München, Herkulessaal, UKRAINE IM HERZEN - Benefizkonzert, IOCO Aktuell, 11.06.2022

München, Herkulessaal, UKRAINE IM HERZEN - Benefizkonzert, IOCO Aktuell, 11.06.2022
Herkulessaal / in der Münchner Residenz © Bayerische Schlösserverwaltung
Herkulessaal / in der Münchner Residenz © Bayerische Schlösserverwaltung

UKRAINE IM HERZEN - Bejubeltes Benefizkonzert

von Adelina Yefimenko, Maria Pryshlak, Oleksandr Piriyev

Am Samstag, 28. Mai 2022 fand im Herkulessaal der Münchner Residenz ein Benefizkonzert unter dem Namen Ukraine im Herzen zur Unterstützung des Kinderkrankenhauses OKHMATDIT in Kyjiw statt. Das Kinderkrankenhaus OKHMATDIT ist eines der wenigen Krankenhäuser in der Ukraine, die Kinder mit Kriegsverletzungen behandeln können. Auch das Krankenhaus OKHMATDIT war Ziel russischer Raketenangriffe, selbst in der Neugeborenen-Station schlugen Granatsplitter ein.

Adelina Yefimenko, Professorin an der Nationalen M.-V.-Lysenko-Musikakademie Lviv, an der Ukrainischen Freie Universität (UFU), München, und an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU München) ist Co-Autorin dieses Berichts zusammen mit Professorin Maria Pryshlak, Rektorin der Ukrainischen Freien Universität und dem ukrainischen Musikproduzenten und Cellisten Oleksandr Piriyev.

Herkulessaal / UKRAINE IM HERZEN © Denys Dolzhenko
Herkulessaal / UKRAINE IM HERZEN © Denys Dolzhenko

Das von der Ukrainischen Freien Universität in Zusammenarbeit mit der Konzertagentur UKR Artists veranstaltete Konzert stand unter Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt München Dieter Reiter. Diese seit 1945 in München ansässige, weltweit einzige ukrainische Exiluniversität lud hierfür Künstlerinnen und Künstler aus Münchens Partnerstadt Kyjiw sowie Lwiw und Mariupol in den Herkulessaal ein. Grußworte sprachen Prof. Maria Pryshlak, Rektorin der Ukrainischen Freien Universität, Vitaliy Klitschko, Bürgermeister von Kiew und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter u.a. Zu dem Benefizkonzert kam als Gast Wasyl Krjatschok – Direktor, künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Kammerorchesters Renaissance der Kammerphilharmonie in der Stadt Mariupol. Er sah das zerbombte Gebäude des Dramatheaters in Mariupol und der Kammerphilharmonie, wo vor dem Krieg alle Konzerte stattfanden. „Für den Juni dieses Jahres hatten wir die 33. Konzertsaison des Orchesters Renaissance geplant, welches vor 33 Jahren gegründet wurde“, – so Wasyl Krjatschok. Er erlebte die schrecklichen Zerstörungen seiner Heimatstadt und mit Tränen in den Augen aber mit der großen Hoffnung über die ukrainische Kultur und Musik der Gegenwahrt und Zukunft sprach. Über 40 Jahre seines künstlerischen Lebens hat er der Kulturstadt Mariupol gewidmet.

Der Herkulessaal in der Münchner Residenz – einer der berühmtesten Konzertsäle Bayerns – war der richtige und sehr wichtige Ort für dieses Konzert. Der Name Herkules klingt eloquenter denn je – der berühmte Held symbolisierte die Ukraine, die mutig gegen einen heimtückischen, bösartigen und übermächtigen Feind kämpft. Diese Figur ist auch deswegen so symbolhaft, weil sich eine Herkules-Skulptur auch im Rathaus der zerstörten Stadt Butscha in der Ukraine befand. Die dortige Skulptur stellte Herkules in einer Kampfszene dar, als er das Maul des nemeischen Löwen aufreißt. Dort sind auch nur noch Ruinen. Jetzt kämpft die Ukraine für ihre Unabhängigkeit. Um die ukrainische Kultur zu bewahren spielten die Musiker die Werke der ukrainischen Komponisten neben den Werken von Johann Sebastian Bach, Samuel Barber u.a. Die Auswahl der Solistinnen und Solisten symbolisierte die professionelle Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und europäischen Ländern.

Dazu gehörten u.a. die weltbekannte ukrainische Opernsängerin und Solistin der Wiener Staatsoper Olga Bezsmertna, der Geiger Vasyl Zatsikha aus Lausanne, die Geigerin Natalija Raithel aus München, der Flötist Ivan Karpyak und der Cellist Oleksandr Piriyev aus Kyjiw.

