Rostock, Volkstheater Rostock, Die Hochzeit des Figaro - Wolfgang A. Mozart, IOCO Kritik, 04.10.2021

Rostock, Volkstheater Rostock, Die Hochzeit des Figaro - Wolfgang A. Mozart, IOCO Kritik, 04.10.2021
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Volkstheater Rostock

Volkstheater Rostock © Dorit Gaetjen
Volkstheater Rostock © Dorit Gaetjen

Die Hochzeit des Figaro - Wolfgang Amadeus Mozart

- Von Männern, die reden, und Frauen, die anpacken -

von Thomas Kunzmann

Wie in der gesamten Republik öffnen in diesen Tagen auch in Mecklenburg-Vorpommern die Theater wieder ihre Türen für den Opernbetrieb. Während man in Stralsund (Krenek - Jonny spielt auf) und Schwerin (Ligeti - Le Grand Macabre) auf zwei Werke des 20. Jahrhunderts mit ca. zweistündiger Spieldauer setzt, geht Rostock mit Mozarts Le nozze di Figaro (fast) aufs Ganze. Die geringfügig eingestrichene Oper kommt auf 3½h mit Pause.

In der kurzen Oktober-Öffnungsphase der Saison 20/21 lief zumindest Die Schändung der Lukrezia, IOCO Rezension link HIER, die alleinig mit dem eigenen Ensemble gestemmt wurde. Doch wie überall folgten pandemiebedingte Absagen und einige bereits bis zur Aufführungsreife geprobte Inszenierungen, wie Das schlaue Füchslein oder Eugen Onegin liegen noch auf Eis, stehen aber erneut auf dem Spielplan. Bedauerlicherweise gab es in der Zwischenzeit einige Abgänge im Ensemble, allerdings auch äußerst sehens- und hörenswerte Neu-Engagements und Kooperationen.

Der neue Hausregisseur Rainer Holzapfel, der den Rostockern bereits als Gast bekannt ist, setzt voll und ganz auf das Libretto, bleibt jederzeit nahe am Text und inszeniert – trotz der vielschichtigen Themen und Verwicklungen, die jede Menge Raum für Interpretationen geben – geradlinig am Text durch das Geschehen. In seinem eigenen Bühnenbild, bestehend aus immer wieder unterschiedlich angeordneten, freistehenden aber auch hoch gehängten oder im Boden eingelassenen Türen vor einem neutralen Hintergrund lässt er singen, spielen, leiden, triumphieren. Jede Tür eine Möglichkeit, ein Aus- oder Fluchtweg – eine Entscheidung, ein Versteck, ein Horchposten, Trennung und Verbindung. Und dennoch kann der Raum in ganzer Tiefe auch ohne spürbare akustische Abstriche genutzt werden. Das ist nicht neu, aber publikumswirksam, insbesondere, wenn die Türen als Projektionsflächen für die Darstellung innerer Konflikte genutzt werden.

Theater Rostock / Die Hochzeit des Figaro © Thomas Kunzmann
Theater Rostock / Die Hochzeit des Figaro © Thomas Kunzmann

Sitzt man allerdings nicht im Parkett exakt in der Mitte des Zuschauerraums, bietet sich ein (gewollt oder nicht?) mäßig attraktiver Blick auf die Hinter- und Seitenbühne. „Alles nur Fassade“?

Unter Martin Hannus spielt die Norddeutsche Philharmonie einen schwungvollen Mozart mit hoher Dynamik. Im Rang, mit dem recht direkten Klang, wirkt das Orchester mitunter den Sängern gegenüber sehr intensiv. Auch der Chor kann manchem Tempo nicht sauber folgen. Schön jedoch, dass ein originales Hammerklavier aus dem Bestand der Hochschule für Musik und Theater zum Einsatz kommen konnte – der versierte Pianist und Korrepetitor Ralph Zedler an den Tasten erhielt einen würdigen Extra-Applaus für seine exzellente Leistung.

Getragen wird die Oper jedoch insbesondere durch das zentrale Pärchen Figaro und Susanna. Christian Henneberg ist Gast in Rostock, mit immenser Steigerung gegenüber seinem bereits sehr soliden Don Giovanni in Cottbus vor drei Jahren. Seinen prunkvollen Bariton kann er jeder Situation und Stimmung entsprechend flexibel und sauber ausspielen, ohne das Szenische zu vernachlässigen. Er verleiht Titelfigur genau jene wechselvolle Emotionalität zwischen Liebe, Eifersucht, Rachefeldzug, Rückschlag und Triumph, die es rechtfertigt, die Oper nach ihm, und eben nicht nach der deutlich präsenteren Susanna zu betiteln.

Theater Rostock / Die Hochzeit des Figaro © Thomas Kunzmann
Theater Rostock / Die Hochzeit des Figaro © Thomas Kunzmann

Dabei sind es gar nicht die Herren, die im Textbuch von Lorenzo da Ponte die Handlung vorantreiben. Zwar sorgen sie für die Konflikte, die Lösungen aber führen die Frauen herbei. Und weil das angeprangerte Dilemma schon so schön im Text steht, sich die 250-Jahre-alte Kritik am „Ius primae noctis“ als roter Faden durch die Oper zieht, wie die mittlerweile 15 Jahre bekannte Übergriffigkeit exponierter Persönlichkeiten in der Kultur durch die Gazetten, fragt man sich, warum der in Arbeiter-Jeans gekleidete Chor dann noch mit plakativen „me too“-Parolen daherkommen muss, um einen modernistischen Kontext herzustellen, ergänzt um die neumodische Marotte, alles und jedes mit Handyvideos zu dokumentieren, um es für oder gegen jemanden verwenden zu können.

