Wuppertal, Oper Wuppertal, Julius Cäsar - eine zeitlose Parabel um Macht, IOCO Kritik, 12.10.2021
Oper Wuppertal verwandelt die populäre "Soap Opera"JULIUS CÄSAR in eine zeitlos packende Parabel um Macht und Herrschaft
von Viktor Jarosch
Georg Friedrich Händels (1685-1759) barocke Heldenoper JULIUS CÄSAR in Ägypten (GIULIO CESARE IN EGITO) wurde am 20. Februar 1724 im King´s Theatre in London uraufgeführt, welches Händel als musikalischer Direktor seit 1719 leitete. Der seinerzeit von Händel persönlich aus Dresden nach London engagierte teure Starkastrat Senesino (eigentlich Franceso Bernardi) sang die Partie des Julius Cäsar; wie später auch andere große Partien in Händels Opern. Händels Julius Cäsar ist eine Barockoper neapolitanischen Stils; Folgen von Arien werden durch Secco-Rezitative verbunden. Nicola Haym hatte das Libretto, Urheberrechtsschutz hin oder her, weitgehend von Francesco Bussani übernommen; er reiht in der Oper recht statuarisch Szene an Szene, gibt dadurch weniger der Handlung als dem Orchester und den Stimmen reichen Raum zur Entfaltung: eine klassische Barockoper.
JULIUS CAESAR der Oper Wuppertal dagegen ist keine Barockoper klassischer Prägung sondern ein neuartiges, kreativ anspruchsvolles Kunstwerk; nur angelehnt an Händels JULIUS CÄSAR. Der Grund: Von Corona und einer Flutkatastrophe im Opernhaus (Foto oben) geschüttelt, folgte die Premiere des neu gestalteten JULIUS CAESAR in einer einfachen Ersatzspielstätte, den Werkstätten, dem Malersaal der Oper Wuppertal: Aus der populär barocken „Soap Opera“ des frühen 18. Jahrhunderts um die Serienhelden Cäsar und Cleopatra wird in Wuppertal, durch ausführliche Einbindung der philosophischen Thesen Niccolo Machiavellis aus ´Il Principe (Der Fürst), eine neues eigenständiges Werk: eine anregend mitreißende musikalische Parabel um Mächtige, um Machtverhalten, um den Staat: von den Wuppertaler Oper-Oberen zu bescheiden als `Konzertinstallation` beschrieben.
Wie das? Der Handlung der – originären - Händel-Oper bewegt sich vor geschichtlichem Hintergrund: Bürgerkrieg herrschte im Römischen Reich. Pompejus, von Cäsar in einer Schlacht besiegt, war im Jahr 48 v.Ch. nach Ägypten geflohen, wohin ihn Cäsar verfolgte. In Ägypten wurde Pompejus jedoch von Achilla, dem minderjährigen Vormund des Königs Ptolemäus erschlagen. Pompejus Kopf überreichte Ptolemäus (Tolomeo bei Händel) an Cäsar, welcher den Mord verurteilte und in folgenden Schlachten Achillas und Ptolemäus besiegte, tötete und Cleopatra auf den Thron Ägyptens hob......
Karin Kotzbauer-Bode verbindet, als neuartiges, eigenständiges Kunstwerk, in sieben Blöcken, Händels gekürzte Oper JULIUS CÄSAR mit Machiavellis machtphilosophischem Werk Il Principe. Vier Opern-Blöcke à 20 Minuten, beginnend mit Cäsars Ankunft in Ägypten zeigen den Händelschen JULIUS CAESAR; originalgetreu in Handlung, Komposition und handelnden Personen; zudem – wie 1724 die Uraufführung - wunderbar besetzt mit Countertenören. Jeder „Opernblock“ wird gefolgt von einer Lesung à 15 Minuten aus Machiavellis `ll Principe´ (Der Fürst), worin zuvor in JULIUS CÄSAR gesehenes, gehörtes Handeln als Beispiele dafür dient, wie politisches Agieren und Macht-Mechanismen sich gegenüber stehen, wie sich Herrschaftsstrukturen und meist ohnmächtiger Widerstand von Bürgern begegnen. Machiavelli und den Archetypen der Macht folgend, bleibt der Ausgang der Oper JULIUS CÄSAR in Wuppertal offen: Cäsar siegt dort nicht (!); er tritt zum Ende des dritten Opern-Blocks leise ab, während Cleopatra in vierten Block musikalisch „das letzte Wort“ hat. So beschließt Karin Kotzbauer-Bode diese Parabel lebensnah und zeitlos, mit offenem Ende: Hat Cäsar die Flucht überlebt? Wird Cleopatra der Händelschen Komposition gemäß, von Cäsar aus ihrem Gefängnis nicht befreit? Keiner weiß es!
Aufführungsort: Der große Malersaal der Werkstätten der Oper Wuppertal. Auf einer 360 Grad Bühne spielen Sänger_innen und das kleine, barock instrumentierte Kammerorchester; auf einer Ebene mit den etwa 170 im hinteren Raum verteilten Besucher*innen. Die Nähe zu Ensemble und Orchester erzeugt bei dem Besucher, bei mir, von Beginn an ein Gefühl von Empathie, von Nähe mit Ensemble und Orchester. Hohe Podeste im Raum geben der Handlung Variation, geben dem Ensemble, den Solisten Räume, sich in ihren Partien dem Besucher gut sichtbar darzustellen.
Clemens Flick dirigierte das kleine Sinfonieorchester lebhaft lebendig, dabei selbst Cembali spielend. Auffällig auch, das die Partien des Julius Cäsar und des Tolomeo, wie zur Uraufführung vor 300 Jahren mit Counter-Tenören klassisch barock und gut besetzt sind. Das stimmlich und darstellerisch gut besetzte Ensemble, in modernen Kostümen, riss das Publikum mit: Ralitsa Ralinova dominierte in ihrer große Partie der Cleopatra mit kräftig sicherem Sopran; Etienne Walch wiederum begeisterte als Tolomeo mit lyrisch timbrierter Countertenor-Stimme. Doch das Ensemble überzeugte in seiner stimmlich spielfreudigen Gesamtheit: Yosemeh Adjel mit gefestigtem Countertenor als Julius Cäsar, Joslyn Richter als Cornelia, Iris Marie Sojer als Sesto, Sebastian Campione als konspirativer Achilla, Mark Bowman-Hester als Nireno, Yisae Choi als Curio. Gudrun Landgrebe war die formidable Leserin, welche mittels Machiavellis Il Principe (Der Fürst) Händels Oper JULIUS CÄSAR in eine zeitlose Parabel verwandelte.
Das kleine Publikum in den Werkstätten der Oper Wuppertal dankte dem Ensemble wie dem Orchester überschwänglich und begeistert. Als vermeintliche Notlösung geboren, entsteht mit der „Konzertinstallation“ JULIUS CÄSAR tatsächlich ein neuartiges Kunstwerk, mit ungewohnt inspirierenden und mitreißenden Kulturerfahrungen.
JULIUS CÄSAR an der Oper Wuppertal; die nächste Vorstellung am 31. Oktober 2021
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