Rouen, Opéra de Rouen, JENUFA - Leos Janacek, IOCO Kritik, 02.05.2022

Rouen, Opéra de Rouen, JENUFA - Leos Janacek, IOCO Kritik, 02.05.2022

Opéra de Rouen Normandie

Theatre des Arts, Rouen © Wikimedia Commons
Theatre des Arts, Rouen © Wikimedia Commons

JENUFA - Leos Janacek

AUF DER SUCHE NACH DEM MENSCHLICHEN…

von Peter Michael Peters

„Liebe ist sicherlich das Schönste im Leben organisierter Wesen. Es ist das einzige Gefühl, das der Mensch in seiner tierischen Reinheit noch besitzt. Dank ihm ist er in perfekter Harmonie mit der Natur.“: Leos Janacek

Das Libretto war eines der wenigen Elemente von Jenufa, das Leos Janacek (1854-1928) keine allzu großen Schwierigkeiten bereitete: Das Theaterstück, auf dem es basierte Jeji Pastorkyna (Ihre Schwiegertochter), war einfacher zu adaptieren als jeder andere Dramatext in seinen späteren Vertonungen. Aber es scheint, dass es seiner Autorin Gabriela Preissova (1862-1946) viele unangenehme Probleme bereitet hatte.

Einholung eines grausamen Geheimnis

Von Anfang an, am Tage der Premiere des Theaterstück am 9. November 1890 in Prag, fehlte es nicht an Kritikern. Das Thema wurde für die erhabene Bühne des Nationaltheaters, Tempel des tschechischen Nationalismus, als unwürdig erachtet: So etwas wurde auf dem Land nicht gemacht! Gegen diesen Einwand erhob sich die junge Preissova (sie war gerade 29 Jahre alt): Sie habe neun Jahre in der Gegend gelebt, in der die Aktion stattfand und sich dabei auf zwei in einer Lokalzeitung berichtete Vorfälle gestützt. Sie wurde heftig von Vertretern der Spätromantik angegriffen, die in ihrem Stück ein unangenehmes und gefährliches Beispiel für ein „Stück des Lebens“ – Realismus ansahen. Aber auf der anderen Seite wehrten sich nur wenige Realisten gegen die Kritik. Unbehaglich für sie angesichts der religiösen Grundsätze, die dem Stück zugrunde lagen und der optimistischen Note, mit der es endete. Gefangen im Kreuzfeuer einer höchst parteiischen Gesellschaft, war Preissova entsetzt über die nicht gewollte Bekanntheit, die sie erlangt hatte! Sie protestierte energisch und sagte, sie gehöre keiner Literaturschule an und schreibe nur so, wie sie es fühlte.

Die Folgen waren verheerend für sie. In den sechsundfünfzig Jahren, die ihr noch zu leben verblieben, schrieb sie weiterhin Theaterstücke, Novellen und Romane, verlor jedoch viel von ihrem Selbstvertrauen. Nie wieder sollte sie etwas so Schönes und Wagemutiges produzieren, oder etwas das zur Entwicklung des tschechischen Theater und der Literatur beigetragen hätte. Aber Jeji Pastorkyna und ihr früheres Stück Gazdina roba (Die Bauerntochter) gehören beide zu jener Linie des Dorfdramas, die das tschechische Theater im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wiederbeleben sollte.

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Eine verfluchte Dichterin…

Sie wurde in Böhmen geboren, ging aber als Kind nach Mähren und ließ sich dort im Alter von achtzehn Jahren nieder, als sie Jan Preiss heiratete, einen Angestellten einer Zuckerraffinerie in Hodonin, einer kleinen Stadt im süd-östlichen Mähren. Hodonin ist das Zentrum einer Region, die an der Grenze zwischen Mähren und der Slowakei liegt und Slovacko (Mährisch Slowakisch) genannt wird, weil ihre Sprache dem Slowakischen nahe steht. Eine an Folklore reiche Region, wie die traditionelle Tracht ihrer Bewohner, die Stickereien und andere Volkskünste und vor allem die Lieder und Tänze des Landes. Für die eher dem Westen zugewandten Tschechen haben die Slowakei und die Slowako trotz der engen sprachlichen Verwandtschaft den Charme eines fast fremden Landes. Es ist dieses fast exotische Element von Jenufa, das die Oper sich zum Beispiel deutlich von der folkloristischen Welt der Oper von Bedrich Smetana (1824-1884) Prodana nevesta (Die verkaufte Braut /1866) unterscheidet.

