Wolfsburg, Scharoun Theater, Albrecht Mayer - I Musici di Roma, IOCO Kritik, 13.10.2020

Wolfsburg, Scharoun Theater, Albrecht Mayer - I Musici di Roma, IOCO Kritik, 13.10.2020

Theater Wolfsburg

Scharoun Theater Wolfsburg © Stadt Wolfsburg / Lars Landmann
Scharoun Theater Wolfsburg © Stadt Wolfsburg / Lars Landmann

Albrecht Mayer  - I Musici di Roma

Ein Hauch von Venedig im Scharoun Theater in Wolfsburg

von Christian Biskup

„Die Musik des Barock klingt immer gleich!“ Wie oft schon hörte man schon diesen Vorwurf gegenüber den alten Meistern. Und nicht nur unwissende Laien äußern ihn. War es nicht Igor Strawinsky der behauptete, Vivaldi habe ein Konzert mehrere hundert Mal komponiert?

Selbst der Rezensent kann nicht leugnen, dass er in früher Jugend zu den gleichen Urteilen kam. Doch wer das zweite Gastspiel in der Konzertreihe des Scharoun Theater Wolfsburg erlebte, muss letztendlich doch bekennen – so einfallslos waren die Herren von damals eben doch nicht!

Wie schon oft in der Vergangenheit folgte ein hochkarätiges Ensemble samt Solist der Einladung des Wolfsburger Hauses. Albrecht Mayer, der wohl bedeutendste lebende Oboist unserer Zeit und das italienische Kammerorchester I musici di Roma kamen als Gäste mit einem reinen Barockprogramm, Oboen-Konzerte und virtuosen Concerti grossi: Sie entführten den Zuhörer in das barocke Italien und oft genug ins historische Venedig!

Alfred Mayer und I Musici di Roma youtube Trailer Konzertdirektion Dr. Rudolg Goette Hamburg [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]

Den Beginn machte die Sinfonie für Streicher B-Moll RV 168 von Antonio Vivaldi. Angeführt von der dynamischen Konzertmeisterin Iuditha Hamza gelang ein furioser Anfang. Dynamisch, kontrastreich und die Affekte auskostend war besonders der erste Satz bereits ein Glanzstück barocker Klangentfaltung.

Antonio Vivaldi - Denkmal in Wien © IOCO
Antonio Vivaldi - Denkmal in Wien © IOCO

Zum zweiten Werk, dem Concerto für Oboe, Streicher und Basso Continuo C-Dur RV 450 kam Albrecht Mayer auf die Bühne, der es sich nicht nehmen lies, den Abend auch ein wenig zu moderieren. Vivaldi unterrichtete am Ospedale della Pietà, ein Waisenhaus für gestrandete und verwaiste Kinder – kurz: ein sozialer Brennpunkt, so Mayer. Vivaldi hob das Können der Musizierenden auf ein bedeutendes Niveau und häufig verliebte sich der rote Priester wohl auch in das ein oder andere Mädchen. Zuerst viel für eine – wohl durchhaus hübsche – Fagottistin komponierend, trat eines Tages eine – wahrscheinlich noch attraktivere – Oboistin zu Vivaldi. Schließlich ließ er das Komponieren für Fagott sein und schrieb rund 20 Konzerte für die Oboe, wie Mayer nicht ohne Augenzwinkern zu berichten weiß.

Das Konzert, welches sich durch harmonische Raffinessen und ungemein schnelle Verzierungen auszeichnet und fast das Prädikat „virtuos ohne Sinn und Verstand“ verdient, meistert Mayer mit großer Leichtigkeit, Elan und Schwung. Schon hier zeigt sich, dass I musici di roma und Mayer ein lang bekanntes, eingespieltes Team sind. Die homogene Klangentwicklung und das Zusammenspiel beeindrucken ungemein – schon hier: Viel Applaus!

