Dortmund, Theater Dortmund, Die göttliche Komödie I: Inferno - Ballett, IOCO Kritik, 05.12.2018
Die göttliche Komödie I: INFERNO - Dante Alighieri
Ballett von Xin Peng Wang - Musik Michael Gordon und Kate Moore
- Höllenqualen im Angebot -
Von Hanns Butterhof
Dante Alighieris Divina Commedia hat heute einen prominenten Platz in der Liste der am wenigsten gelesenen Weltliteratur neben dem Ulysses von James Joyce oder dem Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil. Das liegt nur zum einen an den 15 000 kreuzweise gereimten Terzinen der dreiteiligen Dichtung vom Anfang des 14. Jahrhunderts. Auch der Stoff, eine Wanderung des Dichters zu seiner früh verstorbenen jugendlichen Geliebten Beatrice durch Hölle und Fegefeuer bis zum Paradies ist sperrig. Er enthält nichts weniger als die Summe des christlichen Wissens am Ausgang des Mittelalters und ist in jedem Vers Enzyklopädie, Predigt und dramatisches Epos zugleich.
Xin Peng Wang lädt zum Besuch beim eigenen inneren Inferno ein
Die göttliche Komödie I: INFERNO - Ballett von Xin Peng Wang Youtube Trailer des Theater Dortmund [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
So ist es nicht verwunderlich, dass die Göttliche Komödie bislang keinen Choreographen von Rang dazu herausgefordert hat, sie zur Vorlage für ein Tanzstück zu erwählen. Überdies steht in Frage, ob die gerade im „Inferno“ gehäuften Martern überhaupt tanzbar sind und nicht in ein pathetisch gequältes Gekrümme und barmendes Armerecken münden müssen.
Xin Peng Wang, Direktor und Chefchoreograph des Balletts Dortmund, und sein Dramaturg und Konzeptentwickler Christian Baier sind davon überzeugt, dass man die Hölle nicht darstellen kann. Daher bieten sie mit dem Tanzabend Die göttliche Komödie I: Inferno Bilder und eine Musik an, zu denen jeder Betrachter seine eigene innere Höllenerfahrung assoziieren kann. Für das internationale Publikum gilt somit die Aufforderung des Programmhefts „Feel the hell !“
Auch der Dortmunder Tanzabend Die göttliche Komödie I: Inferno, der erste Teil der auf drei Spielzeiten ausgelegten Darstellung aller Teile von Dantes Werk, hat seine Tücken. Sie liegen vor allem in der Rolle Dantes, der, geführt von dem Römischen Dichter Vergil die Hölle nur zuschauend durchmisst. Die erste, äußerst eindringliche Szene zeigt ihn, (István Simon) wie er, nur mit einer weißen Hose bekleidet, in einem Gefängnis aus von oben herabhängenden, schaurig rasselnden Ketten liegt. Mühsam zieht er sich an diesen Ketten hoch, bricht wieder zusammen und bleibt wie gekreuzigt bäuchlings am Boden liegen. Dann erscheint ihm, wohl als Sehnsuchtsbild, seine Beatrice (Shuci Cao) im unschuldig weißen, durchscheinenden Chiton (Kostüme: Bernd Skodzig). Alabastern wie eine griechische Göttin atmet sie ihm zu Kate Moores romantischer Cellomusik „Whoever You Are Come Forth“ entgegen, um nach innigem Tanz wieder zu entschwinden.
Danach bleibt Dante tänzerisch wenig mehr, als sich in weiten, hohen Sprüngen mit dem präsenteren Vergil (Dustin True), der sturmumbraust mit rotem Umhang und schwarzer Hose auftaucht, von einem Kreis der Hölle zum nächsten zu bewegen und sich manchmal in zarten Pas de deux Beatrices zu erinnern.
Nach Dantes Beatrice-Imagination beginnt jäh die Hölle, stürzen spektakulär Verdammte wie auf Michelangelos „Jüngstem Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle vom Schnürboden herab. Zu den einsetzenden rhythmisch hämmernden Klangclustern von Michael Gordons Decasia, die das Stück bis zum Ende grundieren, treibt feuchtglänzend Fährmann Charon (Shai Ottolenghi) mit seinem Paddel die schwarz vermummten Verdammten, die aus dem Parkett und Orchestergraben kriechen, vor sich her in die Unterwelt.
Das tänzerische Schwergewicht liegt vor allem auf den Bildern, die von den eindrucksvollen Ensembles gemalt werden. Die Verdammten erscheinen, wenn sie ihre schwarzen Umhänge abgeworfen haben, in ihren Ganzkörpertrikots wie enthäutet, als wären sie bewegte Plastinate aus Gunther von Hagens' gruseligen „Körperwelten“. Wie nach einer höllisch blutigen Schlacht liegen sie schließlich zuckend verstreut auf der Bühne.
Die Sünder bleiben durchwegs ohne zurechenbare Identität. Die in eindrucksvollen Pas de deux, trois und quatre mit expressivem Tanz Hervortretenden werden bald von der Menge der übrigen aufgesogen, die sich wie im Schlamm wälzen, protestierend ihre Ketten hochreißen, sich wie unter schweren Lasten krümmen und oft spiralförmig gegen einander rennen.
Ihr Ziel ist ein hölzerner Trichter, den Frank Fellmann wie einen großen, manchmal blutrot aufglimmenden Federball auf die Hinterbühne gebaut hat. Er kann von den Verdammten von innen und außen bestiegen werden, ist aber auch spiralförmige Rutschbahn nach unten. Dass er nach oben offen ist, ist von besonders höllischer Raffinesse, lässt er doch dort immer noch hoffen, wo man Hoffnung ausdrücklich fahren lassen sollte. Dass der Trichter als eine Qualenschraube immer tiefer in den Höllenschlund führt, muss man ihm glauben.
Für das Höllengefühl ist nicht zuletzt die Musik Michael Gordons zuständig. Sein Stück Decasia schichtet immer intensiver Geräusche aller Art über einen beständigen, hämmernden Rhythmus. Er ist imstande, zunehmend Bedrückung und Engegefühle auszulösen und trägt so mit dazu bei, dass Die göttliche Komödie I: Inferno von Xin Peng Wang bei der Schönheit des Tanzes nicht ihren Schrecken verliert.
Ballett Die göttliche Komödie I: Inferno von Xin Peng Wang; Die nächsten Termine: 24.1., 8.2. und 17.3.2019, jeweils 19.30 Uhr
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