auf: Soll Rusalka auf Erden noch einen weiteren Beschützer bekommen? Soll er Rusalka über das abnehmende Interesse des Prinzen hinwegtrösten?

Es ist eine Wonne zuzuhören!

Ein besonderes Lob gebührt dem Herrenchor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden unter Leitung von Albert Horne, dessen Mitglieder jeder eine eigene Persönlichkeit zu sein scheint, und die dennoch einen vorzüglichen Klangkörper bilden. Der Chor trägt zum furiosen Gelingen des Abends mit bei und begeistert mit dem Hochzeitslied „Blümelein weiss am Wegesrand blühten wohl still bescheiden…“ mit feinem, leisen Zusammenspiel.

Nach dem tragischen Tod von Christoph Stiller, Musikalische Assistenz, der die Produktion mit auf den Weg brachte und den alle schmerzlich vermissen, führte Volker Reinhardt die Aufgabe fort.

Unter der Musikalischen Leitung von Philipp Pointner blüht das Hessische Staatsorchester Wiesbaden auf. Es spielt mit großer Verve, kostet die spannenden Phrasen der Partitur in allen Verästelungen aus, böhmisch ist der Zugriff, dunkel dicht der Klang, von Leidenschaften durchrauscht.  Die Naturstimmungen, das Schillern des Wassers, der Silberglanz des Mondes, das Sehnsuchtsmotiv nach Liebe werden zu einem spätromantischen Klangzauber, zu einer Musik, aus der Melancholie und das Lyrische spricht. Mit gutem Gespür für die Volksmusiken Dvoráks, aber auch für die impressionistischen Weisen, lässt Pointner das Orchester aufleben. Nicht nur die großartigen Holzbläsersoli, Waldhörner, sondern auch die von Dvorák mit herrlichen Kantilenen so reich bedachte Solo-Flöte überzeugen. Auch den Hörnern, den sordinierten Violinen gebührt große Anerkennung.

Ist es möglich, den seltsamen, märchenhaften Zauber dieser Oper einzufangen? Ja, es ist möglich, wie dieser Abend zeigt! Möglich, weil die Musik von einem bravourösen Dirigat, einem gut disponierten Orchester, einfühlsamer Regie und einem Bühnenbild zum Träumen getragen wird, weil das Publikum nicht entmündigt wird und sich seiner Fantasie hingeben kann, und weil hochklassige Künstlerinnen und Künstler diesen Opernabend zu einem Erlebnis machen. Herzlichen Glückwunsch an alle Mitwirkenden…

Das Publikum spendet tosenden Applaus.

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