Die Hauptdarsteller und Solisten des Konzerts kamen von der Philharmonie Lwiw unter der Leitung des Chefdirigenten der Lwiwer National-Oper Ivan Cherednichenko, der vor wenigen Wochen beide Eltern in der Stadt Irpin im Krieg verloren hat. Das Symphonie-Orchester der Nationalen Philharmonie Myroslav Skoryk in Lwiw ist ein Ensemble mit einer jahrhundertlangen Geschichte.

Das erste Konzert des Kollektivs fand am 27. September 1902 statt und der erste leitende Dirigent des Orchesters war Ludvík Vítezslav Celanský. Im Laufe der Geschichte des Orchesters haben berühmte Dirigenten mitgewirkt, wie Richard Strauss, Gustav Mahler, Ruggero Leoncavallo, Mieczyslaw Karlowic und Lorenzo Perosi.

Seit 2018 arbeitet das Orchester erfolgreich mit dem amerikanischen Dirigenten ukrainischer Abstammung Theodore Kuchar zusammen, der seitdem als leitender Gastdirigent wirkte und seit Mai 2022 zum leitenden Dirigenten ernannt wurde. Das Orchester gab erfolgreich Gastspiele in vielen Ländern wie Polen, Italien, Spanien, Frankreich, der Schweiz, Deutschland, den Niederlanden und China. In den letzten Spielzeiten machte das Orchester eine Reihe von wichtigen Aufnahmen für große internationale Labels wie Naxos und Brilliant Classics. Deren Orchesterbesetzung zählt zu den größten in der Ukraine.

Bei diesem Konzert im Herkulessaal trat das Orchester als Kammerorchester auf, ausschließlich mit seiner „weiblichen Hälfte“, denn aufgrund des Kriegsrechts in der Ukraine dürfen Männer nicht oder nur sehr eingeschränkt ausreisen, damit sie bei den Verteidigungsanstrengungen mithelfen.

Herkulessaal / UKRAINE IM HERZEN © Denys Dolzhenko
Herkulessaal / UKRAINE IM HERZEN © Denys Dolzhenko

Das Konzertprogramm präsentierte sowohl weltberühmte Werke wie das Konzert für zwei Violinen von Johann Sebastian Bach und Adagio von Samuel Barber als auch die Werke der ukrainischen Komponisten Jewhen Stankowytsch, Hanna Hawrylez, Yuri Shevchenko und Myroslav Skoryk – der Komponist der legendären Melodie, die seit der Fassung des Violonisten Daniel Hope in allen Konzertsälen Europas erklingt und sinnbildlich für den Mut und die Seele des ukrainischen Volkes im Kampf für Unabhängigkeit, Freiheit und für die europäischen Werte steht.

Das Konzert wurde mit dem Werk „Plyne Katscha“ eröffnet. Die Melodie des ukrainischen Volksliedes „Plyne Katscha po Tysyni…“ wurde ursprünglich vom Folkloristen Dezsö Zádor in Transkarpatien aufgenommen, im Dorf Wolowets, das vor Kurzem von Raketen der russischen Aggressoren getroffen wurde. Während der Revolution der Würde (2013-2014) wurde dieses Lied, in dem die Sehnsucht einer Mutter nach ihrem toten Sohn zum Ausdruck kam, in der Ukraine zu einem Requiem-Lied. Genau dieses Lied lässt man heute in der Ukraine beim Abschied von Helden erklingen, die bei der Verteidigung des Vaterlands ihr Leben verloren. Der Autor der aktuellen Bearbeitung für Streichorchester ist der ukrainische Cellist Victor Rekalo.

