Wien, Wiener Kammeroper, The Lighthouse - Peter Maxwell Davies, IOCO Kritik, 02.11.2021
The Lighthouse - Kammeroper von Peter Maxwell Davies
- eine begeisternde Oper - ein Leuchtturm nahe Schottland gibt Rätsel auf -
von Marcus Haimerl
Der Flannan-Isles Leuchtturm befindet sich in nächster Nähe zum höchsten Punkt der Insel Eilean Mòr, einer der Flannan Isles vor der Westküste des schottischen Festlandes. Am 15. Dezember 1900 bemerkte der Dampfer Archtor auf seiner Passage von Philadelphia nach Leith, dass das Licht des Leuchtturms nicht ordnungsgemäß funktionierte und meldete dies bei Ankunft dem Northern Lighthouse Board. Der Leuchtturmtender Hesperus erreichte aufgrund der Wetterlage die Insel erst am 26. Dezember und stellte fest, dass der Fahnenmast keine Fahne trug und Proviantboxen auf dem Landeplatz zurückgelassen worden waren. Auch war keiner der drei Leuchtturmwärter James Ducat, Thomas Marshall und Donald McArthur, zu sehen. Obwohl die Hesperus mit Schiffspfeife und einer abgefeuerten Fackel versuchte, die Männer auf der Insel zu erreichen, blieben die Versuche erfolglos und der Ersatzmann der Leuchtturmwärter, Joseph Moore, wurde mit einem Boot allein an Land gebracht. Das Eingangstor zum Gelände war wie auch die Haupttüre geschlossen, die Betten waren ungemacht und die Uhr stehengeblieben. Eine weitere Suche mit Hilfe des Zweiten Offiziers und eines Seemanns blieb erfolglos. Es gibt zahlreiche Legenden zum Verschwinden der Leuchtturmwächter, doch das Rätsel um den Flannan-Isles Leuchtturm ist bis heute nicht gelöst.
Diese wahre Begebenheit diente Peter Maxwell Davies als Vorlage für seine Kammeroper The Lighthouse, die am 2. September 1980 im Moray House Gymnasium in Edinburgh uraufgeführt wurde. Die Inspiration für diese Oper bekam der 1934 geborene Komponist (+2016) beim Lesen von Craig Mairs Buch über die Familie Stevenson aus Edinburgh (A Star for Seamen: The Stevenson Family of Engineers), die nicht nur den berühmten Schriftsteller Robert Louis, sondern auch einige Generationen an Leuchtturm- und Hafeningenieuren hervorgebracht hatten. Mit seiner Oper bietet Peter Maxwell Davies jedoch keine Lösung des Rätsels an, sondern versucht lediglich anzudeuten, was durch das gespannte Verhältnis zwischen den drei Männern, die auf Grund eines Sturms viel zu lange auf ihre Ablöse warten mussten, möglicherweise passiert sein könnte.
Die Oper besteht aus einem Prolog und einem Akt. Den Namen der Insel Eilean Mòr änderte Davies für seine Oper in Fladda, um die Gefühle der Verwandten der Vermissten zu schonen. Der Prolog mit dem Übertitel „Das Untersuchungsgericht“ (The Court of Enquiry) zeigt das Untersuchungsgericht in Edinburgh, das das Verschwinden der Leuchtturmwärter untersucht. Ein Hornsolo stellt wortlos Fragen, welche von den drei Offizieren des Versorgungsschiffes durch Rückblenden vom Schiff und vom Leuchtturm szenisch dargestellt werden. So erzählt der erste Offizier von einer plötzlich aufgetretenen Strömung und glaubt von achtern Lichter eines fremden Schiffes zu sehen, die jedoch niemand sonst sehen konnte. Nebelhörner schienen für jeden aus einer anderen Richtung zu ertönen und allmählich wurde der Leuchtturm durch den zuvor undurchdringlichen Nebel sichtbar. Jeder der Offiziere glaubte an unterschiedlichen Stellen drei unterschiedliche Fabelwesen zu erkennen. In der Stube des Leuchtturms fanden sie nur Ratten vor, der Tisch war gedeckt und sauber, nur ein Stuhl war umgefallen und eine Tasse zerbrochen.
Die Ursache für das Verschwinden kann vom Gericht nicht geklärt werden, das Urteil lautet: Freispruch aus Mangel an Beweisen. Am Ende des Prologs erfährt man, dass der Leuchtturm nunmehr automatisch arbeitet, das Gebäude verlassen ist und abgesperrt wurde.
