Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, DIE JUNGFRAU VON ORLÉANS - Peter I. Tschaikowsky, IOCO Kritik, 31.12.2022

Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, DIE JUNGFRAU VON ORLÉANS - Peter I. Tschaikowsky, IOCO Kritik, 31.12.2022
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Deutsche Oper am Rhein

Deutsche Oper am Rhein / Oper am Rhein - Opernhaus © Hans Joerg Michel - www.foto-drama.de
Deutsche Oper am Rhein / Oper am Rhein - Opernhaus © Hans Joerg Michel - www.foto-drama.de

DIE JUNGFRAU VON ORLÉANS - Peter I.  Tschaikowsky

- Die Wiederentdeckung eines verschollenen Juwels -

von Uli Rehwald

Sogar ganz erfahrene Opern-Veteranen müssen zugeben: Oh je, diese Oper kenne ich wirklich gar nicht. Der sonst obligate Vergleich zwischen verschiedenen Produktionen ist auch nicht möglich. Die Oper Die Jungfrau von Orléans von Peter I. Tschaikowsky galt als fast verschollen und wurde jahrzehntelang nicht aufgeführt. Sie verschwand sogar schon zu Tschaikowskys Lebzeiten von Spielplänen der Musiktheater. Und so müssen sich heute sogar die erfahrenen Opern-Kenner in die Zeit zurückversetzen, als sie noch unerfahrene Neulinge waren; und neu hören; sich neu einlassen auf ein unbekanntes Werk.

Trailer - DIE JUNGFRAU VON ORLEANS - Rheinoper Düsseldorf youtube Deutsche Oper am Rhein [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Schon vor Beginn der Aufführung an der Rheinoper am 29.12.2022 kommt man einfach nicht vorbei an dieser Frage: "Woran könnte es gelegen haben, dass diese Oper fast verschollen war?"

An Tschaikowsky als Komponist sicherlich nicht. Schließlich sind seine beiden Ballett-Leuchttürme Schwanensee und der Nussknacker über alle Maßen bekannt, seine Symphonien über jeden Zweifel erhaben. Tschaikowsky selbst hielt die Die Jungfrau von Orleans für seine bedeutendste Oper. Also auch nicht als schwaches Jugendwerk, das mit Recht vergessen werden könnte.

Deutsche Oper am Rhein / DIE JUNGFRAU VON ORLEANS hier Maria Kataeva als Johanna © Sandra Then
Deutsche Oper am Rhein / DIE JUNGFRAU VON ORLEANS hier Maria Kataeva als Johanna © Sandra Then

Der Dirigent Péter Halász äußert bei seinen Gedanken zum Werk, dass diese Oper nur sehr schwer aufführbar, sehr schwer zu spielen ist und neben einer äußerst anspruchsvollen Titel-Rolle zusätzliche Bühnenmusik und Zusatzchor fordert. Nun ja, das sollten die großen Opernhäuser doch hinkriegen können.

Oder sollte es an der russischen Sprache liegen? Nein, Tschaikowskys Oper Eugen Onegin, auch in russischer Sprache, ist sehr erfolgreich und oft auf den internationalen Spielplänen.

Ist die historische Erzählung über die Jungfrau von Orléans vielleicht untauglich? Nein, schließlich hat Friedrich Schiller genau diese Erzählung in den literarischen Adelsstand erhoben, indem er die gleichnamige romantische Tragödie geschrieben hat.

Vielleicht liegt es an dem von Tschaikowsky selbst geschriebenen Libretto? Hier kurz die Handlung. Ein junges Bauernmädchen wird in der Not des Krieges von einem Engel berufen, den Krieg zwischen England und Frankreich zu entscheiden. Nur mit dieser Berufung in der Hand ist sie siegreich und macht sich auf zum Thronfolger, der sie an die Spitze seines Heeres stellt. Leider muss sie bei ihrer himmlischen Berufung ein Keuschheitsgelübde ablegen. Und schon passiert es: Sie kämpf gegen einen feindlichen Soldaten, in den sie sich verliebt. Den sie zwar besiegt, aber nicht töten kann. So wird sie ihrem Gelöbnis untreu und ist hin und her gerissen zwischen Gefühlswelten, Pflichterfüllung und dem himmlischen Auftrag. Zusätzlich klagt dann noch ihr eigener Vater sie der Hexerei an. Sie wird vom König schuldig gesprochen und verbannt, löst sich in ihrer Verzweiflung auch von der gerade gefundenen Liebe. Schließlich wird ihr Geliebter vom Feind getötet und sie wird gefangen genommen. Am Ende der Oper wird sie zu den Stimmen von Engels-Chören auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Also: Das ist ganz sicher ein fulminanter Opernstoff. Großartige, widerstreitenden Gefühlswogen sind garantiert. Am Libretto kann es auch nicht liegen, dass die Oper im deutschen Sprachraum so unbekannt blieb.

