Berlin, Renaissance-Theater, Im weißen Rössl - Ralph Benatzky, IOCO Kritik, 22.08.2019
Im weißen Rössl – Ralph Benatzky und ....
Musik - Ralph Benatzky, Robert Stolz, Bruno Granichstaedten Robert Gilbert, Text - Ralph Benatzky, Hans Müller-Einigen Erik Charell
von Kerstin Schweiger
Wie ein altes Schwarzweißbild aus längst vergangenen Ferien mutet Ralph Benatzkys und Erik Charells 1930 im großen Schauspielhaus an der Berliner Friedrichstraße (heute steht dort der neue Friedrichstadt-Palast) uraufgeführter Operettensuperschlager von 1930 heute an. Herz und Schmerz und Liebeschaos am Wolfgangsee. Berliner Schnauze und Austria-Schmäh.
Tuba vorm Balkon: Das Renaissance-Theater Berlin zeigt Benatzkys Singspiel „Im weißen Rössl“
Und doch war die Uraufführung am 8. November 1930 im Großen Schauspielhaus in Berlin der Schlager der Saison, modernes Unterhaltungsmusiktheater mit Elementen aus Jazzcombo, Volksmusikorchester und Feuerwehrkapelle. Und dies in einer Zeit, die knapp zwei Jahre früher mit der Dreigroschenoper von Brecht und Weill oder den jazzigen Operetten von Paul Abraham, mit Tonfilmschlagern und den Revuen der späten 1920er Jahre bereits in Richtung Musical geschielt hatte. 18 Monate lang stand das Stück ununterbrochen auf dem Spielplan. Eine musikalische Wandtapete, die in Zeiten des aufkommenden Massentourismus das tatsächliche Wirtshaus zum Weißen Rössl in St. Wolfgang zu einem Wallfahrtsort für Touristenströme machte und zum Traum-Sehnsuchtsort für die, die nicht vereisen konnten.
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Das Stück setzte eine Serie von erfolgreichen Uraufführungen am Großen Schauspielhaus fort. Charell legte das Ganze als musikalisches Teamwork an und damit den Grundstein für den großen Erfolg. Ralph Benatzky war als musikalischer Supervisor engagiert, die Parole lautete, eigene Kompositionen mit passender Volksmusik und Schlagern anderer Komponisten zu kombinieren. So jagt bis heute ein Schlager den nächsten. Von Robert Stolz kamen der Foxtrott "Die ganze Welt ist himmelblau" und der Walzer "Mein Liebeslied muß ein Walzer sein".
"Zuschaun kan i net" stammte von Bruno Granichstaedten und "Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist" von Robert Gilbert. Eduard Künneke wurde beauftragt, die Instrumentation zu übernehmen und die Chöre zu schreiben. Neu war auch, dass die große Orchesterbesetzung alle gängigen Stile der populären Musik beherrschte. Von Feuerwehrkapelle über Jazzcombo bis hin zu Zitherspielern wirkten neben dem großen Bühnenorchester im Berliner Schauspielhaus 1930 rund 100 Musiker mit. Benatzky hatte Erfahrung mit großen Besetzungen, seit 1926 arbeitete er in Berlin mit Erik Charell zusammen, komponierte Musik für die Jahresrevuen des Großen Schauspielhauses in Berlin. Darüber hinaus besaß er Kabarett-Erfahrung für die kleine Form. Mit seiner ersten Frau der Wiener Diseuse Josma Selim trat er bis 1923 im Wiener Kabarett Simplicissimus mit selbstkomponierten Chansons auf.
