Hamburg, Teehaus Yu Garden, Liedersoirée mit Lini Gong, IOCO Kritik, 02.11.2022

Hamburg, Teehaus Yu Garden, Liedersoirée mit Lini Gong, IOCO Kritik, 02.11.2022
Yu Garden in Hamburg Rothenbaum © Wikimedia Commons / Pauli-Pirat
Yu Garden in Hamburg Rothenbaum © Wikimedia Commons / Pauli-Pirat

Lini Gong - verzaubernde Liedersoirée

- Berührende Begegnung mit chinesischen und deutschen Kunstliedern lm Teehaus Yu Garden -

von Michael Stange

Hamburg verfügt über eine Vielzahl kultureller Spielorte. Abseits der üblichen Pfade ist das Teehaus Yu Garden ein Geheimtipp. Der chinesische Pavillion ist das sichtbarste Symbol der Verbindung zwischen Shanghai und Hamburg. Nahe der Alster bietet er im Stadtteil Harvesterhude neben fernöstlichen Gourmetfreuden auch einen Veranstaltungssaal mit ausgezeichneter Akustik.

Dort hat am 23.10.2022  Lini Gong ihren neuen Liederabend präsentiert. Lini Gong hat sich im klassischen Opernrepertoire und in der neuen Musik unter anderem als Interpretin der Werke Peter Ruzickas international einen Namen gemacht. Ihre Vielfältigkeit stellte sie im letzten Jahr als Einspringerin mit Offenbach-Melodien auf dem Hamburger Rathausmarkt unter Beweis. Ein wesentlicher Mosaikstein ihres Schaffens ist der Liedgesang. Hier hat sie unter dem Titel Spectrum beim Label Solo Musica ein hörenswertes Album mit Liedern der Romantik und der Moderne vorgelegt.

Yu Garden Hamburg / Li Gong (links) hier mit mit der Pianistin Ya-ou Xie © Oliver Nilsson
Yu Garden Hamburg / Li Gong (links) hier mit mit der Pianistin Ya-ou Xie © Oliver Nilsson

Im aktuellen Programm stellt Lini Gong thematisch Aspekte des Frauenbildes in China und Deutschland anhand zweier Literaturvorlagen gegenüber.

Im chinesischen Teil wird die tragischen Figur Lin Daiyü aus dem bedeutendsten historischen Roman Chinas Der Traum der Roten Kammer beleuchtet. Das Werk wurde im 18. Jahrhundert von Cao Xuequin verfasst. Daiyü wird als eine wird als gebildete, intelligente, witzige und schöne junge Frau von körperlicher Gebrechlichkeit geschildert, die zur Wehmut neigt. Ihr Charakter bildet einen der Hauptstränge des Buches, das nebendem vom Liebesdreieck zwischen Daiyu, Jia Baoyu und Xue Baochai erzählt.

Ein prägnanter Moment des Romans, der oft in der chinesischen Kunst und auch in chinesischen Opern dargestellt wird, ist die Episode "Daiyü begräbt die Blumen“. Dort wird Daiyü nach einem Missverständnis mit Baoyu von Melancholie überwältigt, geht in den Garten, sammelt heruntergefallene Blütenblätter, wickelt sie in Seide, um sie rein zu halten und vergräbt sie dann an einem Hügel. Sie bricht in tiefe Tränen aus über die eigene Vergänglichkeit und die der toten Blütenblätter.

Lini Gong stellte die drei Lieder „Die roten Bohnen“, „Grab der welkenden Pracht“ und „Fleisch und Knochen“ des Komponisten Wang Li Ping vor, der sie für eine Fernsehverfilmung des Romans „Der Traum der Roten Kammer“ in den achtziger Jahren schuf. Die Lieder beschreiben einzelne Episoden des Romans. Gegenübergestellt werden diese drei Lieder drei Neukompositionen auf die gleichen Ausgangstexte von Shuhan Hu, Kee Chong Yong und Shih-Hui Chen. Sie wurden im besuchten Konzert uraufgeführt.

Ziel Lini Gongs war, dass drei Komponisten mit den von ihr angeregten Neukompositionen die eine musikalisch zeitgemäße Sicht auf die tradierten Texte zeigen und sie aus der Perspektive der heutigen Frau neu beleuchten.

Li Ping Wangs Kompositionen sind von großer Finesse. Sie stehen in der Paarung von innigem Ton und ihren verhaltenen Ausbrüchen eher für einen tradierten Kompositionsstil. Geboren im Jahr 1942 hatte Wang eine Reihe von Stationen Stationen im chinesischen Musikleben absolviert, als er die Lieder komponierte. Vor allem paarte er dort Elemente der chinesischen Musiktradition mit den Einflüssen Europäischer Musik.

Das erste Lied „Die roten Bohnen“ erzählt eine Geschichte von Liebeschmerzen, Sehnsucht aber von auch der Hoffnung. Wang beginnt seine Komposition angelehnt an den Stil der Peking Oper und gelangt dann zu einem poetischen melodischen Faden.

Yu Garden Hamburg / Li Gong, hier zu ihrer Liedersoirée © Oliver Nilsson
Yu Garden Hamburg / Li Gong, hier zu ihrer Liedersoirée © Oliver Nilsson

Die Herausforderung für Lini Gong bestand darin, schon zu Beginn des Konzerts alle ihr zur Verfügung stehenden stimmlichen Mittel einzusetzen und nach einer gleichsam verschattetet klingende Kaskade zahlreiche Obertöne in einem feuerwerksgleichen Stakkato zu verströmen. Anschließend gestaltete sie den wehmutsvollen Übergang zu an die Europäische Romantik erinnernden Klängen mit zarter Poesie. So erweckte sie die blühende Erwartung der erfüllten Liebe. Shuhan Hus Komposition war von zahlreichen dramatischen Abgründen geprägt. Die Komposition bestach durch eine gleichsam dunkel funkelnde Magie. Hier war Lini Gong besonders in ihrer agilen Virtuosität und Attacke gefordert.

