Osnabrück, Theater am Domhof, Fremde Erde - Migranten-Oper, IOCO Kritik, 08.10.2021

Osnabrück, Theater am Domhof, Fremde Erde - Migranten-Oper, IOCO Kritik,  08.10.2021
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Theater Osnabrück

Osnabrück / Theater am Domhof © Marius Maasewerd
Osnabrück / Theater am Domhof © Marius Maasewerd

Fremde Erde  -  Karol Rathaus

Fesselnde wie aktuelle Migranten-Oper im Theater am Domhof

von Hanns Butterhof

Das Musiktheater Osnabrück mit ihrem Chef Andreas Hotz hat auch in den zurückliegenden Spielzeiten eine glückliche Hand bei Wiederentdeckungen gehabt. Jetzt ist ihm mit der 1930 uraufgeführten Oper Fremde Erde des Schreker-Schülers Karol Rathaus (1895 - 1954), einer in ihrer Aktualität ergreifenden Migranten-Geschichte (Libretto: Kamilla Palffy-Waniek), erneut eine Ausgrabung gelungen, die zu Recht den lang anhaltenden, begeisterten Applaus des Premierenpublikums erhielt.

Fremde Erde führt in den klaren Bühnenbildern von Markus Meyer zunächst an Bord eines Schiffes, in dem litauische Auswanderer zusammengedrängt nach Übersee verfrachtet werden, dann über die poppig goldene Hazienda einer südamerikanischen Minenbesitzerin und deren tödliche Mine in verödetem Land schließlich nach New York, wo unter einer glitzernden Karikatur der Freiheitsstatue nicht nur Auswandererträume schrecklich scheitern.

Fremde Erde erzählt die Geschichte Semjins (Jan Friedrich Eggers), einem charismatischen Gewinnertyp. Er hat neben seiner Verlobten Anschutka (Olga Privalova) und ihrem Vater Guranoff (Erik Rousi) sein halbes Dorf von der Auswanderung nach Amerika überzeugt, um der Not zu entkommen.

Auf der Überfahrt beeindruckt er die reiche südamerikanische Minenbesitzerin Lean Branchista (Susann Vent-Wunderlich) derart, dass sie ihn und seine Leute zu seinen Bedingungen von dem skrupellosen Agenten Rosenberg (Mark Hamman) anwerben lässt. Semjin lässt sich darauf ein, weil auch Lean Branchista tiefen Eindruck auf ihn gemacht hat.

Zu seinen Bedingungen gehören bessere Arbeitsbedingungen in den Minen. Als diese von Leans Produktionsleiter Sennor Esteban (James Edgar Knight) nicht gewährt werden, protestiert Semjin an der Spitze seiner Leute in Leans Hazienda. Es kommt zum Kampf zwischen Esteban und Semjin, ein Kampf nicht nur zwischen kapitalistischer Gewinnorientierung und Menschlichkeit, sondern auch um das Herz Leans.

Theater am Domhof / FREMDE ERDE © Stephan Glagla
Theater am Domhof / FREMDE ERDE © Stephan Glagla

Semjin gewinnt mit seinem Sieg zwar Lean, aber den Kampf um mehr Menschlichkeit für die Arbeiter verliert er. Als er Lean in einem ihrer Salpeterwerke die in Säcke verschnürten Leichen der Arbeiter zeigt, die für ihren Profit umgekommen sind, weist sie seine inständigen Bitten, ihren mörderischen Betrieb einzustellen, hartherzig gelangweilt zurück und entlässt ihn. Auf dem Weg zurück in die Heimat findet er in New York seine dort gestrandete Verlobte Anschutka wieder. Als sie in seinen Armen stirbt, ohne ihn wiederzuerkennen, will Semjin nur noch eine Arbeit, die auch ihn schnell tötet.

In Fremde Erde scheitert mit Semjin der Versuch, in einer für einen Großteil der Menschen grundsätzlich fremden, kapitalistischen Welt durch Appelle und die Dokumentation ihrer schädlichen Folgen eine menschenfreundliche Veränderung der Produktionsverhältnisse zu erreichen. Die litauischen Auswanderer stehen da für alle Verdammten dieser Erde, damals wie heute, in Afrika wie in deutschen Großschlachtereien.