Selten dürften so viele “Opern-Neulinge“ im Zuschauerraum gesessen habe. Es war also wirklich spannend, was uns in Düsseldorf, in der Deutschen Oper am Rhein präsentiert wurde.

Zunächst ist ein Bühnenbild von Annika Haller zu sehen, in dem auf die von Tschaikowsky vorgesehenen Orte der Handlung verzichtet wird. Die gesamte Handlung findet vielmehr im Inneren einer Kirche statt. Die Inszenierung von Elisabeth Stöppler erzählt nicht einfach die historische Geschichte nach. Und schon gar keine Heldin. Vielmehr eine verletzliche Frau, blutverschmiert, zweifelnd, innerlich strauchelnd. Sie verdeutlich vor allem sehr symbolstark und konzentriert-gelungen die Innenwelt der Titelheldin. Die Zerrissenheit einer Frau zwischen allen Fronten.

Deutsche Oper am Rhein / DIE JUNGFRAU VON ORLEANS hier vorne Mara Guseynova (Engel), Maria Kataevea (Johanna), Richard Šveda (Lionel) © Sandra Then
Deutsche Oper am Rhein / DIE JUNGFRAU VON ORLEANS hier vorne Mara Guseynova (Engel), Maria Kataevea (Johanna), Richard Šveda (Lionel) © Sandra Then

Was in den beiden Hauptrollen zu hören ist, ist heute sicher internationale Klasse:  Johanna von Orleans ist die international gefragte Mezzosopranistin Maria Kataeva aus dem Ensemble der Deutschen Oper am Rhein in ihrem Rollendebut. In der riesigen, komplexen Rolle beherrscht sie alles, von den mühelos hohen Tönen bis zum wunderleichten Legato, vom wagnerhaft dramatischen Forte bis zum samtig-rührenden, innigem Pianissimo der zerbrechlichen Johanna; vor Allem ist Kataeva wunderbar in der schauspielerischen Darstellung durch diesen Orkan der Gefühle; diese Ikone der Weltgeschichte kann sie tatsächlich glaubhaft darstellen.

Der Chor stellt, für eine Oper ungewöhnlich, die andere Hauptrolle dar. Mächtig in Szene gesetzt, noch mächtiger und doch differenziert in der Stimmgewalt, führt der von Gerhard Michalski geleitete Chor der Deutschen Oper am Rhein durch die Handlung und prägt die Höhepunkte der Oper. Der Kirchenchoral im 1. Akt, die große Chor-Schluss-Szene und auch die vom Chor gestellten großartigen Gruppenbilder werden lange in Erinnerung bleiben.

Die weiteren Rollen sind durch die Bank weit überdurchschnittlich. Angefangen mit dem von Mara Guseynova dargestellten Engel, der neben seinem glockenhellen Sopran auch in den stummen Passagen für Gänsehaut sorgen kann. Ein sehr bühnenpräsenter Evez Abdulla als Dunois mit satter Stimmführung. Und stimmgewaltig, überzeugend Richard Sveda als Lionel. Glänzend dargestellt der schäbig charakterlose Karl VII von Sergej Khomov. Überhaupt, manchmal hatte man fast schon den Eindruck, ein packendes Bühnenschauspiel mit zu erleben und keine Oper.

Die Düsseldorfer Symphoniker unter Péter Halász übertreffen sich an diesem Abend, reißen mit romantischer Glut durch die leuchtenden Gefühlswelten. Tragen differenziert auch schwierige Stellen mit Tutti aller Sänger und dem kompletten Chor.

Mehrfachem Szenenapplaus folgte langanhaltender, entfesselter Schlussapplaus, mit viel Bravorufen für den Star des Abends, Maria Kataeva.

Zum Abschluss noch einmal: War diese Oper zu Recht verschollen? Oder ist sie doch ein Juwel? Diese Fragen lassen sich nach der heutigen Aufführung eindeutig beantworten. Es ist ein wahrlich monumentales Meisterwerk, ruft sogar Gänsehaut bei Opern-Veteranen hervor. Mit etwas Glück haben wir das Wunder miterlebt, dass diese Oper die Ära des Verschollen-Seins beendet hat.

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