Die Besetzung bot die Crème de la Crème der Berliner Unterhaltungsbranche 1930 auf. Max Hansen, Siegfried Arno, Camilla Spira, Otto Wallburg und Paul Hörbiger u.a. spielten in der Uraufführung. Die BZ am Mittag schrieb über die Uraufführung 1930: „Die Landschaft von Wolfgang baut sich bis in die alpenglühenden Gipfel auf und geht rund ums Parkett, das zum Talkessel wird. Die Echtheit zu beglaubigen, rollte ein richtiger Omnibus auf die Bühne (allerdings viel zu pünktlich), der See ladet zum Bade, ein Wasserfall spult seinen silbernen Zwirn, ein richtiger Regen schnürlt vom Himmel, und Ziegen meckern dich an. Waschecht auch Schuhplattler, Jodlerinnen, Watschentänzer und die Kostüme, die Trachten sind. Ein Volk von Sennern, Hirten, Jägern, Schützenmädels, Feuerwehrleuten, Veteranen, Bauern Wirtshausleuten koloriert das Milieu. Und das Lokalkolorit wird sozusagen synkopiert von der Internationalität der Girls und Boys, die beweisen sollen, daß auch St. Wolfgang nicht außer der Welt liegt. Ihre Tänze sind das fließende Band, das die Handlung aufrollt, heranträgt, in Takte und Akte teilt.(…) In diesen Tänzen triumphiert nicht nur der Rhythmus der Beine, der Musik, sondern auch der Kostüme: Farben, Stoffe, Zusammenklang. Symphoniker ist hier Ernst Stern, Professor mit Recht. Wunderschön. Der Rhythmus, die Zweiteilung setzt sich bis ins Orchester fort, dessen Linke Jazz, dessen radikale Rechte Zither und Laute sind, Heimwehlaute unter Steirerhut und Hahnenschwanz.“
Doch der Erfolg der Uraufführung währte nicht lange, die Nationalsozialisten verboten weitere Aufführungen wegen der jüdischen Herkunft Charells und weiterer Autoren. Viele der erfolgreichsten Unterhaltungsarbeiter der Weimarer Republik waren jüdischer Abstammung, einige entkamen aus Deutschland, andere wurden im KZ ermordet. So endete auch das von Benatzky, Paul Abraham, Robert Gilbert, Erik Charell, Kurt Weill und anderen Mitstreitern erfolgreich produzierte neue unterhaltende Musiktheater.
Erst seit der Wiedererweckung des Rössl in der Bar Jeder Vernunft 1994 in einer legendären Besetzung, angeführt von den Geschwistern Pfister mit Otto Sander, Meret Becker und Gerd Wameling, steht das Stück immer wieder auf den Spielplänen deutscher Theater als sichere Bank, wenn es um Auslastungen geht.
In Berlin haben seither Aufführungen des musikalischen Alpendramas um die Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber, ihren Oberkellner Leopold und die kauzig-liebenswerte Besetzung aus Einheimischen und Berliner Piefkes im Theater des Westens und in der Komischen Oper um die Gunst des Publikums gewetteifert. Nun stellt das Renaissance-Theater als Wiederaufnahme-Premiere bereits in der zweiten Spielzeit eine ganz eigene Fassung vor.
Das Stück kommt Tucholskys Ideal „vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“ recht nahe. Berliner Schnauze trifft österreichischen Schmäh, Alpenpanorama mit Herzschmerz und Schnaps, Leberknödel meets Boulette und am Ende haben sich alle lieb.
