Wien, Burgtheater, Glaube - Liebe - Hoffnung von Ödön von Horváth, IOCO Kritik, 12.10.2018
Glaube Liebe Hoffnung - Ödön von Horváth
- Fiktion oder Wirklichkeit: Alles nur im Auge des Betrachters ? -
Von Viktor Jarosch
Ödön (Edmund - ung.) von Horváth (1901 – 1938) entstammt einer österreichich-ungarischen Diplomatenfamilie und lebte nach dem Zusammenbruch der k.u.k. Doppelmonarchie zumeist in Wien und Murnau. Glaube Liebe Hoffnung war sein neuntes Drama, welches er gemeinsam mit dem Gerichtsreporter Lukas Kristl 1932 schrieb. Kristl beklagte sich seinerzeit bei Horvath, daß Dramatiker immer nur über große Kapitalverbrechen schreiben, niemals über kleine Verbrechen, denen man landauf-landab begegnet, oft durch Unwissenheit ausgelöst, doch mit dramatischen Folgen für das Leben vieler Menschen. Die Protagonisten in Glaube Liebe Hoffnung, Elisabeth, den Schupo, Frau Amtsgerichtsrat, den Oberinspektor: ihre Schicksale sind real, hat Kristl persönlich erlebt. Mit Ödön von Horváth schuf Kristl das Drama Glaube Liebe Hoffnung.
Horváth sucht in seinen sozialpolitischen Werken die „Demaskierung des Bewusstseins“: der von Totalitarismus und Kriegen zerrissenen menschlichen Einzelschicksale; von verarmten Kleinbürgern, Frauen in patriarchalischer Unterdrückung und einer sozial entmündigten Gesellschaft. Aggressive, gefühlskalte aber reale Minderwertigkeitsgefühle von Mittel- und Unterschicht, in engstem Miteinander gelebte Gefühlskälte wird mit eigener Sprache, „Ur-Wienerisch“, konterkariert er: Gewohnte, gelegentlich artifizielle Umgangssprache von Mittel- und Unterschicht paart Horváth mit eigener, leerer Dialogsprache und schafft grausam schräg wie abstrus wirkende Synthesen. In Horváths Welt, in einer gedanken- wie rücksichtslosen Gesellschaft überleben Banditen, Scharlatane und Adabeis gut; Schwache dagegen werden zerrieben.
Ödön von Horvath, von den Nationalsozialisten verfolgt, von einem fallenden Ast 1938 in Paris erschlagen, zeigt in Glaube Liebe Hoffnung, dass Tiefgründiges, Lächerliches wie Brutales oft nur einen kleinen Spalt breit getrennt leben: höchst aktuell in unserer heutigen, von wie vielen Gesellschaftsschichten über iPad, Facebook, Twitter und Co. so intensiv wie rücksichtslos getriebenen Kommunikationswelle. Der Untertitel des Stückes „Ein Totentanz in fünf Bilder“ konterkariert erste, im Titel Glaube Liebe Hoffnung aufkeimende Lebensfreude.
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Die Handlung: Glaube Liebe Hoffnung zeichnet das Schicksal der jungen, hoffnungsfrohen Elisabeth, welche unbedingt für ihr Dasein arbeiten möchte; in ihrem gelernten Gewerbe Mieder, Hüftgürtel. Doch sie benötigt dafür einen kostenpflichtigen Wandergewerbeschein; das für den Kauf erforderliche Geld versucht sie, durch den Verkauf ihres Leichnams schon zu Lebzeiten beim Anatomischen Institut zu erlangen; dies misslingt, doch der Präparator des Instituts verliebt sich, leiht Elisabeth das notwendige Geld. Als er erfährt, dass Elisabeth „sein“ Geld nicht zur Bezahlung des Wandergewerbescheines verwendete sondern zur Bezahlung einer Vorstrafe, um dann der Wandergewerbeschein zu kaufen verlässt er Elisabeth ..
Regisseur Michael Thalheimer, am Berliner Ensemble derzeit beruflich zu Hause, inszeniert Glaube Liebe Hoffnung am Burgtheater. Mit zahlreichen, erfolgreichen Inszenierungen, ua. Elektra, Die Perser, ist Thalheimer in Wien wie am Burgtheater bestens etabliert. Die Bühne im Burgtheater prägt ein breiter, riesiger Trichter (Bühne Olaf Altmann), der über der leeren, fahl beleuchteten Bühnenmitte endet: ein greller, schmaler Lichtstrahl aus dem Trichter-Ende leuchtet grell auf die unter ihm agierende „Menschheit“, auf ausgespuckte Unterschichten. Elisabeth (Andrea Wenzl) erscheint dort in gleissendem Lichtkegel in hellem Sommerkleid; sie ist menschliche Lichtgestalt.
