Hannover, Staatsoper Hannover, La Juive - Fromental Halévy, IOCO Kritik, 10.10.2019

Hannover, Staatsoper Hannover, La Juive - Fromental Halévy, IOCO Kritik, 10.10.2019

Staatsoper Hannover

Staatsoper Hannover © Marek Kruszewski
Staatsoper Hannover © Marek Kruszewski

La Juive - Fromental Halévy - Die Jüdin

- Liebe unter dem Schatten der Intoleranz -

von Hanns Butterhof

Die neue Spielzeit an der Staatsoper Hannover beginnt unter der neuen Intendantin Laura Berman mit einem szenisch-musikalischen Großereignis. Fromental Halévys tragische Oper La Juive (Die Jüdin) von 1835 erzählt eine Liebesgeschichte, auf die tödlich der Schatten konfessioneller Intoleranz und barbarischer Gewalt fällt. Lydia Steyer inszeniert in opulenten Bildern, ein tolles Ensemble und die von Valtteri Rauhalammi souverän geleitete musikalische Handlung stimmen zu einem eindringlichen, aufwühlenden Opernabend zusammen.

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Fromental Halévys La Juive mit dem Libretto von Eugène Scribe spielt eigentlich in Konstanz des Jahres 1414 zur Zeit eines Konzils, das um die Einheit der Katholischen Kirche und gegen Reformer wie Jan Hus kämpft. Die aufgeregte Zeit voller Intoleranz dehnt Lydia Steyer bis in die Gegenwart. Sie lässt jeden Akt einen Zeitsprung rückwärts machen, von den 50er Jahren in den USA zum Ende der 20er-Jahre nach Deutschland und dort in das barocke Stuttgart, bevor die Oper über die spanische Inquisitionszeit schließlich in Konstanz ankommt. Dass dieser Verweis auf die Aktualität des Stoffs erstaunlich glatt gelingt, hat nicht zuletzt darin seinen Grund, dass sich das Geschehen so erschreckend unverändert durch die Historie zieht.

So beginnt das Unheil nicht erst, als die junge Jüdin Rachel (Barno Ismatullaeva) eine Liebesbeziehung zu dem katholischen Prinzen Léopold (Matthew Newlin) eingeht. Es wird immer schon dort ausgebrütet, wo niemand derjenige sein kann, der er ist, sondern von starren Konventionen überformt und gefesselt wird.

Als Bühne für die eindringliche Handlung hat Momme Hinrichs eine große Video-Wand wie eine Mauer gebaut, auf die mittelalterliche Kreuzigungsszenen mit Juden als Tätern projiziert werden. Video-Technik lässt die Mauer wie durch die Posaunen von Jericho zerstieben und malt einen künstlichen Heiligenschein um den Versöhnung predigenden, aber Unterwerfung fordernden Kardinal Brogni (Shavleg Armasi). Aus der Wand lassen sich auch Tribünen für die üppigen Volksszenen und das symbolisch stimmig in Flammen aufgehende Häuschen Éléazars herausschieben.

Staatsoper Hannover / Die Jüdin - hier : Barno Ismatullaeva als Rachel © Sandra Then
Staatsoper Hannover / Die Jüdin - hier : Barno Ismatullaeva als Rachel © Sandra Then

Poppig bunt beginnt die Oper im Amerika der 50er Jahre. Hier fährt Léopold in Elvis-Pose und verkleidet als der Jude Samuel im Straßenkreuzer vor, bei seiner Serenade „Loin de mon amie“ werden die Mädchen in Petticoats (Kostüme: Alfred Mayerhofer) schwach. Sein werbendes Lied aber gilt der Jüdin Rachel. Sie ist das Kind christlicher Eltern, das der jüdische Goldschmied Éléazar (Zoran Todorovich) aus einem brennenden Haus gerettet und in seinem Glauben aufgezogen hat. Eine fromme Menge, die sich für eine Prozession mit Panzern, Wagen mit Gehenkten und Geräderten versammelt hat, ist umstandslos bereit, Éléazar wegen Störung der Festtagsruhe zu lynchen, und stimmt dazu ein mächtiges Tedeum (Choreinstudierung: Lorenzo Da Rio) an. Dass Léopold als Samuel ihn schützen kann, kommt einem Wunder gleich.

