Hamburg, Staatsoper Hamburg, Parsifal von Richard Wagner, IOCO Kritik, 26.09.2017

Hamburg, Staatsoper Hamburg, Parsifal von Richard Wagner, IOCO Kritik, 26.09.2017
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Staatsoper Hamburg

Hamburgische Staatsoper © Kurt Michael Westermann
Hamburgische Staatsoper © Kurt Michael Westermann

Parsifal von Richard Wagner

  Die Geschichte des "Reinen Toren" in der komplexen Bildersprache  des Achim Freyer

Von Patrik Klein

Richard Wagner in Bayreuth © IOCO
Richard Wagner in Bayreuth © IOCO

Zur Saisoneröffnung 2017/18 bringt die Hamburgische Staatsoper medienwirksam mit "Liveübertragung" für alle am Jungfernstieg Richard Wagners Spätwerk Parsifal heraus. Nach zahlreichen Aufführungen wird die viel beachtete Inszenierung des US- amerikanischen Starregisseurs Robert Wilson von 1991 abgelöst durch eine bilderreiche und symbolträchtige Produktion von einem der bekanntesten deutschen Künstler der Nachkriegszeit.

Achim Freyer, der gebürtige Berliner Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner sowie Maler war Meisterschüler von Bertolt Brecht. Der heute 83jährige Künstler ebnete in den 1980er Jahren dem amerikanischen Komponisten Philip Glass den Weg mit den Opern Satyagraha, Echnaton und Einstein on the Beach, die in Stuttgart zur Uraufführung kamen. Die Gandhi-Oper Satyagraha wurde auch von den Wuppertaler Bühnen übernommen und beeindruckte damals viele, meist junge Besucher mit ihrem ganz besonderen und extrem aufwändigen künstlerischen Stil. An der Hamburgischen Staatsoper brachte er 1982 seine erste Version der Zauberflöte und 1997 die viel beachtete Oper von Helmut Lachenmann Das Mädchen mit den Schwefelhölzern zur Aufführung. Am vergangenen Wochenende nun Richard Wagners Spät- und "pseudo-religiöses" Werk Parsifal.

Nach Wagners Willen sollte sein letztes Werk eigentlich nur noch im Festspielhaus in Bayreuth zur Aufführung gelangen. Bereits nach wenigen Jahren wurde diese Verfügung jedoch gebrochen. Parsifal nimmt nicht als Opern- oder Musikdrama, sondern als "Bühnenweihfestspiel" eine außergewöhnliche Stellung ein. Im Parsifal werden alle Elemente seines die Opernwelt revolutionierenden Komponierens noch einmal zusammengetragen. Mystische, literaturhistorische und philosophische Aspekte verweisen in Parsifal rückblickend auf etliche Figuren seiner früheren Opern.

 Hamburgische Staatsoper / Parsifal_ Parsifal - Andreas Schager, Kundry - Claudia Mahnke © Hans Jörg Michel
Hamburgische Staatsoper / Parsifal - Parsifal Andreas Schager, Kundry Claudia Mahnke © Hans Jörg Michel

In dieser Gemengelage schreitet nun zur Spielzeiteröffnung 2017/18 an der Hamburgischen Staatsoper Regisseur Achim Freyer mit seinem Team aus zahlreichen Bühnen-, Video- und Kostümmitarbeitern im Auftrag vom Intendant George Delnon und unter dem Dirigat von Kent Nagano in Wagners vieldeutiges Werk ein. Freyer betrachtet das Werk Parsifal nicht als Weihfestspiel, sondern als ein großes, facettenreiches Gesamtkunstwerk.