Scharoun Theater Wolfsburg / hier das Ensemble I Musici di Roma © Ernesto de Angelis
Scharoun Theater Wolfsburg / hier das Ensemble I Musici di Roma © Ernesto de Angelis

Es folgt die dreisätzige Sonata a Cinque g-moll SI 7 des venetianischen Barockmeisters Tomaso Albinoni (1671-1751). Zumindest ließ das Programmheft dies so verlauten. Die Titelbezeichnung im Programm war jedoch offenkundig falsch, da sich das gespielte und anläßlich der Rezension nachgehörte Stück im wesentlichen unterscheiden und auch Titel und Verzeichnisnummer nicht zusammengehören. Welches Stück es auch immer war – auch hier eine Darbietung der Extraklasse.

Johann Sebastian Bach Leipzig © IOCO / HGallee
Johann Sebastian Bach Leipzig © IOCO / HGallee

Eines der Programmhighlights war das folgende Konzert für Oboe d'amore A-Dur BWV 1055 von Johann Sebastian Bach (1685­-1750). Ein Fachmann wird zwar sofort aufhorchen und sagen „BWV 1055 ist doch ein Cembalokonzert!“, womit man nicht unrecht hat. Der Ambitus der Solostimme entspricht jedoch dem einer tiefer klingenden Oboe d'amore, sodass man aus der Cembalostimme das vermeintlich originale Oboenkonzert rekonstruiert hat. Klanglich ist diese Fassung ein großer Gewinn. Gerade der herrliche, so innig empfundene langsame zweite Satz erhält durch den Gesang der Oboe einen schmerzlich-schönen Ausdruck, der durch die komponierten Dissonanzen in den Streichern ungemein expressiv wirkt. Im finalen Satz, ähnlich einem Bauerntanz kann Mayer erneut seine große Virtuosität ausspielen. Bravo!

Francesco Germiniani (1687-1762) sorgte für das zweite Programmhighlight. Obgleich der Komponist in Italien geboren wurde, verbrachte er ab 1714 den Großteil seines Lebens in London, wo er als Violinvirtuose und Komponist wirkte. Als Schüler Corellis versuchte er von dessen beliebten Werken zu profitieren und arbeitete dessen Sonaten op. 5 für Violine und Basso Continuo zu Concerti grossi um. Eines davon wurde das bekannte Konzert La Folia, welches auf einer iberischen Tanzmelodie basiert und in 24 Variationen verarbeitet wird. Der Raffinesse zu lauschen, mit der Germiniani die einfache und eingängige Melodie stetig verändert und zu neuen Höhepunkten führt, macht einfach Spaß; besonders, wenn das Orchester – nun unter Konzertmeisterin Francesca Vicari – mit solch großer Spielfreude dabei ist. Stark kontrastierend spielend, erweisen sich die Musiker als Meister ihrer Instrumente. Dies zeigt sich besonders in den teils aberwitzig-schnellen Figuren der Solistengruppe – so besonders im Cello. Das Zusammenspiel ist perfekt und das Publikum ist nach diesem fulminanten Werk hörbar begeistert!

Zum Abschluss des Konzertes präsentierte Mayer das Konzert für Oboe in d-Moll. Ein Werk welches - wie er erklärt -, auch gerne schon von achtjährigen jungen Oboisten gespielt wird. Doch es gibt ein Problem dabei, wie Mayer erläutert: „Der langsame Satz ist wirklich eine überirdisch schöne lange Melodie. Und da weiß man schon, dass es ohne eine Zirkuläratmung nahezu unmöglich ist, das wirklich vernünftig zu spielen. Das bedeutet, dass man während des Blasens ein- und ausatmen kann.“ Und das kann Mayer! Die Linie wird nicht unterbrochen, die hymnische Melodie eine einzig schöne Phrase! Der letzte Satz ist wieder ein Virtousenstück, welches den Applaus nur so heraufbeschwört.

Als Zugabe erklingt ein Satz aus der Bachkantate „Ich hatte viel Bekümmernis“, gewidmet dem unlängst verstorbenen ersten Cellisten Francesco Strano.

Das Wolfsburger Publikum ist begeistert – viel Beifall für ein Konzert der Superlativen!

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