Die nächsten zwei Werke präsentierten die Musik des berühmten ukrainischen Komponisten Myroslav Myroslav Skoryk: „Dyptychonfür Kammerorchester und „A-Ri-Afür Cello und Kammerorchester. Die Uraufführung von Dyptychon“ fand 1994 in den USA beim Music Mountain Festival statt. In Anwesenheit des Autors wurde das Musikstück von dem Mykola-Leontowytsch Streichquartett, einem der berühmtesten ukrainischen Ensembles des 20. Jahrhunderts, aufgeführt. Heute ist dieses Werk das meistgespielte Stück des ukrainischen Streichquartetts. Der Komponist schrieb später noch eine spezielle Fassung für Streicher. „Dyptych“ gehört zu der Schaffensperiode von Myroslav Skoryk, die als "Stilspiel" bezeichnet wird. Im Stück erkennt man ein für den Neoklassizismus charakteristisches, witziges und unerwartetes Zusammenwirken von Elementen zeitlich sehr unterschiedlicher Musikepochen. Die Uraufführung des Musikwerks „A-Ri-A“ für Cello und Kammerorchester fand 1994 in der Carnegie Hall in New York statt. Damals erklang das Stück in einer Aufführung für Cello und Klavier. Später schrieb der Komponist eine Version für Cello und Streichorchester, die auf der CD „Myroslav Skoryk im Jazz-Stil“ verewigt wurde. Der Cellist Oleksander Piriyev hatte eine besondere Verbindung zu dem ukrainischen Komponisten Myroslav Skoryk. Oleksandr Piriyev ist auch als Musikproduzent vieler herausragender Festivals in der Ukraine bekannt: Tschaikowski FEST, Charkiw Music Fest und Mariupol Classic. Bei diesem Konzert spielte Oleksandr Piriyev auf dem Instrument eines deutschen Geigenbauers aus dem 19. Jahrhundert, das ihm ein führender Geigenbauer Deutschlands, Michael Jaumann, zur Verfügung gestellt hat.

Zum Höhepunkt des ersten Konzert-Teils wurde die Kammersymphonie Nr. 3 von Jewhen Stankowytsch – einer der bekanntesten zeitgenössischen Komponisten der Ukraine. Im September 2022 wird der Komponist sein 80-jähriges Jubiläum feiern. Seine Kammersymphonie Nr. 3 wurde 1985 von der Internationalen Tribüne der Komponisten der UNESCO (Tribune internationale des compositeurs) in die Liste der 10 besten Musikwerke des Jahres aufgenommen. Die Instrumentalbesetzung (Flöte und zwölf Streicher) ist eine Anspielung auf die Hofmusik des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Komponist aber verwendete diese Instrumentalbesetzung, um starke und dramatische Emotionen zu vermitteln. Das Solo der Flöte in der Symphonie ist wie eine berührende Stimme der Seele eines einsamen Menschen, der sich im Strudel der Menschenmenge verlor… Das Flöten-Solo spielte der bekannte ukrainische Flötist Andriy Karpyak. Er ist Teilnehmer vieler Musikfestivals in der Ukraine und Europa wie z. B. des Kyjiw-Muzikfest, Virtuosen, International Youth Music Forum, Das Treffen, Dni Muzyki Kompozytorów Krakowskich, Ma?opolski festiwal fletowy sowie Mi?dzynarodowy Festiwal muzyki. Als Solist und Kammermusiker trat er in fast allen Ländern Europas, Nord- und Südamerikas auf. Er ist Mitglied des Ensembles für moderne Musik Cluster und Organisator des Ensembles der Flötisten Doppler Sextett.

Ukraine im Herzen - Benefizkonzert im Herkulessaal © Denys Dolzhenko
Ukraine im Herzen - Benefizkonzert im Herkulessaal © Denys Dolzhenko

Der zweite Teil des Konzertes „Ukraine im Herzen“ eröffnete die Paraphrase zum Thema der Nationalhymne der Ukraine von Juri Schewtschenko. Der Komponist nannte sein Werk Wir sind!“. Die lyrische Paraphrase zur Melodie des Komponisten Mychajlo Werbyzkyj wurde an einem kalten Abend geschrieben, als auf dem Unabhängigkeitsplatz (Majdan Nesaleshnosti) während der Revolution der Würde 2014 von allen gemeinsam die Nationalhymne der Ukraine gesungen wurde. Der Autor wünschte sich, dass die offizielle Hymne der Ukraine für die Welt wie ein leises, helles Gebet für die Ukraine erklingt. Die Partie des Violine-Solos spielte die hervorragende Vertreterin der Lwiwer Violinschule Natalija Raithel. Als Solistin und Kammermusikerin trat sie in fast allen Ländern Europas sowie in Dubai, Großbritannien, Indien, Korea und Israel auf. Sie war Mitglied des Gershwin Quartetts und ist die Partnerin des berühmten Klarinettisten Giora Feidman. Auch pädagogisch ist sie erfolgreich tätig, da sie schon viele Preisträger nationaler und internationaler Wettbewerbe ausgebildet hat.