Aus derlei weltverbessernder „Öffentlichkeitsarbeit“ hält sich Susanna wohltuend heraus und verfolgt stringent ihre Nahziele. Erstens: den Grafen abwehren. Zweitens: Hochzeit nicht vermasseln. Lena Langenbacher jedenfalls ist ein Hauptgewinn für das Rostocker Ensemble. Fast scheint es, man hätte mit ihr DIE Susanna schlechthin gefunden und sich nur deshalb an die Oper gewagt, denn die Hälfte der zehn Hauptpartien musste mit Gästen besetzt werden. Doch das war es wert! Sie behält den Überblick in allen verzwickten Situationen. Und während die Männer den Röcken hinterherlaufen oder lauthals Rache verkünden, ist SIE es, die kühl den Plan schmiedet, der am Ende nicht nur die eigene Hochzeit rettet, sondern auch die Ehe des Grafen, wenn auch nicht dessen Ehre. Sie ist das Bindeglied zwischen allen Interessen und Parteien: warnend dem Bräutigam gegenüber, helfend bei der Gräfin, sich herauswindend aus dem aggressiv-fordernden Verhalten des Grafen, den Intrigen Basilios um dann wiederum als Retterin Cherubinos zu agieren. Dass sie dabei auch mal über das Ziel hinausschießt, dem Bräutigam eine Kelle mitgibt, weil er sich vermeintlich mit der Falschen arrangiert, liegt dann wohl in der Natur der Sache.

Die Traumrolle ihres Stimmfachs meistert sie mehr als souverän. Das Orchester scheint sie zu lieben – und sie das Orchester. Sie schmiegt sich regelrecht an die Töne aus dem Graben und verschmilzt mit ihnen, setzt immer neue Akzente und überzeugt auch darstellerisch in jeder Szene.

Theater Rostock / Die Hochzeit des Figaro © Thomas Kunzmann
Theater Rostock / Die Hochzeit des Figaro © Thomas Kunzmann

Eng mit ihr verbunden und verbündet Natalija Cantrak als Contessa, deren Kammerdienerin sie ist. In ihrer ersten Arie wird Cantrak von einer ins Weltall entführenden Projektion gestützt und vom Publikum entsprechend gefeiert. Vom sadistischen Gatten gequält, aber auch argwöhnisch eifersüchtig verfolgt, ist sie dennoch nicht die sprichwörtliche „Unschuld vom Lande“. Wenn sie dann ihren Triumph aus vollem Halse auskosten kann, bekommt man eine Vorstellung von der bizarren, wenn auch schwer nachvollziehbaren Hass-Liebe, die beide verbindet.

Ganz zeitgemäß scheint die späte Versöhnung dennoch nicht. Allzu derb treibt es Maximilian Krummen als impulsiv-zynischer Graf, den man dennoch seines wunderbaren Tons wegen einfach nicht hassen möchte.

Stimmlich wie auch habituell glaubhaft auf die Erotik des Bösen abonniert ist Basilio (Ted Schmitz) als Teufelsgeiger. Auf der Klaviatur der Eitelkeiten spielt und singt er meisterlich düster, sodass man zweimal ins Programmheft schauen muss um glauben zu können, dass er auch den liebenswürdig-stotternden Don Curzio mimt.

Theater Rostock / Die Hochzeit des Figaro © Thomas Kunzmann
Theater Rostock / Die Hochzeit des Figaro © Thomas Kunzmann

„Der/die Liebestolle in der Hosenrolle“ hätte mit Blick auf Katarzyna Wlodarczyks Cherobino eine flachwitzige Überschrift lauten können, seine/ihre Schwärmerei für die Gräfin ist so herzzerreißend unschuldig, dass man ihr mehr Raum in der Oper wünscht.

Jussi Joula gestaltet den etwas schmuddeligen Arzt und Pseudo-Advokat Bartolo mit geschmeidigem Bass, während seine Ex-Geliebte Marcellina (Takako Onodera) in kreischigem Outfit blitzschnell von spitz-fordernd (Figaros Heiratsversprechen) in mütterlich-liebend wechseln kann.

Anna Krasnoselskayas Barbarina ist ähnlich Cherubino noch auf der Suche nach sich selbst und ihrem Platz in der Gesellschaft. In jugendlicher Anti-Pose als kaugummikauende „Null-Bock-Generation“, Lederjacke über einem „Tote Hosen“-Shirt, mit Boots und Netzstrümpfen versucht sie sich in der Welt der Erwachsenen, irgendwo zwischen Anpassung und Trotz, Teilhabe und Rebellion – und zeigt dabei stimmlich, dass Hochschule für Musik und Theater Rostock nicht nur für das Orchester Akademisten bereitstellen, sondern auch das Opernensemble ergänzen kann.

Fazit: trotz eines Casts mit vielen Gästen überzeugt sowohl musikalisch als auch darstellerisch ein erstaunlich kompakt wirkendes Team. Die gelungene Gesamtleistung wurde vom Premierenpublikum mit lang anhaltendem, wohlverdientem Applaus und einigen Bravi gefeiert. Der Oper – auch in der Rostocker Darstellung – lassen sich immer wieder neue Aspekte und Details entlocken und so bin ich selbst gespannt, welche Fragen sich beim nächsten Besuch aufwerfen, und welche beantwortet werden.

Die Hochzeit des Figaro am Theater Rostock,  die naechsten Termine 8.10., 10.10., 25.10.2021

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