Preissova verbrachte neun Jahre in Hodonin (1880/1889), lernte seine Bewohner und ihre Lebensweise kennen und sammelte lokale Stickereien. Die Stadt selbst hatte wie die meisten mährischen Zentren der damaligen Zeit eine Bevölkerung, in der das deutschsprachige Element vorherrschte. Jan, ihr Ehemann konnte Tschechisch nie perfekt beherrschen, aber Gabriela begleitete ihren Mann auf allen Geschäftsreisen, die ihn in Dörfer führten, in denen Slawisch gesprochen wurde. Ihre Eindrücke beschrieb sie in einer Reihe von Kurzgeschichten, die sie ab 1884 in Zeitschriften zu veröffentlichen begann, bevor sie sie in einer dreibändigen Sammlung, Bilder der Mährischen Slowakei (1886/1889) editierte… Eine von ihnen sollte Janacek verführen: Er bat Jaroslav Tichy (1851-1823) daraus ein Libretto für seine zweite Oper Pocatek romanu (Der Beginn einer Romanze / 1894) zu erschaffen. Eine andere, Gazdina roba erregte die Aufmerksamkeit von Frantisek Adolf Subert (1849-1915), Direktor des Nationaltheater Prag, er bot der Autorin an, daraus ein Stück zu schreiben. Das Stück wurde 1889 mit einem solchen Erfolg uraufgeführt, dass Preissova sofort angeboten wurde, ein weiteres zu schreiben. Es war Jeji Pastorkyna dessen Handlung ebenfalls in Slovacko spielt!

Opéra de Rouen / Jenufa hier Szenefoto © Marion Kerno
Opéra de Rouen / Jenufa hier Szenefoto © Marion Kerno

Janaceks Adaption des Theaterstück

Schon im Februar 1888, als er noch seine erste Oper Sarka (1925) revidierte und orchestrierte, hatte Janacek Preissova schriftlich um ein Opernlibretto gebeten. Sie hatte das Angebot abgelehnt, war aber sehr daran interessiert, ihre Novelle Pocatek romanu in ein lyrisches Drama zu verwandeln, das zweite von Janacek. Während ihrer Korrespondenz entschlüpfte ihr, dass Josef Bohuslav Foerster (1859-1951) eine Oper von ihrem Stück Gazdina roba machen würde. In dem folgenden Brief fragte Janacek sie nach der Möglichkeit, ihr Stück Jeji Pastorkyna zu vertonen. Trotz Preissovas Ablehnung, die in ihrem Brief vom 6. November 1893 erklärte, das Thema sei für die lyrische Bühne in keiner Weise geeignet, wich Janacek jedoch nicht von seiner Idee ab.

Er passte das Stück seinen Wünschen an, entfernte etwa ein Drittel und machte seine Kürzungen hauptsächlich in den ersten beiden Akten, wobei der dritte weniger ausführlich war. Obwohl zwei Szenen vollständig verschwunden sind, behielt Janacek alle Charaktere und alle Vorkommnisse in ihrer ursprünglichen Reihenfolge, respektierte den Zuschnitt der drei Akte und konzentrierte sich nur auf eine geschickte Verdichtung des Textes. Abgesehen von geringfügigen Änderungen in der Reihenfolge der Wörter und ihrer Form, die oft durch Versmaßfragen vorgegeben sind, hat Janacek keine Ergänzungen vorgenommen: Der Text bleibt ganz von Preissova!

Deshalb sind Schauspiel und Oper dramatisch viel näher als in den späteren Bearbeitungen von Janacek: In Katja Kabanova (1921) ist die Aufteilung der Akte völlig anders, während für die Bedürfnisse der Oper die satirische Komödie Vec Makropulos (Die Sache Makropulos / 1926) verwandelt sich in eine Tragödie. Wie in Katja Kabanova, leidet der soziale Kontext des Stücks darunter, wenn auch in geringerem Masse, da es die Beschwörung des Dorflebens zu sein scheint, die Janacek zunächst angezogen hatte.