Elisabeth zieht im Lichtkegel langsam ihre Lippen nach und erklärt der unsichtbaren Umwelt wie dem Publikum jung, naiv in Horvartschen Metaphern ihr Verhalten: „Im Oktober werden es acht Monate, dass ich abgebaut worden bin … Die letzte Brosche ist versetzt... Aber ich habe den Kopf nicht hängen lassen.“ Elisabeth bleibt stets lebensbejahendes Wesen; die raue herzlose Gleichgültigkeit ihrer Umgebung nimmt sie nicht wahr. Ein Schupo (Merlin Sandmeyer), erster Vertreter der unsozialen Wirklichkeit, erscheint hinter ihr in verdrehter Motorik, riecht an ihren Körper als wäre sie ein fremdes Wesen: Verdrehtes, Unsoziales ist die Realität des Schupos. Elisabeth in ihrer Menschlichkeit wird in der Realität des Schupo zum „Unmensch“, zum Außenseiter.
Der expressionistische Regieansatz Michael Thalheimers macht Ödön von Horváths Postulat, „möglichst rücksichtslos gegen Dummheit und Lüge zu sein“, mit der ersten Szene sichtbar: Elisabeth, von Andrea Wenzl mit filigraner Dominanz vorgetragen, bleibt immer starke Frau, stets menschlich: "es kann doch auch weniger ungerecht zugehen".. Bis zu ihrem Tod ist sie stets Mensch, der „den Kopf nicht hängen läßt“ und ist damit doch allzeit Außenseiter. Denn die Gesellschaft, in ihren banalen, rohen Verformungen, ist die herrschende Realität, welche Elisabeth letztlich tötet. Ödön von Horváth, ist bei aller Schrägheit der Sprache in seinen Werken immer kritisch; nichts hält er von “Juxspiegelbilder, parodiert nicht“.
Die reale Gesellschaft, die Umwelt von Elisabeth, jede Person wird im Burgtheater in plakativer oft surrealer Optik überzeichnet: zunächst im Anatomischen Institut, wo Oberpräparator (Branko Samarovski), Präparator (Falk Rockstroh) und Vizepräparator (Marcus Kiepe) in blutverschmierten Fleischerschürzen grölend lachen, Tauben füttern oder sich in tiefstem Wienerisch anbrüllen: „Drinnen liegen die Finger und die Gurgeln nur so herum, daß es eine wahre Freud ist! Tuns die beiden Herzen und die halberte Milz gefälligst in die Schublad! Kreuzkruzifix, ist das aber eine Schlamperei!“. So plakatieren auch alle anderen Figuren ihre Gesellschaft, die Realität, das vermeintlich „Normale“: In detailreicher Optik und Sprache sind sie fühlbare Gegenspieler von Elisabeth: Irene Prantl (Christiane von Poelnitz), die bizarre Wäscheverkäuferin; der in Selbstmitleid vergehende Amtsgerichtsrat (Peter Mantic); Der Baron mit dem Trauerflor (Robert Reinagl); Eltz (Daniel Jesch), welcher Elisabeth eher nebenbei vergewaltigt.
Elisabeth stirbt, verhungert, von Menschen umgeben, inmitten der Gesellschaft; ihre letzten Worte: „aber ich lasse den Kopf nicht hängen“. Der Schupo wühlt eine Blume aus der Hosentasche und wirft sie beiläufig auf die Tote. Gefühlsloses, hohles Verhalten hatte sich zum letzten Mal gezeigt.
Die fünf Bilder des „Totentanzes“ werden ebenso plakativ wie Spannung aufbauend getrennt: in düsterer Beleuchtung marschiert in großer Zahl uniformiert und gleichförmig die Weltgemeinschaft über die Bühne, alles niederreißend, was sich in den Weg stellt; begleitet von der stampfenden Rockmusik Led Zeppelins, Deep Purple, Janis Joplins.
Das ergreifende Geschehen auf der Bühne weicht zum Ende großem Zuspruch: Regisseur Michael Thalheimer, Bühne Olaf Altmann, Kostüme Katrin Lea Tag wie die die Darsteller auf der Bühne werden gefeiert: Andrea Wenzl polarisierte, gestaltete Menschlichkeit in filigraner Feinheit, während Schupo, Präparator, Prantl und das Ensemble in schwarzer Parodie in brillanter Personenführung Ecken und Kanten der realen wie tumben Gesellschaft spiegeln.
Das Burgtheater besitzt mit dieser Inszenierung von Glaube Liebe Hoffnung eine zeitgemäße wie anspruchsvolle Produktion. 1.340 Besucher im ausverkauften Burgtheater zollten ausdauernd großen Beifall, der bei Andrea Wenzl als Elisabeth in Jubel überging.
Glaube Liebe Hoffnung von Ödön von Horváth am Burgtheater Wien; weitere Vorstellungen am 14.10.; 27.10.; 11.11.; 15.11. 25.11.; 30.11.2018; weitere Termine folgen
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