Osnabrück, Theater am Domhof, Oper Das Lied der Nacht - Hans Gál, IOCO Kritik, 03.05.2017
Falsche Zeit für das richtige Leben
Hans Gáls vergessene Oper „Das Lied der Nacht“ begeistert
Von Hanns Butterhof
Seit 1933 hat niemand mehr diese Oper gehört. Jetzt hat das Musiktheater Osnabrück Hans Gáls 1926 uraufgeführte, dann wegen der jüdischen Herkunft des Komponisten mit Aufführungsverbot belegte spätromantische Oper Das Lied der Nacht mit dem Text Karl Michael von Levetzows wiederentdeckt und im Theater am Domhof begeisternd aufgeführt.
Mascha Pörzgen inszeniert „Das Lied der Nacht“ märchenhaft schwebend zwischen Wirklichkeit und innerem Erlebnis. In dem Raum mit übergroßen Türen und riesigem Himmelbett wirken die Menschen in ihren Phantasie-Kostümen klein (Bühne und Kostüme: Frank Fellmann). Sie müssen wohl wachsen, wenn sie vollsinnige Erwachsene werden wollen.
Das ist die Aufgabe der sizilianischen Märchen-Prinzessin Lianora, für die Lina Liu mit ihrem makellos reinen Sopran eine ideale Besetzung ist. Trotzig weigert sie sich nach dem Tod ihres Vaters, die Regentschaft zu übernehmen und sich einen Mann als künftigen König zu wählen. Statt sich die Finger mit Politik zu beschmutzen oder sich der Herrschaft eines Mannes zu unterwerfen, will sie lieber ins Kloster gehen.
Doch in einer der eindringlichsten Szenen der Oper lehnt die tief wissende Äbtissin (Gritt Gnauck) ab, sie als Novizin aufzunehmen. Sie beschwört Lionora, ohne Angst auf ihre unterbewussten weiblichen Triebe, auf das Lied ihrer inneren Nacht zu hören. Ihm müsse sie furchtlos folgen, wenn sie im Vollsinn leben wolle. Mit strahlendem Jubel öffnet sich die Prinzessin daraufhin der Liebe, lässt sie aber am Ende aus Standesdünkel nicht zu und entsagt im Kloster dem Leben.
Es sind die Frauen, die die Opernhandlung tragen. Neben Lina Liu überzeugt Susann Vent-Wunderlich mit wandelbarem, lebensvollem Sopran als wohlwollend kupplerische Hofdame Hämone, und der Damenchor ist szenisch wie gesanglich hinreißend (Einstudierung: Markus Lafleur).
Die Männer spielen entsprechend eine geringere Rolle. José Gallisa ist mit abgründigem Bass ein politikverdrossener Kanzler, Rhys Jenkins mit raumfüllendem Bariton als Tancred der zwielichtige Bewerber um Prinzessin und Thron. Ferdinand von Bothmer, der als namenloser Sänger des nächtlichen Liedes mit weichem Tenor die Liebe der Prinzessin erweckt, aber ihr dann als einfacher Bootsmann nicht standesgemäß erscheint, ist wesentlich nur als Stimme präsent. Wenn am Ende der Chor der Politiker auftritt, wird es laut, wird etwas von der Angst der Prinzessin vor männlicher Gewalt nachvollziehbar und deutlich, dass die Prinzessin nicht nur persönlich versagt, sondern dass es in Wirklichkeit noch die falsche Zeit für das richtige Leben ist.
Das Osnabrücker Symphonieorchester unter Andreas Hotz fesselt mit der wellenartig rauschenden, ausdrucksstark drängenden Musik Hans Gáls. Sie lotet spätromantisch im Rahmen der Tonalität immer auch chromatisch deren Grenzen aus und trifft den richtigen Ton für das vielschichtige, tief in der Gefühlswelt spielende Geschehen. „Das Lied der Nacht“ in Osnabrück ist ein beglückendes Opernerlebnis, dem nach fast drei ansprechenden Stunden das Premierenpublikum im Stehen begeistert Beifall spendet.
Das Lied der Nacht: Die nächsten Termine: 5.5., 10.5., 12.5., 23.5. und 25.5. um 19.30 Uhr, am 14.5. um 15.00 Uhr.
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