Kiel, Theater Kiel, Die Walküre - Richard Wagner, IOCO Kritik, 29.06.2018

Kiel, Theater Kiel, Die Walküre - Richard Wagner, IOCO Kritik, 29.06.2018
theater_kiel.jpg

Theater Kiel

Opernhaus Kiel / Blick über den Rathausplatz © VollwertBIT
Opernhaus Kiel / Blick über den Rathausplatz © VollwertBIT

DIE WALKÜRE  -  Richard Wagner

- Kein Germanenkult, kein Heroismus - Herrschaftsvilla, Gemälde, Videos -

Von Michael Stange

Macht, Zwang, Freiheit und Manipulation sind zentrale Elemente der Walküre und des gesamten Ring des Nibelungen. Diese Konstellation führt zwangsläufig zu Konflikten,  die in der Walküre in exzessiver Gewalt und im Tod münden.

Theater Kiel / Die Walküre © Olaf Struck
Theater Kiel / Die Walküre © Olaf Struck

Wagner erzählt daneben auch eindringliche und musikdramatisch packende Geschichte von Flucht, Liebe, Hoffnung, Schicksal und Abschied.

Ein Protagonist ist Wotan, der auf seinen außerehelichen Wanderungen das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde gezeugt hat. Beide wurden durch einen Überfall früh getrennt. Mit dieser Geschichte beginnt die Walküre und setzt den Göttermythos des Rheingolds in der realen Welt fort. Wotans Sohn Siegmund flieht vor Verfolgern in Hütte seines Feindes Hunding. Dort begegnet er seiner Zwillingsschwester Sieglinde mit der er in Liebe vereint in den Wald flieht. Das Schwert, das Siegmund vor der Flucht aus der Eiche in Hundings Hütte zieht, hat ihm Wotan dort als Sieg- und Zauberschwert hinterlassen, damit Siegmund den Fluch Alberichs bannt, ihm den Nibelungenring verschafft und dadurch Wotans Macht wieder festigt. Nicht bedacht hat Wotan, dass der inzestiöse Bund und die unehelichen Zeugung Siegmunds sowie seiner Halbschwester Brünnhilde gegen Moral und Gesellschaftskodex verstoßen. Daher zwingt seine Frau Fricka ihn, statt Siegmund den betrogenen und verlassenen Hunding von Brünnhilde schützen zu lassen, um nicht gegen Ehre und Gesellschaftskodex zu verstoßen. Obwohl Wotan diesen Befehl an seine Tochter weitergibt verweigert sie ihn und schützt Siegmund im Kampf. Als Wotan dies bemerkt, zerbricht er Siegmunds Schwert mit seinem Speer und tötet ihn und Hunding. Brünnhilde rettet Sieglinde. Dafür und für ihre Befehlsverweigerung Siegmund zu töten bestraft Wotan Brünnhilde mit einem Zauberschlaf auf dem Walkürenfelsen.

Nicht Germanenkult und Heroismus sondern die menschliche Tragödie stehen bei der musikalischen Umsetzung und Inszenierung in Kiel im Mittelpunkt. Regisseur und Intendant Daniel Karasek hat einen Ring geschmiedet, der den Besuchern nicht zwanghaft eine Version oder Deutung aufdrängt. Er erzählt die Geschichte so, dass sich Handlungsmomente und Zusammenhänge unmittelbar aus dem Bühnengeschehen ohne vertiefte Lektüre von Textbuch und Sekundärliteratur erschließen.

Hundings Hütte ist ein im Design des zwanzigsten Jahrhunderts eingerichtetes und holzvertäfeltes Rauchzimmer einer Herrschaftsvilla. Dies lässt ahnen, dass Hunding, der mit seiner Jagdsippe kurz nach Siegmunds Ankunft eintritt, nicht der Herr des Heims ist, sondern allenfalls Untermieter in dieser pompösen Behausung. Dass andere Kräfte am Werk sind belegt der Besuch einer Walküre, die auf der Suche nach gefallenen oder dem Tode geweihten Helden vorsorglich durch das Fenster späht. Im 2. Akt residiert Wotan in einem Designer-Badezimmer im gleichen Haus, durch den die Spitzen des Waldes zu sehen sind, dessen Baumstämme schon in Hundings Haus hereinschienen. Das Bad wird durch ein riesiges Gemälde Roy Lichtensteins dominiert. Die Skulptur Walhalls ist in einer kleinen Nische davon untergebracht. Es macht deutlich, dass die Macht Wotans und seiner Burg wesentlich weniger gilt, als durch Fricka verkörperte gesellschaftliche Werte und Regeln. Schon dieses Bühnenbild verkündet, dass die von Hunding zu Hilfe gerufene Fricka, Göttin der Ehe, Wotans Pläne durchkreuzt, indem sie klar macht, dass Siegmund kein freier Mensch, sondern eine Marionette Wotans und Hunding eine Marionette Frickas ist. Düster dann auch der Wald, in dem Siegmund und Hunding kämpfen und den Tod finden.

