Rostock, Volkstheater, Fidelio - Ludwig van Beethoven, IOCO Kritik, 13.12.2018

Rostock, Volkstheater, Fidelio - Ludwig van Beethoven, IOCO Kritik, 13.12.2018
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Volkstheater Rostock

Volkstheater Rostock © Dorit Gaetjen
Volkstheater Rostock © Dorit Gaetjen

Fidelio - Ludwig van Beethoven

- Machenschaften, Wertekonflikte, Streitigkeiten - Allgegenwärtig - 

Von Thomas Kunzmann

 Die streitreiche, gebeutelte Rostocker Theaterlandschaft

Zwei Themen beschäftigte die gebeutelte Theaterlandschaft Rostock in den letzten Wochen: Der (Rechts)Streit um den ehemaligen Intendanten Sewan Latchinian ging in die letzte Runde und die Unrechtmäßigkeit der Kündigung steht nun unwiderruflich fest. Statt Abfindung nun also voller Ausgleich der Verdienstausfälle. Was der Verschleiß an Intendanten das Theater bzw. die Stadt in den letzten Jahren gekostet haben mag, spricht niemand aus. „Kosten“ sind auch das nächste Thema: nachdem Mitte des Jahres einmal die SPD kalte Füße beim Gedanken an den notwendigen Theaterneubau und seine Finanzierung bekam und über einen Volksentscheid lediglich halblaut nachdachte, hatte nun die CDU den Vorschlag eingebracht, man könne doch parallel zur Oberbürgermeisterwahl auch gleich über ein maximales Investitionsvolumen abstimmen lassen. Die Bürgerschaft entschied sich mehrheitlich dagegen. Ob damit der Weg für den notwendigen Neubau nun endgültig frei ist, steht dennoch in den Sternen.

John Dew inszeniert Fidelio am Volkstheater

Fidelio von Ludwig van Beethoven

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Politische Machenschaften, künstlerische Freiheit, Wertediskussionen – was läge näher als nach mehr als 25 Jahren FIDELIO, Beethovens große Freiheitsoper, endlich einmal wieder auf die Rostocker Bühne zu bringen? Zumal nach jahrelanger Angebotsreduzierung tatsächlich nur noch große Titel zu laufen scheinen. Durch den über Jahrzehnte kultivierten Streit um das Theater statt dessen Inhalt scheint erst einmal musikalische Basisarbeit notwendig, bevor man sich wieder in Experimente stürzen kann. Operette und Musical versprechen aktuell eher eine Konsolidierung der Publikumszahlen als „schwere“ Werke der Opernliteratur. Dennoch gibt es ein eng dem Theater verbundenes, treues Publikum, das trotz jahrelanger, schrittweiser Entwöhnung mit Spannung der zweiten (und damit auch schon letzten) Opernneuproduktion der Saison entgegensah.

Volkstheater Rostock / Fidelio © Dorit Gaetjen
Volkstheater Rostock / Fidelio © Dorit Gaetjen

Vor dem Hintergrund einer überhohen Mauer, lediglich mit einem Schreibtisch als Requisite (was auffällig an Mannheim 2010 erinnert), inszeniert John Dew nach seinem Motto „Die Musik trägt das“. Extrem reduziert, den Sängern Freiraum für eigene Entfaltung und Rollenentwicklung gebend. Er verzichtet auf große Gesten und plakative Übertreibungen, auf aktuellen Bezug. – und damit auf eine eigene Geschichte. Es entsteht eine kammerspielartige Atmosphäre, die die Beziehungen zwischen Leonore - alias Fidelio, Marzelline, Rocco und Jaquino eher andeuten als neu ausleuchten. Lediglich Leonores und Roccos Wissen um den eingekerkerten Florestan vermitteln das ungute Gefühl, dass neben der Dreiecksbeziehung eine tiefere Bedeutung, ja, eine Gefahr für die oberflächlich heile Welt wie ein Damokles-Schwert über allen Beteiligten schwebt. Erst Don Pizarros Auftritt, eskortiert von bedrohlich-stummen Wachen, gibt dem Unheil ein Gesicht. Lauernd wie ein Panther, taktierend, böse zischend. Unausweichlich steuert die Geschichte auf die Kerkerszene zu, in der Leonore die Hinrichtung Florestans verhindert und mit Roccos Hilfe Don Pizarro überwältigt. Vor dem opulenten Schlussbild erklingt die Große Leonoren-Ouvertüre in einer unglaublich präzisen, ergreifenden Version und spannt den Bogen zur Schlussszene, in der die Liebespaare vereint sind, sich die Freunde in den Armen liegen und der BöseWicht vertrieben wird.