Der Hauptakt „Der Schrei des Tiers“ (The Cry of the Beast) erzählt die Geschichte aus der Sicht der drei Besatzungsmitglieder im Leuchtturm. Der gemäßigte, eher zurückgezogene Sandy, der impulsive Blaze, sowie der schwache, frömmelnde Arthur sitzen bei Haferkeksen und Tee am Tisch. Die Stimmung ist angespannt, da die drei bereits seit Monaten auf engstem Raum zusammenleben. Arthur geht nach oben, um die Lampe anzuzünden, während die beiden anderen ein Kartenspiel beginnen und bald darüber in Streit geraten, wer von beiden falschspielt. Nach Arthurs Rückkehr schlägt Sandy vor, sie sollten nacheinander ein fröhliches Lied anstimmen, in der Hoffnung die in der Luft liegende Spannung wieder abzubauen. So unbeschwert und oberflächlich die Lieder im ersten Moment erscheinen, geben sie Hinweise auf die Charaktere und das Vorleben der Männer. Blaze, begleitet von Geige und Banjo singt eine Ballade über die Verbrecherlaufbahn eines Jugendlichen, die in Folge zur Hinrichtung des alkoholsüchtigen, gewalttätigen Vaters führen. Sandy, von einem Cello und leicht verstimmten Klavier begleitet, singt von seiner Liebe zu einem jungen Mädchen, die wohl gar nicht so unschuldig ist, wie es den Anschein hat. Von Klarinette, Blechbläsern und Tamburin begleitet trägt nun Arthur, der mit den vorangegangenen Liedern überhaupt nicht einverstanden war, ein religiöses Lied über die Israeliten, das Goldene Kalb und das Jüngste Gericht vor.
Doch erneut schlägt die Stimmung um. Nebelschwaden liegen über dem Meer und mit den Worten „Es klingt wie der Schrei der Bestie über der schlafenden Welt. Doch eines Nachts wird die Antwort aus deren Tiefe uns erreichen“ schaltet Arthur das Nebelhorn ein. Als Sandy und Blaze heftiges Klopfen an der Tür zu vernehmen glauben, werden sie von Halluzinationen geplagt, in denen sie die Geister der Vergangenheit heimsuchen. Die ermordete alte Frau und die Eltern von Blaze verlangen Rache, das vergewaltigte Mädchen scheint sich in Sandys Schwester zu verwandeln. Arthur kehrt, eine Hymne vom apokalyptischen Tier, dem Antichristen, der in der Gestalt des goldenen Kalbs seine Diener zu sich holen will, zurück. Während er um Rettung betet, nähert sich das Versorgungsschiff, dessen rot-weiße Lampen von den Leuchtturmwärtern als die flammenden Augen des Tieres gehalten werden. Ihre Stimmen vereinigen sich im Gebet. Als der Sturm seinen Höhepunkt erreicht und die vermeintlichen Augen der Bestie am hellsten strahlen, werden die Wärter wieder zu den Offizieren des Versorgungsschiffes, die rätseln, was wohl geschehen sein mag.
Die musikalische Struktur von Peter Maxwell Davies rund 75-minütiger Kammeroper basiert auf dem Turm der Tarot-Karten, deren Zahlensymbolik das ganze Werk durchzieht.
Für die Produktion in der Kammeroper sind, zum ersten Mal gemeinsam in einem Projekt, die drei Brüder Michael, Georg und Martin Zlabinger verantwortlich. Ebenso spannend wie das Werk des britischen Komponisten ist auch die Umsetzung durch die drei Brüder. Der Bühnenraum (Ausstattung Martin Zlabinger) wurde durch eine vierte Wand verkürzt, die durch einen kreisrunden Ausschnitt Einblick, nicht jedoch eine volle Sicht in die Stube des Leuchtturms erlaubt. Im Hintergrund eine rechteckige Projektionsfläche, welche die stürmische See bei Gewitter zeigt. Das Licht (Franz Tscheck) wechselt zwischen blutrot und blau und wird immer wieder von Nebelschwaden durchzogen.
Regisseur Georg Zlabinger gelingt hier nicht nur eine exemplarische, sondern auch intensive, glaubhafte und spannende Personenführung, die das Publikum an der Beklemmung und den Spannungen im Leuchtturm teilhaben lässt. Michael Zlabinger leitet das hoch motivierte Wiener Kammerorchester, welches die zwölf Parts der Orchesterbesetzung übernommen hat, auf höchstem Niveau. Auch gelingt es ihm, aus Peter Maxwell Davies Partitur das geheimnisvoll Mystische hör- und spürbar zu machen.
Der amerikanische Tenor Andrew Morstein ist ein ruhiger, fast in sich gekehrter Sandy, der trotz grippalen Infekts mit seiner strahlenden, präzisen Stimme kein Anzeichen einer Indisposition erkennen ließ. Timothy Connor überzeugt nicht nur durch seinen schönen, kraftvollen Bariton, sondern auch durch die Intensität seines darstellerischen Könnens in der Rolle des launischen und impulsiven Blaze. Als schwacher, frömmelnder Arthur begeistert Johannes Schwendinger das Publikum mit seinem kräftigen, sonoren Bass, der auch über eine beachtliche Tiefe verfügt ebenso, wie mit seiner überzeugenden Darstellung.
Das Premierenpublikum zeigte sich von der gesamten Produktion begeistert und jubelte entsprechend. Bedauerlicherweise waren nur zwei Vorstellungen der gelungenen Produktion in der Kammeroper zu erleben. Eine Wiederaufnahme ist sehr wünschenswert und sei an dieser Stelle vorbehaltlos empfohlen.
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