Die gedrückte Stimmung einer Kirche im Untergrund breitet der düstere zweite Akt aus, der Ende der 20er Jahre in Deutschland spielt. Im Hause Éléazars wird mit Samuel das Pessach-Fest zur Befreiung von der Herrschaft der Ägypter gefeiert, als es beängstigend kräftig an der Türe klopft. Hastig werden alle rituellen Gegenstände abgeräumt, die Gäste versteckt und der Raum wieder in Éléazars Goldschmiede-Geschäft zurückverwandelt. Doch harmlos erscheint mit Hündchen die aufgedonnerte Prinzessin Eudoxie (Mercedes Arcuri), die Gattin Léopolds, um für ihn eine Goldkette zu kaufen. Sie verlässt, ohne in Samuel ihren Mann erkannt zu haben, das Haus, das mit bedrohlichem Vorschein in Video-Flammen aufgeht. Léopold gesteht Rachel seine Täuschung und erwägt, mit ihr vor der drohenden Todesstrafe für die „Rassenschande“ irgendwohin zu fliehen. Als Éléazar in Unkenntnis der Täuschung zustimmt, dass die beiden heiraten, bekommt der Prinz kalte Füße und flüchtet sich in die Residenz zu seiner Gattin.

Paris / Jacques und Fromental Halévy © IOCO
Paris / Jacques und Fromental Halévy © IOCO

Hier ist alles voller barocker Leichtigkeit und Glanz, die Kostümabteilung prunkt mit rauschenden Röcken, glänzenden Uniformen und phantasievollen Frisuren. Vor einem Wandschirm mit dem pornographischen Boucher-Gemälde „Leda und der Schwan“ macht sich Eudoxie für ihren Gatten schön, der sich von ihr recht widerstandslos flachlegen lässt. Rachel, die ihm nachgegangen ist, macht den Skandal öffentlich, dass sich der christliche Prinz mit einer Jüdin eingelassen hat. Sofort fällt die ganze Gesellschaft, die sich zur Feier Léopolds um die üppigst beladene Speisetafel versammelt hatte, demütigend über die beiden her. Das Geständnis bringt alle vor Gericht, Rachel, Léopold und Éléazar - ein Anklang an das Schicksal von „Jud Süß“ Oppenheimer, der im Stuttgart von 1738 unter obskuren Anklagen zum Tode verurteilt wurde. Kurz scheint zwar ein Happy-End möglich, als Éléazar mit sich ringt, ob er nicht offenbaren sollte, dass Rachel ein Christenkind ist. Das würde der Anklage den Boden entziehen. Aber Éléazars Fesseln aus bitterem Hass und religiösem Fanatismus lassen das nicht zu.

Deren Quellen liegen tiefer in der Vergangenheit. In Rom war einst unter dem damaligen Magistrat Brogni die Familie Éléazars getötet, er selber verbannt worden. Jetzt ist Brogni als Kardinal und Präsident des Konzils Chefankläger gegen Éléazar & Co. Doch Brogni weiß nicht, dass Rachel seine Tochter ist, die er mit seiner ganzen Familie verbrannt glaubt.

Staatsoper Hannover / Die Jüdin -  hier :  Zoran Todorovich als Eleazar © Sandra Then
Staatsoper Hannover / Die Jüdin - hier : Zoran Todorovich als Eleazar © Sandra Then

Rachel wartet 1492 in dem Gefängnis der spanischen Inquisition am Fuße einer hohen Treppe auf den Ausgang des Prozesses. Dem Flehen Eudoxies, ihre Anschuldigung zu widerrufen und so wenigstens Léopolds Leben zu retten, kommt sie aus Liebe nach; Léopold ist ein Großer, das Gericht lässt ihn laufen. Doch auch für Rachel scheint noch Hoffnung auf. Brogni hat von Éléazar erfahren, dass seine Tochter noch lebt, aber nicht, wer sie ist, und bietet ihm als Rettung den Übertritt zum Katholizismus an. Doch ist dieser Weg durch Éléazars Hass auf die Katholiken und seinen fanatischen Glaubenseifer versperrt. Nur für Rachel erwägt er in tragischer Zerrissenheit diese Möglichkeit. Als er ihr die Alternative eröffnet, für eine kurze Spanne Lebens das Seelenheil auf ewig zu verlieren, wählt sie mit ihm den Tod.