Herkulessaal / UKRAINE IM HERZEN © Denys Dolzhenko
Herkulessaal / UKRAINE IM HERZEN © Denys Dolzhenko

Den Liederzyklus „Zur Musefür Sopran und Kammerorchester von Myroslav Skoryk sang exzellent die Solistin der Wiener Staatsoper Olga Bezsmertna. Die ukrainische Sängerin erwies sich als eine der beeindruckendsten jungen Sängerinnen der heutigen Zeit. Nach einem glänzenden Sieg beim Wettbewerb Neue Stimmen der Bertelsmann Stiftung wurde sie 2011 nach Wien geholt. Im Jahre 2015 gab die Sängerin ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen. Im März 2022 debütierte sie auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper. Die Uraufführung des Liederzyklusses „Zur Musefand 2019 im Wiener Konzerthaus in Anwesenheit des Autors statt. Dies ist eines der wenigen Vokal- und Instrumentalwerke des Komponisten. Der Zyklus basiert auf der Poesie von Bohdan-Ihor Antonytsch, einem der beliebtesten ukrainischen Dichter von Myroslav Skoryk. Im Jahr 2020 schrieb der Komponist eine neue Fassung des Musikstückes für Sopran und Streicher. Doch selbst hören konnte er sie nicht mehr, da er im Juni 2020 im Alter von 81 Jahren verstarb. Auch die „Karpatische Rhapsodie“ für Violine und Kammerorchester als eines der beliebtesten Werke für Violine in der Ukraine wurde im Konzert gespielt. Zu dem Titel wird oft noch „Im Stil von Ferenc Liszt“ hinzugefügt. Das ist kein Zufall: In der Rhapsodie gelang es dem Komponisten, das berühmte ungarische Musikgenre mit dem ursprünglichen ukrainischen Melos zu kombinieren, was typisch für das Spiel der Volksgeiger aus den Karpaten ist. Das Werk wurde zunächst für Klarinette und Orchester geschrieben, doch nachdem der Autor eine Version für Violine (für den Oistrach-Violinwettbewerb) komponierte, wurde das Musikstück sehr beliebt und gehört nun zum Repertoire fast jedes ukrainischen Konzertgeigers. Die Solo-Violine wurde vom ukrainischen Geiger Vasyl Zatsikha gespielt. Der hervorragende charismatische Solist ist Gewinner von über 20 internationalen Wettbewerben und tourt erfolgreich als Solist und Musiker der Symphonie- und Kammerorchester in Europa und Südamerika. Er begleitete viele Musikensemble, darunter die Solisten der Internationalen Menuhin Musikakademie, das MBS Symphonic Orchestra, das Kammerorchester Perpetuum Mobile und das Lwiwer Kammerorchester Akademija.

Den lyrischen Höhepunkt des Konzertes schuf Choralvon Hanna Hawrylez. Dieses Werk für Kammerorchester wurde 2005 komponiert. Der für den Stil von Hanna Hawrylez charakteristische archetypische Choral des ukrainischen Melos, das Versinken in das althergebrachte Wehklagen, wird hier mit dem traurigen Gang der Passacaglia kombiniert. Das Leben der Komponistin endete in den ersten Kriegstagen in Kiew, als ihr Herz auch wegen all der Sorgen und Schrecken des Krieges versagte.

Und vielleicht hat jedes Volk eine eigene Melodija“ (Melodie), die das historische Gedächtnis, die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft, die mütterlichen Sorgen um den eigenen Soldatensohn und die grenzenlose Heimatliebe in sich vereint. Für Ukrainer ist dies die „Melodija“ von Myroslav Skoryk. Beim Konzert wurde „Melodija“ von den berühmtesten Solisten der Ukraine sowie den besten Orchestern vieler Länder aufgeführt. Das Werk gehört auch Myroslav Skoryk, aber mittlerweile wird es als Volksmelodie wahrgenommen. Die Version dieser Melodija“ für Cello und Kammerorchester wurde vom Cellisten Oleksander Piriyev fabelhaft gespielt.

Die Rektorin der Ukrainischen Freien Universität Prof. Maria Pryshlak benannte dieses Konzert als „eine Feier des Lebens – für jedes Kinderleben… Kinder sind die unschuldigsten Opfer dieses grausamen Krieges… Und wir feiern die Musik, ein universelles Geschenk mit der Kraft, Menschen zu verbinden und zu sprechen, wenn Worte versagen“.

Für einen gerechten Frieden beten wir zu Gott mit der Musik und erbitten: „Schütze die Ukraine“. Helfen auch Sie der Ukraine mit einer Spende zur Unterstützung des Kinderkrankenhauses OKHMATDIT in Kiew!

Das Spendenkonto:

Freunde der Ukrainischen Freien Universität e.V.,  Deutsche Bank München

IBAN: DE77 7007 0010 0299 9944 00, BIC: DEUTDEMMXXX, Verwendungszweck: „Ukraine im Herzen

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