Freyers zentrales Ausstattungselement ist eine riesige, die ganze Bühne ausfüllende Spirale, die mit Spiegeln am Boden und an der Decke das Universum der Handlung vorgibt. Die Spirale kann als Synonym für eine militante Welt betrachtet werden, in der sich alles weiterentwickelt, aber auch immer wieder an die gleichen Stellen stößt. Raum und Zeit wirken hierin als Erfindung unserer Gesellschaft, die von Liebe, Aggression und Machtausübung dominiert wird. Alle sind an der Spirale beteiligt mit ihren Werkzeugen. Kundry, die rastlose Verführerin, kommt nicht klar in dieser Gesellschaft und steht zwischen allen. Die Blumenmädchen fungieren als Symbol für Verführung und Sehnsüchte. Der "Reine Tor" Parsifal tritt in diese Welt und lernt, nicht zu töten, den sexuellen Umgang mit den Blumenmädchen, seine Vergangenheit mit Leid und Sehnsucht und im reifen Alter wie die Gesellschaft besser funktionieren kann. Schließlich kommen Parsifal und Kundry liebend zusammen, um eine neue, erlöste Welt zu begründen.

Hamburg Staatsoper / Parsifal - Blumenmädchen und Parsifal Andreas Schager © Hans Jörg Michel
Hamburg Staatsoper / Parsifal - Blumenmädchen und Parsifal Andreas Schager © Hans Jörg Michel

Diese Konzeption ist nun nicht unbedingt besonders aufregend oder neu, sie konzentriert sich stattdessen auf das Erzählen der Geschichte Parsifals mit den bekannten und oft benutzten stilistischen Mitteln des Regisseurs.

Die meist in schwarz gehaltene Bühne wird aufwändig mit Videotechnik bebildert, die dem Zuschauer durch Einblendung von Stichworten wie Anfang, Nacht, Quell, Mitleid, Schrei, Traum, Schmerz, Schlaf u.v.m. die Vielfalt der menschlichen Existenz vor Augen führen soll. Die handelnden Figuren und etliche Ausstattungselemente hingegen kommen in kräftigen, pastellfarbenen Tönen daher.  Gurnemanz in schwarz mit riesiger Spirale und doppeltem Kopf weist den schwantötenden Parsifal mit sparsamen Gesten zurecht (großartig, textverständlich und mit äußerster Sicherheit wohlklingend dargestellt durch den südkoreanischen, bayreutherfahrenen Bass Kwangchul Yuon). Amfortas gleicht Christus und wird von zwei Gralshütern am Kreuz getragen und gestützt. Der verwundete König wirkt willenlos, ist den "höheren" Mächten ausgeliefert (hervorragend gesungen von einem der wichtigsten Bass Baritone unserer Zeit Wolfgang Koch, der hier in Hamburg schon häufig u.a. als Kurwenal und Don Giovanni zu erleben war). Kundry rollt wie ein Wollknäuel mit körperlangen Zöpfen in die Szenen (Claudia Mahnke gestaltet die Rolle meisterhaft mit ihrem wunderschön timbrierten Mezzo, glasklaren Höhen und feinster Stimmführung. Bereits in der letzten Saison wusste sie als Judith in Herzog Blaubarts Burg das Hamburger Publikum zu begeistern).

Hamburg Staatsoper / Parsifal - Andreas Schager ist Parsifal © Hans Jörg Michel
Hamburg Staatsoper / Parsifal - Andreas Schager ist Parsifal © Hans Jörg Michel