Die Hinrichtung findet schließlich im Rahmen eines Volksfestes beim Konstanzer Kirchenkonzil 1414 statt. Die Menge in den Kostümen jetzt aller vorherigen Akte, mit Go-go-Tänzerinnen in Stars-and-Stripes-Bikinis, erfreut sich wieder an dem Schauspiel einer Prozession. Ein riesiger Globus als Zeichen der katholischen Weltherrschaft, Menschenfresser und Henker in Micky-Maus-Kostümen ziehen vorbei. Und in dem Moment, in dem Rachel zur Belustigung des Volks in kochendes Wasser geworfen wird und nicht mehr zu retten ist, verrät Éléazar dem Kirchenfürst in Befriedigung seines alten Rachegelüstes, dass sie seine Tochter war. Mit dem zusammenbrechenden Brogli fällt der Vorhang.

Lydia Steyer schafft mit klaren, teilweise witzigen und bunten, auch erschreckenden ganz der Grande Opéra gemäßen Bildern trotz der schwierigen Zeitsprünge eine schlüssige Erzählung, der man gebannt bis zum tragischen Ende folgt. Für ihre große Neigung, Kinder einzusetzen, finden sich nicht unbedingt zwingende Anlässe. Im Großen gelingen ihr jedoch ergreifend menschliche Figuren und die Entwicklung von Rollenträgern zu Menschen in all ihrem Zwiespalt, wie sie eine Zeit fortlebender Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und gewaltbereitem Fanatismus hervorbringt. Die Regie ergreift keine Partei und erlaubt so dem Publikum nicht, sich beruhigt auf der richtigen Seite zu fühlen. Das reißt aktuell die in jedem vorhandenen Vorurteile, Ressentiments und Zerrissenheiten auf, so dass man La Juive aufgewühlt betroffen verlässt.

Die Gesangspartien sind durchwegs hervorragend besetzt. Die junge usbekische Sopranistin Barno Ismatullaeva begeistert mit einem überaus gelungenen Rollendebüt. Mit ihrem warmen jugendlichen Sopran, sicheren Höhen und eindrucksvoll stimmlicher Gestaltung ihrer Rolle ist sie eine nahezu ideale, bis in den Tod liebende Rachel. Auch die Argentinierin Mercedes Armasi überzeugt als Eudoxie. Anfangs mit ihrem sehr beweglichen Koloratursopran noch etwas veralbert, gewinnt sie an Format und rührt als flehende Gattin. Der Amerikaner Matthew Newlin passt als Léopold mit seinem leichten, hellen Tenor perfekt als Bruder Leichtfuß, und der Georgier Shavleg Armasi entwickelt sich mit profundem Bass von einem empathielosen Kirchenfunktionär zum gebrochenen Vater. Der serbische Tenor Zoran Todorovich ist ein gesanglich ungeheuer eindringlicher Éléazar von starker Bühnenpräsenz. Beeindruckend sein großes Gebet im zweiten Akt, erschütternd sein inneres Ringen um den rechten Weg für Rachel, der er allerdings ihre Herkunft verschweigt.

Staatsoper Hannover / Die Jüdin - hier : Rachel, Eleazar und Leopold © Sandra Then
Staatsoper Hannover / Die Jüdin - hier : Rachel, Eleazar und Leopold © Sandra Then

Wuchtig und klangschön hat der von Lorenzo Da Rio einstudierte Chor prächtige Szenen, und im Orchestergraben leitet Valtteri Rauhalammi das Niedersächsische Staatsorchester bei einigen kleinen Unstimmigkeiten mit der Bühne umsichtig. Die großen musikalischen Ausbrüche wie beim schrillen Entsetzen der Festgäste macht er so hörbar wie das feine Schlagen von Rachels Herz, und horcht musikalisch tief in die Seele des Volks und der Protagonisten hinein.

Die unbedingt sehens- und hörenswerte Oper La Juive endet nach dreieinhalb fesselnden Stunden und einer langen Pause betroffenen Schweigens mit großem Jubel, teils stehend dargebrachtem Beifall für Valtteri Rauhalammi und das Niedersächsische Staatsorchester, großem Beifall für Chor und das Sängerensemble,Trampelbeifall für Barno Ismatullaeva und Zoran Todorovich.

La Juive an der Staatsoper Hannover; die nächsten Termine:12.10 um 19.30 Uhr, 31.10.2019  16.00 Uhr

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