Einige Erklärungen bleibt die Regie schuldig – wieso zum Beispiel Marzelline wie Liotards Schokoladenmädchen aussieht, warum Pizarro Florestan so lange leiden lässt und Mitwisser riskiert oder weshalb Don Ferrando mit einem bürgerlichen Hofstaat, der für einen Ball statt für eine Gefängniskontrolle gekleidet ist, erscheint.

Das Herzstück dieser Produktion ist jedoch die Norddeutsche Philharmonie mit einer unglaublich überzeugenden Leistung unter ihrem neuen Kapellmeister Martin Hannus. Dieser holt aus dem Orchester einen sauber abgestimmten, durchsichtigen Klang heraus, was angesichts der akustischen Schwierigkeiten des Raumes kaum hoch genug eingeschätzt werden kann.

Volkstheater Rostock / Fidelio - hier : der Gefangenenchor © Dorit Gaetjen
Volkstheater Rostock / Fidelio - hier : der Gefangenenchor © Dorit Gaetjen

Maria Hilmes gibt als Gast ihr Rollendebüt als Fidelio mit feinfühligem Sopran. In ihrer Stimme klingen ihre Selbstzweifel, ob ihre Kraft für ihr Unterfangen reicht, ebenso wie ihre unerschütterliche Entschlossenheit, und dennoch fügt sie sich so nahtlos in die Orchestrierung, als wäre sie ein Teil von ihr. Katharina Kühns Mazelline ist geradlinig, impulsiv und wie immer ein Feuerwerk an Energie auf der Bühne. Leichtfüßig, fast beiläufig gestaltet sie nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit ihrer Körpersprache. Oliver Weidinger fühlt sich sichtlich wohl in der grundbösen Rolle des Don Pizarro. Mit hassverzerrten Mundwinkeln intoniert er sauber und gestaltet den Intriganten überzeugend, wenngleich auch allzu leise – zumindest für den Rang. Peter Lobert als Rocco, eine Hüne, beeindruckt mit gewaltigem, dennoch warmen Bass, den er zwar zu zügeln scheint, mitunter allerdings eine Spur zu laut im Verhältnis zum restlichen Ensemble. Kaum zu glauben, dass dieser Baum von einem Kerl im Kerker Hilfe von der zarten Leonore benötigt. James J. Kee ist ein gequälter, dennoch kämpferischer Florestan, auf dem Weg zum Heldentenor. Trotz einiger Ausspracheschwierigkeiten bleibt er ausgezeichnet textverständlich. Gast Václav Vallon, dem Rostocker Publikum bereits aus dem Liebestrank bekannt hätte etwas mehr Regie verdient, sein lyrischer Tenor gerät leider etwas in den Hintergrund. Grzegorz Sobczak als strahlender Minister überzeugt wie gewohnt mit stählernem Bariton.

Insgesamt eine großartige Gesangsleistung, die deutlich die Erwartungen an ein Haus Rostocker Größe übertrifft. Nachdem das Parkett mit stehenden Ovationen die Leistung seines Ensembles feierte, wurde im Foyer ausgiebig diskutiert.

Begeisterte Stimmen trafen auf Unverständnis, schon lange wurde in Rostock nicht mehr so intensiv und kontrovers eine Inszenierung seziert. Während die einen die mangelnde Regie bedauern, schwärmen  andere von der Dichte und Fokussiertheit. Beiden Argumentationen kann man folgen. In jedem Fall dürfte dieser Fidelio das Rostocker Konzertpublikum ebenso ansprechen wie Puristen mit modernen Regiearbeiten nichts anzufangen wissen. Und selbstverständlich richtet sich dieses Angebot auch und ganz besonders an Operneinsteiger. Ein Bild sollte man sich in jedem Fall machen. Denn selbst jene, die das Geschehen auf der Bühne nicht ergreift, werden von der Musik beseelt den Abend lange in Erinnerung behalten.

---| IOCO Kritik Volkstheater Rostock |---

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