Das zweite Lied „Grab der welkenden Pracht“ behandelt die eingangs erwähnte Episode des Romans der vom Begräbnis der Blüten erzählt. Nach Wangs emphatischer Liedgestaltung findet die Komponistin Kee Chong Yong zu auch dissonant verstörenden Tönen und verleiht der Seelenqual der Protagonistin eine tonal nahezu apokalyptische Perspektive. Das Klavier nutzt sie über die Tasten hinaus noch als Zupf und Schlaginstrument.

Auch im letzten Lied geht es um Schmerz und Trennung. Hier folgt bei Wang auf einen elegischen Beginn eine tastende Liedgestaltung. Shih-Hui Chen findet völlig individuell mitreissende Töne. Sie streicht die Einsamkeit der Figur dadurch heraus, dass sich Lini Gong selbst mit Windspielen aus Bambus und Metall und mit einer Klangschale begleitet. Dadurch dominiert die Singstimme und kommt mit ihrer dramatisch verletzten Erzählung ungemein stark zur Geltung.

Für den Zuhörer, der des Chinesischen nicht mächtig ist, ist das Verfolgen des Zyklus nur auf den ersten Blick eine große Herausforderung. Lini Gong und der Pianistin Ya-ou Xie gelang es, die Hörer durch ihre Ausstrahlung, den Fluß der Darbietung und ihre innere Begeisterung vom ersten Moment zu packen.

Im zweiten Teil stand die deutsche Romantik und Goethes „Mignon“ aus Wilhelm Meister mit den vier Liedern Mignons op. 98a von Robert Schumann im Fokus. Nach „Kennst du das Land?“ folgten „Nur wer die Sehnsucht kennt“, „So lasst mich scheinen, bis ich werde“ und „Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen“.

Wie Daiyü hat auch Mignon mit ihrer Sehnsucht nach Italien und Wilhelm ein tragisches Schicksal, das im Tod mündet. Beide Frauen leben in einer Welt, die systematisch und systemisch Männer Frauen überordnet. Gleichwohl sind Treiberinnen der Entwicklung der Erzählungen. Dies umfasst den Kampf um Anerkennung und Teilhabe als unveräußerliches Recht der Selbstbestimmung und Freiheit. Diese beiden Meilensteine der literarischen Auseinandersetzung der Anerkennung der Gleichberechtigung der Frau in der Literatur hat Lini Gong in bewundernswerter Weise aufgegriffen, Die schwierige Aufgabe den Feminismus in der Entwicklung von Gesellschaft und Gleichberechtigung darzustellen wurde im ersten Teil durch die Neukompositionen unterstützt. Im zweiten Teil konnte sie bei der Ausdeutung auf ihre inneren Empfindungen vertrauen und sie in die Ausleuchtung der Werke einbringen. Eine Mischung aus Seelenqual, Selbstbewusstsein und Streitbarkeit gelang ihr mit großer Bandbreite stimmlicher Ausdrucksmittel, mit denen sie das Selbstbewusstsein Mignons aber auch ihre Verletzlichkeit zum Klingen brachte.

Die Pianistin Ya-ou Xie zeigte neben den Begleitungen ihr Können in Clara Schumanns Variationen über ein Thema von Robert Schumann für Klavier, Op.20. Mit großer Inwendigkeit gelangen ihr eindrucksvolle Stimmfarben und eine romantisch betörende Modulation

Clara Schumann in Düsseldorf copyright IOCO
Clara Schumann in Düsseldorf copyright IOCO

Lini Gong ist eine ideale Liedgestalterin. Sie nimmt die Lieder stets als gleichwertige Symbiose zwischen Wort und Ton. Durch ihre Textdeutlichkeit und ihre immense Sensibilität und Fähigkeit den Wortsinn poetisch durch eine feingliedrige Modulation zu transportieren ist sie eine ideale Botschafterin des Kunstliedes. Was ihr zudem immens zu Gute kommt, ist, dass sie über ein ausgeglichenes und in jeder Tonlage klangschönes Gesangsregister mit einer immensen Geläufigkeit in den Koloraturen und nie versiegende leuchtende Spitzentöne verfügt. Ihre Stimmfarben und die Vielfalt der eingesetzten stimmlichen Schattierungen sind in dieser Kombination überaus rar und machen sie zu einer Ausnahmekünstlerin. Ihr gelangen zahlreiche Momente von der Poesie bis zu tiefen Abgründen die beseelten und erschaudern ließen.

Beide Künstlerinnen vereint in beiden Konzertteilen eine hohe Konzentration, die Hinwendung zu den Werken und die Fähigkeit, ihre die musikalischen Botschaften aus ihrem tiefen Empfindungen heraus erklingen zu lassen und dadurch ein Fluidum des ganzen Kosmos der Dichtungen und Kompositionen zu erzeugen.

Lini Gong und Lin Daiyü haben in einem eindrucksvollen Recital den Literaturgestalten Daiyü und Mignon mit beseelter Leidenschaft und großer Kunstfertigkeit neues Leben eingehaucht und sie so auf der Bühne erstehen lassen. Ein packender Liederabend, der mit großem Applaus belohnt wurde.

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