Theater Kiel / Die Walküre © Olaf Struck
Theater Kiel / Die Walküre © Olaf Struck

Musikalisch ist der Walkürenritt die stärkste Botschaft von Gewalt und Tod. Coppola untermalte in Apocalypse Now damit den Helikopterangriffen der US Marines auf den Vietcong. So wurde aus Wagners Walküre auch ein Kriegsfilm-Evergreen. Darauf wird auch in der Video-Instellation zu Beginn des 3 Akts Bezug genommen. Der Tod, den Wotan bei Wagner mit dem Speer bringt, ist bei Karasek industrialisiert.

Militärs töten heute mit Drohnen. Schlachthöfe können mechanisch tausende von Tieren am Tag hygienisch korrekt schlachten. Bei Karasek versammeln sich daher die Walküren nicht auf einem antiquierten Schlachtfeld oder einer Kaserne, sondern in einem Leichenschauhaus. Der industrielle Tod wird durch die Video Installation (Konrad Kästner) einer rauchenden Fabrik illustriert.

Behutsam, plastisch und bildschön erläutert Karasek viele wesentliche Aspekte der Walküre. Er bebildert einleuchtend musikalisch und textlich wichtige Passagen und lädt dadurch Zuschauerinnen und Zuschauer behutsam und unaufdringlich zur Reise durch Wagners Götter- und Menschenwelt ein. Dies lässt viel Raum zum Nachdenken über im Werk verborgenen philosophischen Abgründe und Verstrickungen.

Dem folgt das Kieler Orchester mit einer kammermusikalischen Deutung. Generalmusikdirektor Georg Fritzsch. Weniger Sturm und Gewitter als lyrische Weben ist sein Anliegen. Der 1 Akt ist kammermusikalisch durchleuchtet und mit lyrischer Poesie durchleuchtet. Wagners orchestrale Wucht wird dort und in den folgenden Akten stark zurückgenommen.

Theater Kiel / Die Walküre © Olaf Struck
Theater Kiel / Die Walküre © Olaf Struck

Auch bei den Gesangssolisten hat Intendant Karasek ein ausgezeichnetes Händchen. Ensemblemitglied Agnieszka Hauzer macht als Sieglinde einen überragenden Eindruck. Stimmlich und darstellerisch ist sie überragend und besticht durch die Lyrik und die dramatische Wucht ihres Gesangs. Insbesondere im 1. Und 3. Akt gelingen ihr dank Ihrer fundierten Gesangstechnik und ihrer Bühnenpräsenz ungemein berührende intensive Momente. Thomas Hall ist ein Wotan mit belcantesker Stimmführung in allen Registern. Sein Gesang und seine dramatische Interpretation sind ein Höhepunkt der Aufführung. Sein Wotan erinnert an berühmte Rollenvorgänger wie James Morris. Einspringer Magnuss Vigilius präsentierte einen lyrischen Siegmund mit baritonaler Tiefe, glänzender Höhe und metallischen Wälserufen. Kirsi Tiihonen gab eine dramatische Brünnhilde. Thorsten Grümbel überzeugte als bedrohlicher Hunding und Anja Jung als auftrumpfende Fricka.

Theater Kiel / Die Walküre © Olaf Struck
Theater Kiel / Die Walküre © Olaf Struck

Der Ring wird der OperKiel auch 2019 erhalten bleiben. Wegen des ästhetisch malerischen Gesamteindrucks der Bühnenbilder, der klugen Personenführung und der festspielreifen musikalischen Qualität wird er sicher auch in den kommenden Jahren ein Publikumsmagnet für im Norden ansässige Wagnerfreunde sein.

---| IOCO Kritik Theater Kiel |---