Heimlicher Chef im Ausflugshotel Zum weißen Rössl am österreichischen Wolfgangsee ist Kellner Leopold. Er schmeißt den Laden auch in der Hochsaison. Doch für seine Chefin Josepha Vogelhuber ist er Luft, sie ignoriert ihn und seine Annäherungsversuche, no #Metoo am Wolfgangsee 1930. Josepha hingegen liebt nämlich heimlich einen Stammgast aus Berlin, Rechtsanwalt Dr. Siedler. Zeitgleich erscheinen, ebenfalls aus Berlin, der Fabrikant Wilhelm Giesecke und seine Tochter Ottilie. Dummerweise gibt es unangenehme geschäftliche Querverbindungen, für Giesecke ein weiterer Grund zum Maulen über die ungewohnte Bergidylle. Doch Ottilie hat einen eigenen Plan und findet Siedler supersüß! Leopold übertreibt seine Zuneigung zu Josepha und seine Abneigung gegen Siedler und fliegt prompt raus. Dann tauchen noch Sigismund, der Sohn von Gieseckes Erzkonkurrenten und Fabrikantensohn Sülzheimer junior auf, zusammen mit Dr. Heinzelmann nebst Tochter Klärchen, die er im Zug getroffen hat. Kaiserwetter am See erfordert auch einen echten Kaiser, der steigt im Weißen Rössl ab und Josepha beißt die Zähne zusammen und stellt den ansonsten ja tüchtigen Leopold wieder ein. Der benimmt sich schlecht und fliegt erneut. Der gütige Operettenkaiser regelt das für ihn und am Ende haben sich alle lieb.
Doch Regisseur Torsten Fischer, sein Ausstattungsteam und der Musikalische Leiter Harry Ermer setzen sich ganz bewusst über diese leichtsinnige Grundstimmung hinweg. Sie schicken eine Grußpostkarte aus der Sommerfrische und konzentrieren sich mangels großer bzw. vielstimmiger Besetzung und Ausstattungsmöglichkeit auf der kleineren Bühne auf den touristischen Aspekt des Stückes. Alles beginnt mit einem Andachtsjodler auf düsterer Bühne, die ganze Handlung hat in der hölzern getäfelten Gaststube mit Panoramabild und Gamsgeweih bei einheimischen Getränken und alpenländischer Musik ihren Ursprung. Vielleicht an einem regnerischen Abend, wo man sich Geschichten erzählt, von damals als der Kaiser kam oder der ortsunkundige Piefke ins Gebirge ging. Ein Kammerspiel im Salzkammergut, in das immer wieder eine andere Welt einbricht: Touristen jeglicher Couleur treten auf, der nörgelnde Berliner Großkotz mit Geld, ein smarter Stammgast, Vater und Tochter auf Entschleunigungsreise.
Und dann werden auch die Einheimischen wach und übernehmen die vom Tourismusmanager zugedachte Rolle als Animateure, die man aus dem, Prospekt und Operette kennt, sie erschaffen das gewünschte Operettenbild eines Postkartenidyklls: der schlawinernde Kellner im Biergarten, die resche Wirtin mit Herz oder die gut gelaunte Briefträgerin, der senil-huldvolle Kaiser vorm Kaiserstuhl. Harry Ermer und sein Quartett setzen auf die kleine Form, sie kreieren einen charmanten kammermusikalischen Rahmen mit Tuba, Trompete, Geige, Akkordeon, Klavier, Cello und Bass, der genau Benatzkys Stilvielfalt bedient und ohne Kitsch elegant zwischen Swing, Jazz, Operette und Revue wechselt.
Dabei kommen sie den unterschiedlichen stimmlichen Voraussetzungen der Besetzung entgegen. Musicalstar Andreas Bieber als Kellner Leopold und Winnie Böwe als Rössl-Wirtin werfen sich musikalische wie dialogisch die Bälle zu. Tonio Arango, Ralph Morgenstern, Walter Kreye, Angelika Milster, Nadine Schori und Annemarie Brüntjen übernehmen alle mehrere Rollen mit gut gelaunter Spielfreude, selbstironischem Augenzwinkern und viel stimmlichem Engagement. Als Piefke herrlich maulend, nörgelnd in eine Lederhose verfrachtet, hat Boris Aljinovic seinen großen Auftritt als Wilhelm von Giesecke. Am Ende regelt der Operettenkaiser alle Ränke, hat jeder sein Jodel-Diplom und wer eine Erlebnisreise gebucht hat, hat sie auch bekommen. Dem Publikum hat der Kurzausflug ins Operettenreich unzweifelhaft gefallen.
Das weiße Rössl: Aufführungen im Renaissance-Theater bis 7. September 2019
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