Linz, Landestheater, FANNY UND ALEXANDER - Gisle Kverndokk, Øystein Wiik, IOCO Kritik, 01.07.2022

Linz, Landestheater, FANNY UND ALEXANDER - Gisle Kverndokk, Øystein Wiik, IOCO Kritik, 01.07.2022


Landestheater Linz

Landestheater Linz / Neues Musiktheater Volksgarten © Sigrid Rauchdobler
Landestheater Linz / Neues Musiktheater Volksgarten © Sigrid Rauchdobler

FANNY UND ALEXANDER -  Musical von Gisle Kverndokk, Øystein Wiik

- eine komplexe Handlung: beim Picknick erzählt das Kindermädchen Maj, von Gustav Adolf schwanger, Helena von den merkwürdig Nachrichten Alexanders .... -

von Marcus Haimerl

Mit zweijähriger Verspätung fand am 16. April 2022 die Uraufführung des Musicals Fanny und Alexander des norwegischen Komponisten Gisle Kverndokk (*1967) statt. Das Libretto nach dem gleichnamigen Film des schwedischen Meisterregisseurs Ingmar Bergman stammt von dem norwegischen Librettisten Øystein Wiik, der sich auch als Musicaldarsteller, Schauspieler und Autor einen Namen gemacht hat. Das Auftragswerk des Landestheater Linz ist erst die zweite Vertonung eines Bergman-Films. Das erste Musical nach einem Stoff von Ingmar Bergman stammt von Stephen Sondheim. Dieser vertonte die Komödie Das Lächeln einer Sommernacht (Originaltitel: Sommarnattens leende) 1973 unter dem Titel A Little Night Music.

FANNY UND ALEXANER - Musical von Gisle Kverndokk, Øystein Wiik youtube Landestheater Linz [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Fanny und Alexander, 1982 sowohl als dreistündige Kinofassung, aber auch als fünfeinhalbstündiger Zweiteiler erschienen, ist der letzte Kinofilm des schwedischen Regisseurs, es folgten nur noch einige wenige Fernsehfilme.

 Landestheater Linz / Fanny und Alexander hier Hanna Kastner, Franziska Stanner © Reinhard Winkler
Landestheater Linz / Fanny und Alexander hier Hanna Kastner, Franziska Stanner © Reinhard Winkler

Einfache Kost ist die Filmvorlage ebenso wenig wie das Libretto Øystein Wiiks, welches ziemlich genau dem Drehbuch Ingmar Bergmans folgt. Die Handlung spielt in Bergmans Geburtsstadt Uppsala im Jahr 1907. In ihrem Theater führt die Familie Ekdahl ihr traditionelles Weihnachtsspiel auf. Beim anschließenden Weihnachtsfest bei Helena Ekdahl trifft sich die ganze Familie: ihre Söhne Oscar (der Theaterleiter) mit seiner Frau Emilie, Carl (ein Professor) und Gustav Adolf (ein Restaurantbesitzer) mit deren Gattinnen Lydia und Alma, Helenas Enkel Alexander, Fanny und Jenny, aber auch Helenas Freund Isak Jakobi, sowie Theaterleute, Freunde und Bedienstete. Alexander bekommt von seiner Großmutter eine Laterna Magica geschenkt. Von den Bildern inspiriert, erfindet er für sich und seine Schwester die Geschichte von der schönen Arabella. Während Oscar seinen Kindern die „Geschichte vom Stuhl“ erzählt, verführt Gustav Adolf das Kindermädchen und Carl versteht nicht, warum er seine Frau Lydia derartig schlecht behandelt. Alma erträgt die Untreue ihres Mannes ebenso wie Lydia die Schmähungen ihres alkoholkranken, depressiven Gatten. Als Oscar während einer Theaterprobe zusammenbricht und stirbt, steht Bischof Edvard Vergérus der verzweifelten Familie bei.

Im folgenden Sommer eröffnet Emilie ihren Kindern, sie werde den Bischof heiraten. Dieser führt auch gleich ein ernsthaftes Gespräch mit Alexander auf Grund seiner erfundenen Geschichte über dessen Verhältnis zu Wahrheit und Lüge. Während sich Edvard und Emilie ihre Liebe gestehen, bleibt die Familie Ekdahl gegenüber dieser Ehe skeptisch. Nach der Hochzeit zieht Emilie mit ihren Kindern in den düsteren Bischofssitz. Zu dem gläubig-strengen Haushalt gehören auch Edvards Mutter Blenda, seine Schwester Henrietta und Tante Elsa. Gleich beim ersten Essen kommt es zu Differenzen. Emilie bittet ihre Kinder, die diese Heirat immer noch nicht verstehen können, um etwas Geduld.