Titurel kurvt  in einem Rollstuhl mit bekrontem Haupt auf den oberen Ebenen der Spirale (etwas unsicher gesungen von Tigran Martirossian). Klingsor macht auf Ba(d)tman mit knallbunter meterlangen Krawatte sein Gemächt verhüllend, heraushängender blutroten Zunge, schrillem Aussehen und Habitus (Ensemblemitglied der Hamburgischen Staatsoper Vladimir Baykov gibt den überdrehten, vor Gier wilden Klingsor mit großem Engament solide, mit etwas wenig Legato behaftet und wacklig in der Höhe). Parsifal in weiß wie ein Harlekin gekleidet mit den dynamischsten Bewegungen der Protagonisten. Von sparsamer, Robert Wilson-ähnlicher Gestik bis zu akrobatischen Läufen besonders in den Szenen mit Kundry (atemberaubend gesungen von mittlerweile "dem" Parsifal unserer Zeit Andreas Schager(l). Der Österreicher trumpft auf mit lupenreinem, absolut sicherem Tenor.  Er gestaltet die Partie kraftvoll mit feinster Stimmführung und hoher Textverständlichkeit). Die sehr gut intonierenden Blumenmädchen agieren  halbnackt, mit übergroßen Brüsten und wenig erotischem Erscheinungsbild (alle Darstellerinnen sind aus dem Ensemble oder Opernstudio). Die Gralsgesellschaft  wird in meist dunklen Kostümen mit hellen Masken und verzerrten Gesichtern gezeigt (der Chor der Hamburgischen Staatsoper unter dem Dirigat von Eberhard Friedrich, der gerade frisch wieder von Bayreuth zurück an der Elbe ist, hat die Routine und Klasse aus dem Frankenland mit an die Elbe gebracht: präzise und wunderbar geführt kommen die Damen und Herren wieder an ihre Bestleistungen vergangener Tage heran). Klingsors Speer befindet sich in einem vom Schnürboden herabfahrbaren Gestell, das an eine unsymmetrische Geometrie aus der Schulzeit erinnert. Etliche Symbole, wie beispielsweise der getötete Schwan (hier ein riesiger blutroter Lappen) sind in knallbunte Farben getaucht. In dieses rote Tuch wickelt sich Parsifal bei der Gralsenthüllung am Ende des ersten Aktes ein. In der Verwandlungsmusik, in der die Zeit zum Raum wird, erscheinen alle aus der Gesellschaft auf den Ebenen der Spirale, die sich mit Videotechnik untermalt in sich dreht. Zum Ende des ersten Aktes werden viele Lampen im Hintergrund der Bühne erleuchtet, über die ein (wohl den Gral darstellender) kleiner Junge mit überdimensionalem Kopf in Lampenoutfit mit einem Hasen im Arm schreitet (vielleicht ein Symbol für Ostern und die Fruchtbarkeit?). Die Lampen füllen sich mit Blut und leiten das Ritual ein. Mit dieser Bildersprache und Einheitsbühnenbild geht es auch in den folgenden Akten weiter bis am Schluss die Spiegel unter dem Schnürboden völlig kippen und nur noch Kundry mit Parsifal in Erlösung darstellender Pose verbleiben.

Hamburg Staatsoper / Parsifal - Andreas Schager ist Parsifal © Hans Jörg Michel
Hamburg Staatsoper / Parsifal - Andreas Schager ist Parsifal © Hans Jörg Michel

Die vielen zum Teil kafkaesk anmutenden Bilder, die der Zuschauer sehen konnte, bestechen durch Farbenvielfalt, aufregende Kostüme, mannigfaltige Videoeinspielungen und ungewöhnlichste Gesten, die dem Betrachter Abwechslung präsentieren, ihn in die Bilderwelt des Achim Freyer hinein tauchen und quasi zu einem Teil des Gemäldes machen. Dennoch stellt man sich viele Verständnisfragen.

Kent Nagano dirigiert das Philharmonische Staatsorchester Hamburg in 3 Stunden und 50 Minuten im ersten Akt zunächst recht getragen, im Folgenden dann ziemlich flott durch die Partie. Alles klingt auf hohem musikalischen Niveau, allerdings mit kaum spannenden, gewagten oder dynamischen Einfällen.

Das Publikum reagierte sehr unterschiedlich auf die Inszenierung. Während mancher Besucher die Vorstellung vorzeitig verließ feierte das verbliebene Publikum Ensemble, Dirigent und Chor mit lauten Bravos und großem Applaus.

Parsifal an der Staatsoper Hamburg: Weitere Aufführungen 27.9., 30.9., 3.10 2017

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