Theater am Domhof / FREMDE ERDE © Stephan Glagla
Theater am Domhof / FREMDE ERDE © Stephan Glagla

Jakob Peters-Messer gelingt eine fesselnde Inszenierung, indem er allzu plakative Aktualisierungen vermeidet und die Kritik am Kapitalismus und seinen Folgen, an Ausbeutung des Menschen und der Natur nahezu kammerspielartig nah an glaubhafte Personen anbindet. Dazu steht ihm ein bis in die kleineren Rollen gesangsdarstellerisch ausgezeichnetes Ensemble zur Verfügung. Susann Vent-Wunderlich swingt nicht nur auf dem Oberdeck des Schiffes, sie bändigt ihren dramatischen Sopran zu verführerisch zartem Klang, bevor sie ihn wie ein Unwetter über Semjin hereinbrechen lässt. Immer macht sie klar, dass sie bestimmt und bekennt sich rückhaltlos zu Macht und Reichtum. Der kraftvolle Bariton Jan Friedrich Eggers' verliert da seine Lebensenergie, als er seine Naivität erkennen muss, zu glauben, am Reichtum teilhaben und zugleich seine Grundlagen zerstören zu können. Seine weiche Seite zeigt Eggers in den Szenen mit der Mezzosopranistin Olga Privalova als Semjins Verlobter Anschutka, die vom Orchester mit Wärme als wahrhaft menschlich unterstrichen werden. Anschutka mit ihrer Sehnsucht nach Heimat ist der Gegenentwurf zu Sejims Hoffnung, in fremder Erde Wurzeln schlagen zu können. Sie berührt tief, als sie sterbend von der Heimat, vom Leben mit Semjin deliriert, ohne ihn noch zu erkennen, bevor ihre Leiche von Straßenkehrern weggeschafft wird. Ihre Sehnsucht nach Heimat ist die nach einer Welt, die den Menschen eine Heimat ist.

Der australische Tenor James Edgar Knight verkörpert als Sennor Esteban perfekt den Geschäftsführer. Er ist ein sozialer Aufsteiger durch die heldentenorale Verteidigung der Gewinne seiner Auftragsgeberin, doch bemitleidenswert erbärmlich mit seiner Hoffnung, die gläserne Decke zwischen sich und ihr je durchbrechen zu können. Er spiegelt das Scheitern Semjins; seine fremde Erde ist die höhere soziale Schicht, die ihm das Wurzelschlagen verweigert.

Andreas Hotz am Pult dirigiert das Osnabrücker Symphonieorchester sängerfreundlich und trägt ihre nahe am Sprechgesang angesiedelten Partien. Dem kommt entgegen, dass bei der Abwesenheit von Arien dem Orchester ein die Atonalität streifendes, eher neben der Handlung laufendes Malen der Stimmungen zukommt. In den intimen Szenen kammermusikalisch fein, dann aber auch von elementarer orchestraler Wucht ist Fremde Erde ein beeindruckendes Hörerlebnis.

Die in allen Belangen überzeugende Aufführung fesselt das Publikum über drei Stunden. Über die Migrations- und Liebesgeschichte aus den dreißiger Jahren hinaus führt Fremde Erde unmittelbar in unsere Gegenwart und in die Konflikte, die fast jeder auch in sich selber auszutragen hat. Für die Wiederentdeckung der Oper Karol Rathaus', der 1932 aus Deutschland emigrierte und als Komponist in Vergessenheit geriet, kann dem Musiktheater Osnabrück nur gratuliert werden. Das unterstrich auch der sehr lang anhaltende begeisterte Beifall des Premierenpublikums, vor allem für Andreas Hotz und das Osnabrücker Symphonieorchester, Susann Vent-Wunderlich, Jan Friedrich Eggers, Olga Privalova und den von Sierd Quarré einstudierten Chor.

FREMDE ERDE am Theater Osnabrück; die nächsten Termine: 10.10.; 7.11. um 15.00 Uhr, 21.10., 26.10. um 19.30 Uhr.

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