Der sehr glückliche Plan der Oper – aktionsreicher erster und letzter Akt, eigenartige Personenverknüpfungen und pittoreske menschliche Ensembles, die einen zentralen Akt umrahmen, der vier sehr beanspruchte Herzen unter die Lupe nimmt – ist von wunderschöner dramatischer Gestaltung. Janacek hat es von Preissova geerbt, aber durch seine Kürzungen und Modifikationen erweitert. Seine Musik betonte die Struktur weiter, löste die Atmosphäre besser, vertiefte und modifizierte sogar die Charakterisierung der Figuren, während sie die wenigen Schwachstellen des Stücks untergehen.

 Opéra de Rouen / Jenufa hier Szenefoto © Marion Kerno
Opéra de Rouen / Jenufa hier Szenefoto © Marion Kerno

Der brutale Naturalismus von Preissova

Die Folklore: Ein für das Drama wesentlicher Bestandteil des Lebens der Menschen in dieser abgelegenen Gegend ist ebenso faszinierend wie auch der zerstörerische Druck von gesellschaftlichen Formen und althergebrachten Sitten. Die Dramatikerin Preissova, eine höhere Tochter aus Prag, ließ sich 1880 in Mähren nieder und war von dieser für sie völlig unbekannten Landschaft begeistert. Diese Distanz prägte einen ethnografischen Blick, der den brutalen Naturalismus ihrer Theaterstücke färbte. In dieser voll industrialisierten Tschechischen Republik, die von sozialen Stürmen zwischen einer von der Marktwirtschaft des Habsburgerreichs angezogenen Bürgertum und einer wachsenden Arbeiterklasse geprägt war, schrieb die Dramatikerin Jeji Pastorkyna und begleitet vom Genie des Komponisten Janacek wird es: Jenufa.

„Papa spiel mir deine Oper: Ich werde nicht lange genug leben, um sie später noch zu hören!“

Janacek haucht Jenufa die ganze Intensität der Tränen seiner Existenz ein. Nach seinen eigenen Worten, hat er es „Schwarz auf Schwarz gemalt!“ Während er noch um seinen dreijährigen verstorbenen Sohn Vladimir trauerte, begann er mit den ethnografischen Arbeiten zur Folklore der tschechischen Landkreise. Danach begann er mit der Komposition des ersten Aktes von Jenufa, den er 1897 vollendete. 1901 kritzelte der Komponist die ersten Noten des zweiten Akts auf einen Brief seiner Tochter Olga, die zwei Jahre später an einem rheumatischen Fieber starb. Diese Tragödien unterbrachen Janacek jedoch nicht an seiner Arbeit und Jenufa hatte eine erfolgreiche Welturaufführung am Brünner Theater.

Der internationale Erfolg

1890 erschreckte Preissova den Bildungsbürger am Nationaltheater in Prag mit Jeji Pastorkyna. Die Jenufa litt unter dem gleichen konservativen Eindruck und musste bis 1916 warten, um in einer geänderten Fassung des Dirigenten und Komponisten Karel Kovarovic (1862-1920) im „National Heiligtum“ produziert wurde. 1918 ins Deutsche übersetzt von Max Brod (1884-1968), hatte Jenufa an der Staatsoper in Wien Premiere und startete somit international mit großem Erfolg durch. Aufbauend auf ihrem Erfolg ist die Oper auch ihrer Heimatstadt verbunden geblieben: 1977 nahm Frantisek Jilek (1913-1993) mit dem Brünner Opernorchester eine schon historische Fassung der Partitur auf.

Opéra de Rouen / Jenufa hier Szenefoto © Marion Kerno
Opéra de Rouen / Jenufa hier Szenefoto © Marion Kerno

JENUFA - 26. April 2022 - Opéra de Rouen Normandie

In dieser 2007 entwickelten Produktion an der Staatsoper Stuttgart, erreicht der katalanische Regisseur Calixto Bieito ein hohes Maß an dramatischer und emotioneller Kraft, indem er diese trashige und farbenfrohe Ästhetik entwickelt, die seine unbestreitbare Popularität auf den internationalen Opernszenen. Mit ungeheurer dramatischer Intensität versetzt er die Oper Jenufa, eines der Meisterwerke von Janacek, in ein Umfeld von verheerender Gewalt und tief geprägt  zerstörerischer Unterdrückung. Der Künstler zeigt auch sein tiefes Interesse an die Masse der armen und unterdrückten Menschen. Ohne Ironie und voller Empathie spiegelt seine Inszenierung die Härte wieder, mit der das Schicksal erbarmungslos eine oder mehrere Personen misshandeln kann. Die beißende Härte, die seine Arbeit charakterisiert, ist jedoch auch von einer gewissen Zärtlichkeit nicht zu trennen.

