Hagen, Theater Hagen, Der fliegende Holländer - Spannendes Psychodrama, IOCO Kritik, 09.05.2017
Der fliegende Holländer von Richard Wagner
Psychodrama auf weiter Wasserlandschaft
Von Viktor Jarosch
Die Memoiren des Herren von Schnabelewopski, in denen Heinrich Heine 1831 schreibt „Die Fabel von dem Fliegenden Holländer ist euch gewiss bekannt. Es ist die Geschichte von dem verwünschten Schiffe, das nie in den Hafen gelangen kann", begegneten Richard Wagner früh. Er rühmte "die von Heine erfundene Behandlung der Erlösung.....die ihm alles in die Hand gab, die Sage zu einem Opernsujet zu benützen." Doch zu seiner Oper inspirierte Wagner wohl erst seine traumatische Flucht vor Gläubigern von Riga nach London, 1839, vier Wochen auf einem kleinen Segelschiff, mehrfach von lebensbedrohenden Stürmen bedroht. Im Januar 1843 in Dresden mit mäßigem Erfolg uraufgeführt, überarbeitete Wagner das Werk mehrfach. Es wurde zum bleibenden Welterfolg. Mystische Erzählungen, Sagen reizten Wagner fortan sein ganzes Leben. 1850 schrieb er: "Das Unvergleichliche des Mythos ist, dass er...für alle Zeiten unerschöpflich ist". So begann mit dem Holländer auch Wagners dichterische Laufbahn., "ich fürchtete entdecken zu müssen, daß ich gar nicht mehr Musiker sei."
Der Fliegende Holländer, eine der meistgespielten Opern der Welt, wird im Theater Hagen ungewöhnlich inszeniert. Die Schwestern Beverly und Rebecca Blankenship kupfern als Regie-Duo in Hagen nicht die alte Sage ab; sie nehmen die Zwänge menschlicher Gemeinschaften, den Mythos von ewiger Liebe, der Forderung nach ewiger Treue unter die Lupe. Als Einakter, ohne Pause, in archaischen Bildern erzählen Beverly und Rebecca Blankenship in ihrem Holländer eine Geschichte von den Schattenseiten der Gesellschaft, in der Angst vor Fremdem und der eigenen dunklen Seite wie ein Gespenst umgeht. Der Holländer wird im Theater Hagen zum Ausdruck des Unterbewussten. Das Verruchte, der Hass, das Vorurteil einer Dorfgemeinschaft soll durch seine Person verkörpert werden. Ein ungewöhnlicher Regieansatz, stellt er doch besondere Anforderungen nicht nur an das Ensemble auf der Bühne sondern auch an die Besucher in den Rängen. Doch es lohnt sich, ihm zu folgen.
In seiner Ouvertüre läßt Richard Wagner in musikalischem Sinnbild die Handlung vorüber ziehen. In Hagen ziehen zur düsteren Chromatik der Ouvertüre massiv drohende Gewitterwolken über den Bühnenvorhang. Doch dann, eine atemberaubende Überraschung: Geöffnet zeigt sich im Halbdunkel auf der Bühne eine unendliche Wasserlandschaft, das Meer (Bühne Peer Palmowski). Hintergrund und Seiten der Bühne sind abgedunkelt, nicht einsichtig. 24.000 Liter beständig reflektierendes Wasser auf dem Bühnenboden erzeugen eine somnambul dramatische Grundstimmung, durch wechselnde Lichteffekte gesteigert. Ein einzigartiger Regieeinfall in der Theaterwelt: Meer, Sturm und Unterbewusstes sind die durchgängigen Paradigmen dieser Inszenierung. Kinder spielen zur Ouvertüre im Wasser, finden eine Frauenleiche. Menschen aus dem Dorf zerren die Kinder von ihrem Fund weg. Die Frauenleiche im Wasser: Eines der Opfer des Holländers? Ein Opfer des vom Holländer wie vielen Männern gepriesenen Mythos um ewige Frauentreue; welcher doch, so Holländer selbst, "zahllose - weibliche - Opfer" ins Verderben führte. In Hagen ist die Frauenleiche auch Pschychogramm einer Lebensgemeinschaft, welche durch Verhaltenszwänge Individuen in ihrer Mitte bedrängt und auch vernichtet.
