Münster, Theater Münster, Der Kaufmann von Venedig - Willian Shakespeare, IOCO Kritik, 09.12.2017

Münster, Theater Münster, Der Kaufmann von Venedig - Willian Shakespeare, IOCO Kritik, 09.12.2017
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Theater Münster

Theater Münster © Rüdiger Wölk
Theater Münster © Rüdiger Wölk

Der Kaufmann von Venedig - Ein Heiden-Spaß

Moralinsaure Polit-Bonbons in knallbunter Komödien-Verpackung

Von Hanns Butterhof

„Ihr seid alle Verbrecher!“, schallt es von der Bühne des Großen Hauses Münster ins Publikum, und „Unmenschen!“. Stefan Otteni hat William Shakespeares Schauspiel Der Kaufmann von Venedig mit dessen Text  „Die Fremden“ angereichert und provokant ins Heute versetzt. Das reichlich moralinsauer mit aktuellen politischen Problemen aufgepeppte Stück mit Publikumsbeschimpfung ist hinreißendes Theater.

Theater Münster / Der Kaufmann von Venedig - hier: Der Richter rettet den Kaufmann, vlnr Sandra Bezler, Carola von Seckendorff, Christian Bo Salle, Christoph Rinke © Oliver Berg
Theater Münster / Der Kaufmann von Venedig - hier: Der Richter rettet den Kaufmann, vlnr Sandra Bezler, Carola von Seckendorff, Christian Bo Salle, Christoph Rinke © Oliver Berg

Peter Scior hat dazu eine große flache Schüssel auf die Bühne gesetzt, in der sich die gerade nicht beschäftigten Schauspieler als vergnügungssüchtiges junges Volk herumfläzen und amüsiert zuschauen, was so passiert.

Da bürgt der Venezianische Kaufmann Antonio, ein ekelhaft chauvinistischer Melancholiker (Christian Bo Salle), für die Schulden, die er für seinen Freund Bassanio (der wunderbar extemporierende, für den erkrankten Bálint Tóth eingesprungene Maximilian Scheidt) aufgenommen hat. Das Geld leiht ihm der Jude Shylock (Christoph Rinke), ein kühler Geschäftsmann im dunklen Zweireiher (Kostüme: Sonja Albartus), dem Antonio in vielen Formen seine Verachtung gezeigt hat. Shylock findet für seine Rache eine krasse Form: im Fall, dass die Schuld nicht pünktlich getilgt wird, will er ein Pfund Fleisch aus dem Körper Antonios schneiden. Der Fall tritt ein.

Derweil wirbt Bassanio erfolgreich um die superreiche Portia (Sandra Bezler). Wer sie heiraten will, muss vorher eine Probe bestehen. Drei Kandidaten scheitern, bevor Bassanio Erfolg hat: der Prinz von Hannover (Ilja Harjes), eine menschenfeindliche Karikatur, von den Zuschauern auf der Bühne und im Saal hässlich verlacht, dann ein stürmischer Prinz aus Kasachstan (Garry Fischmann) mit Pelzmütze und nackter Brust und schließlich der Prinz von Marokko (Zainab Alsawah).

Als Alsawah, eine in Damaskus geborene Schauspielerin, ihren Text ausufernd weitgehend auf Arabisch spricht, ertönt aus dem Zuschauersaal erst einzeln, dann vermehrt die aggressive Forderung „Sprich deutsch!“. Erregung, Unruhe und weitere Zurufe im Saal, denen Alsawah mit Shylocks Text die Forderung nach gleichem Recht aufgrund gleichen Menschseins entgegenschleudert und dem Publikum vorwirft, dessen Aggressionen zielten auf sie als Muslima. Das ist etwas ungenau, aber der geglückte Inszenierungscoup macht einen Heidenspaß.

Theater Münster / Der Kaufmann von Venedig_ hier: Große Ähnlichkeit - Der christliche Kaufmann und der jüdische Geldverleiher, vl Christian Bo Salle, Christoph Rinke © Oliver Berg
Theater Münster / Der Kaufmann von Venedig - hier: Große Ähnlichkeit - Der christliche Kaufmann und der jüdische Geldverleiher, vl Christian Bo Salle, Christoph Rinke © Oliver Berg

So wickelt Otteni leicht moralinsauer noch weitere aktuelle Themen in die Komödienverpackung, bis Shylock schon das Messer ansetzt. Da wird der Jude noch einmal richtig aufs Kreuz gelegt, begleitet von den feixenden jungen Leuten, die ihren gruseligen Spaß auf Kosten des Heiden haben.

Sie haben nichts aus den humanistischen Anmutungen des immer wieder eingeflochtenen Shakespeare-Textes „Die Fremden“ gelernt. Ebenso wenig hätte das beschimpfte Publikum diese nicht erspielten Belehrungen nötig gehabt. Mit ihnen hat Otteni es sich zu leicht gemacht und offene Türen eingerannt, aber einen fesselnden Theaterabend mit jeder Menge Diskussionsstoff geschaffen.

Nach drei Stunden anhaltende Ovationen für ein ausgesprochen spielfreudiges Ensemble, besonders für Maximilian Scheidt.

Der Kaufmann von Venedig am Theater Münster: Die nächsten Termine: 13.12.; 14. 12.; 30.12.2017 jeweils 19.30 Uhr

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