Landestheater Linz / Fanny und Alexander hier Gabriel Federspieler, Karsten Kenzel © Reinhard Winkler
Landestheater Linz / Fanny und Alexander hier Gabriel Federspieler, Karsten Kenzel © Reinhard Winkler

Bei einem Picknick der Familie Ekdahl erzählt das Kindermädchen Maj, die mittlerweile von Gustav Adolf schwanger ist, Helena von den merkwürdig distanzierten Nachrichten Alexanders. Gleichzeitig erzählt Edvards Hausmädchen Justina den Kindern, dass die erste Frau des Bischofs gemeinsam mit beiden Töchtern ertrunken ist. Alexander spinnt die Geschichte zu einer Version fort, in welcher der Bischof der Schuldige an diesem Unglück ist. Emilie gesteht Helena, dass sie die Ehe mit dem sadistischen Edvard bereut und dieser ihr nicht nur die Scheidung verweigere, sondern ihr in diesem Fall vielmehr auch die Kinder nehmen würde. Währenddessen wird Alexander vom Bischof zur Rede gestellt, er habe ihn des Mordes an seiner Frau bezichtigt. Zur Strafe wird er geschlagen und auf dem Speicher eingesperrt.

Landestheater Linz / Fanny und Alexander hier Gabriel Federspieler, Muriel Nova © Reinhard Winkler
Landestheater Linz / Fanny und Alexander hier Gabriel Federspieler, Muriel Nova © Reinhard Winkler

Helena bittet Isak um Hilfe. Es gelingt ihm mit List und ein wenig Zauberei, Fanny und Alexander aus ihrer Gefangenschaft im Bischofssitz zu befreien. Isak bringt die Kinder in seinem Haus in Sicherheit. Isaks Neffe, der Puppenmacher flößt Alexander mit seiner Darstellung eines strafenden Gottes Angst ein. Sein geheimnisvoller Bruder Ismael scheint direkt in Alexanders Kopf zu sehen, als er ihm die Vision eines brennenden Bischofsitzes vermittelt. Die mittlerweile ebenfalls schwangere Emilie hat Edvard heimlich ein Schlafmittel verabreicht, um sich selbst aus seiner Gefangenschaft zu befreien. Am nächsten Tag wird bekannt, dass Edvard durch ein Feuer, verursacht von seiner Tante Elsa, ums Leben kam.

Ein halbes Jahr später feiern die Ekdahls die Taufe der beiden kleinen Töchter von Emilie und Maj. Während Gustav Adolf das Ekdahlsche Wonneland beschwört, überzeugt Emilie, mittlerweile Theaterleiterin, Helena auf die Bühne zurückzukehren.

Die geniale Musik Gisle Kverndokks klingt insgesamt sehr viel mehr nach einer tonalen, zeitgenössischen Oper, nur eine wenige Musikstücke erinnern tatsächlich an das Genre Musical. Mit Fanny und Alexander schrieben beide, Gisle Kverndokk und Øystein Wiik, ein großartiges, tiefsinniges und berührendes Werk.

Regie führte Musicalchef Matthias Davids. Ihm gelingt eine eindringliche Personenführung in einer Intensität wie man sie ansonsten eher im Sprechtheater erwarten würde. Hans Kudlich (Bühne) setzt unterschiedliche, oftmals auch durchscheinende Wände auf eine Drehbühne, die sich vielseitig verwenden lassen. So wird beispielsweise aus der Kanzel der Kirche später das Stockbett Fanny und Alexanders im Bischofssitz. Auch sonst ermöglicht die Drehbühne mit den teilweise verschiebbaren Wänden rasche Szenenwechsel. Mit ihren wunderbar authentischen Kostümen vervollständigt Susanne Hubrich das Leading Team.