Die Bühne wird in Hagen zu einem symbolischen Ort, einem psychologischen Raum der Dorfgemeinschaft, welcher die Grenzen zwischen Realität, Traum und Wunsch verwischt. Der fliegende Holländer in Hagen: Ein Psychodrama. So beherrschen mit dem ersten Aufzug farbig blitzende Wasserwogen das Bühnenbild. Segeltaue fallen von Bühnenhimmel. Die Dorfgemeinschaft, die Matrosen, alle auf der Bühne in Gummistiefeln, ergreifen die Taue, arbeiten geräuschvoll ("Hohoje!..") fallen in tiefen Schlaf. Der Holländer taucht in schwarzen Mantel eher unauffällig unter den schlafenden Gemeinschaft auf. "Die Frist ist um, und abermals verstrichen sind sieben Jahr", werden in Hagen zu einem eher unbewußten Ausdruck von Ängsten und Freuden. Der Holländer ist ihr sichtbar gewordenes Unterbewusstsein, des Hasses auf Daland, ist dunkle Seite der Psyche der Dorfgemeinschaft. Zwangsläufig zeigt die Regie auch kein Schiff des Holländers "mit blutroten Segeln" auf der Bühne. Stattdessen zerrt der Holländer später eine tote Frau an ihren Haaren durch Wasser: Eine von der Dorfgemeinschaft Verteufelte. Unendliche Wasserwelten, Nebelschwaden im Bühnenhimmel wie auf dem Wasser, drohend changierende, rote, schwarze wie blaue Lichtfetzen (Licht Hans-Joachim Köster) verwandeln in Hagen die Bühnenhandlung nicht zur Wiedergabe einer alten Sage sondern zum Ausdruck, Symbol unterbewusster emontionaler Zwänge und Verwerfungen in menschlichen Gemeinschaften.
Im zweiten Aufzug dominiert in der Wasserwelt ein übergroßer Seetauknoten; kein Kamin, keine Spinnstube. Die Spinnerinnen werden zur Dorfgemeinschaft "Summ und brumm, du gutes Rädchen, munter, munter dreh dich um", ziehen diese den Knoten im Kreis. Senta hält ein Buch mit dem Bild des Holländer, sinniert, den verwunschenen Mann zu erlösen. Erik allein offfenbart reales Leben, in sinnlicher Zärtlichkeit wie durch seine Eifersucht. Senta, gefangen in Träumen den Holländer zu erlösen und dadurch das Verruchte der Dorfgemeinschaft zu verlassen, erwidert Erik nur schematisch, fast widerwillig. Die Hagener Inszenierung endet, indem der Holländer, das Unterbewußtsein, sich wieder in der Dorfgemeinschaft zurück zieht, darin aufgeht. Senta, dagegen, als Regelbrecherin, muss sterben, wird ausgestoßen.
Das Philharmonische Orchester Hagen unter Mihhail Gerts fand seinen Weg in die komplexe Wagner-Komposition zur Ouvertüre noch etwas verhalten, nüchtern wenn auch kräftig. Doch die Klang-Balance reussierte: Zunehmende Dramatik, starke Einzelleistungen ließen die Komposition Richard Wagners strahlen. Kernig kräftig sangen die großen Chöre, (Wolfgang Müller-Salow). Mirko Roschkowski beherrschte seine anspruchsvolle Tenorpartie als Erik mit stets frischem lyrischem Belcanto, gab dieser Premiere stimmliche Dominanz. Joachim Goltz zeigte als Holländer darstellerisch und stimmlich große Präsenz. Auch die Solisten des Theater Hagen, Rena Kleifeld als Mary, Rainer Zaun als Daland und Veronika Haller als Senta füllten ihre Partien darstellerisch wie stimmlich zumeist gut aus. Eine ungewöhnliche Inszenierung im Theater Hagen: Die Sage um den fliegenden Holländer wird in Hagen inmitten einer einmaligen Wasserlandschaft zum Psychogramm einer Dorfgemeinschaft, in welcher Verruchtes, Hass und Vorurteile stets präsent sind. Der Regieansatz; für Besucher wie Ensemble anspruchsvoll wie optisch ungewöhnlich reizvoll. Das Premierenpublikum dankte mit großem Beifall.
Der fliegende Holländer im Theater Hagen: Weitere Vorstellungen: 19.5., 24.5., 31.5.; 9.6., 17.6.; 2.7. (18.00 Uhr), 13.7.2017 – jeweils 19.30 Uhr
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