Um jegliche Folklore aus seiner Darstellung zu vermeiden und ohne zu versuchen die Musik oder das Libretto zu stören, nimmt der Regisseur als zeitgenössische Kulisse eine riesige Industriehalle: Die sich sowohl als ein schmutziger Wohn- und Schlafraum mit Etiketten bedeckten Wänden präsentiert oder auch als Müllhalde alter verbrauchter Stoffe diente. Sowohl einer Werkstatt, in der kleine billige Hände hinter einer Batterie von Nähmaschinen beschäftigt sind. Das dargestellte Umfeld ist eher das der Arbeiterklasse und nicht das von Dorfbewohnern. Manchmal fröhlich, oft feindselig! Wir sehen Menschen, die während einer Party so stark degradierend und hässlich abgleiten. Sie arbeiten um zu leben und vergessen ihre menschliche Pflicht! Bieito ist auf dem besten Weg, die Macht- und Geschlechterverhältnisse in der Handlung zu bewässern und zu hypertrophieren, als ob er die intime und soziale Tragödie, die sich hier abspielt auf vernichtende Weise herbeiführen wollte. Auch wenn seine Inszenierung einen Anteil an Prosaismus und Exzess annimmt, zeichnet sie jede Figur sorgfältig und führt die Darsteller dazu, auch in dunklen Verschanzungen ihre zerstörerischen Leidenschaften, ihre Menschlichkeit und ihre Stärke des Kampfgeists zu erforschen.

Die unbestreitbare Stärke der Regie verdanken wir dem brutalen starken Rahmen des Regisseurs, aber auch einer musikalischen Leitung und einer Besetzung auf hohem Niveau. Die anspruchsvolle Titelrolle wird kraftvoll von der gallischen Sopranistin Natalya Romaniv verkörpert, deren schöne Stimme mit einem warmen fleischlichen Timbre perfekt für Jenufa geeignet war. Mit stolzem Gesang und einer aufflammenden Präsenz enthüllt die englische Mezzo-Sopranistin Christine Rice die ganze Rohheit, aber auch die Verletzlichkeit von Kostelnicka Buryjovka, die mit bloßen Händen auf einem vulgären Küchentisch das von der Titelheldin geborene Baby ermordet, bevor sie an die Grenzen des Wahnsinns eilt. Von fester starker Statur zeigt uns der deutsch-turkmenische Tenor Dovlet Nurgeldiyev als Steva, wie man Geldscheine stiehlt, wie man auf leere Alkoholflaschen pfeift und außerdem den großen charmanten Verführer mit dem weiblichen Geschlecht spielt. Dazu eine wunderbare Stimme mit einem dieser so seltenen verführerischen kristallklaren Timbres. Im Gegenteil Laca, der absichtlich lächerlich in seiner Unbeholfenheit gezeigt wird, ist unendlich berührend und wird mit viel Überzeugung von dem amerikanischen Tenor Kyle van Schoonhoven verteidigt, dessen klare schlichte Stimme stark und gut projiziert ist. Die restlichen Mitwirkenden in den kleineren Rollen waren durchweg ausgezeichnet und begeisterten uns sehr stark.

Unter der sehr engagierten Leitung des niederländischen Dirigenten Antony Hermus offenbart das Orchester weniger das zarte Mitleid mit menschlicher Schwäche als vielmehr die offene Vitalität und die ungezügelte Dringlichkeit, mit der versucht wird das Unglück abzuwehren. Ohne Hemmungen, plötzliche scharfe instrumentale Ausbrüche, angespannt und erstickend. Eine nervöse Rauheit lässt Musiker und Zuschauer bei der Katastrophe in Flammen aufgehen.     (PMP/30.04.2022)

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