Landestheater Linz / Fanny und Alexander hier Sanne Mieloo, David Arnsperger © Reinhard Winkler
Landestheater Linz / Fanny und Alexander hier Sanne Mieloo, David Arnsperger © Reinhard Winkler

Aber auch die musikalischen und darstellerischen Leistungen innerhalb des gesamten und homogenen Ensembles sind immens. Als Matriarchin Helena Ekdahl brilliert Franziska Stanner.  Sie spielt hier keine Großmutter, sie ist die Großmutter Fanny und Alexanders, die alles für ihre Enkelkinder tut und berührt nicht nur in ihrer Darstellung, sondern vielmehr auch in ihren beiden nostalgisch-wehmütigen Gesangsnummern Wir spielen unsere Rollen und Im selben Augenblick. Karsten Kenzel überzeugt mit schöner Diktion in der Rolle des Oscar, als liebevoller Vater, der die Fantasie seiner Kinder fördert und seinen Kindern selbst noch aus dem Jenseits Trost spendet. Die intensiv gestaltete Sterbeszene rührt zu Tränen.  Die mit der Dramatik der Handlung zunehmend intensivere Leistung von Sanne Mieloo als Emilie begeistert ebenso, wie ihre außerordentliche Gesangsleistung. Als Fantasiemärtyrer Alexander erlebt man den 12-jährigen Gabriel Federspiel, dessen unglaubliche Begabung seinesgleichen sucht. Seine Darstellung, die Mimik, sein Textverständnis in dieser fordernden Rolle mit langen Textpassagen sind ebenso unglaublich wie sein musikalisches Talent. Max Niemeyer begeistert als ein mit seiner Libido kämpfenden Gustav Adolf und ist trotz seiner Seitensprünge ein großer Sympathieträger, der auch musikalisch zu überzeugen vermag. Eine beachtliche Leistung liefert auch Gernot Romic als verschuldeter, schwermütiger Carl, der mit dem Lied Wie kam’s dazu, eines der eher schwierigen, beinahe atonalen Gesangsstücke mit Bravour meistert. Unglaublich überzeugend ist David Arnsperger als Bischof Edvard Vergérus in seiner Wandlung vom mitfühlenden Seelsorger bis hin zum wahnsinnigen Sadisten, der selbst vor Handgreiflichkeiten nicht zurückschreckt, begeistert das Publikum aber auch mit der Strahlkraft seines schönen, kräftigen Tenors. Sensationell ist auch der Countertenor Alois Mühlbacher, der als Isaks Neffe Ismael Retzinsky mit seiner schönen, besonders klaren Stimme für überirdisch schönen Gesang sorgt. Großes leisten auch Nina Weiß (Alma) und Daniela Dett (Lydia) als leidgeprüfte Schwiegertöchter Helena Ekdahls. Klaus Brantzen als Isak Jakobi ist ein treuer Freund Helenas und großväterlicher Beschützer für Fanny und Alexander,berührend mit dem Titel Der Quell des Glücks. Als ebenso liebevolles, wie außerhalb des Kinderzimmers liebestolles Kindermädchen begeistert Hanna Kastner das Publikum. Birgit Zamulo als Mutter Blenda und Tina Schöltzke als Schwester Henrietta sorgen für ausreichend Eiseskälte und Disziplin im bischöflichen Haushalt. Aber auch die restlichen kleineren Rollen sind hervorragend besetzt: Lukas Sandmann als Aron Retzinsky und Schauspieler Mikael Bergmann, Muriel Nova als Fanny, Celina dos Santos als die beiden Dienstmädchen Justina und Rosa, Hannah Moana Paul und Viktoria Gruber als Petra und Jenny, die beiden Töchter Gustav Adolfs und Alma, Joel Parnis (bedauerlicherweise nur in der Sprechrolle) unter anderem als Arzt Dr. Fürstenberg, Peter Andreas Landerl als der Schauspieler Filip Landahl, sowie als Elsa Bergius, der Tante des Bischofs und Polizeikommissar Gantelius.

Das rund 14-köpfige Ensemble aus Streichern, Bläsern und einer Harfe wird vom Klavier aus von Tom Bitterlich geleitet und sorgt für den herausragenden, großteils fast kammermusikalischen Klang. Entsprechend groß war auch der Applaus und Jubel des Publikums für alle Protagonisten, natürlich aber auch besonders für Alexander Gabriel Federspiel ebenso für einen großartigen Abend, der noch lange nachhallen wird.

Mittlerweile ist auch eine CD mit ausführlichem Booklet inklusive Liedtexte erschienen. Neben Streaming Portalen wie Spotify und Amazon Music ist die CD um EUR 15,00 an den Kassen des Landestheater Linz zu erwerben. Das Reinhören bei diesem Ensemble lohnt sich auf jeden Fall.

FANNY UND ALEXANDER im Landestheater Linz;  Termine werden in Kürze bekannt gegeben, link HIER!

---| IOCO Kritik Landestheater Linz |---