Wien, Wiener Musikverein, Orchestergesetz: Hohe Einkommen - Wenige Frauen, IOCO Aktuell, 10.08.2012
Aktuell
Ungeschriebenes Philharmoniker-Gesetz: Hohes Einkommen - Wenig Frauen
Der Klangkörper der Wiener Philharmoniker sucht seinesgleichen auf der Welt. Kaum ein Kritiker, der die Wiener Philharmoniker nicht in farbigsten Superlativen preist: "Das Philharmoniker Klangniveau gleichbleibend phänomenal, deren Präzision extraterrestrisch, die grundierenden Streicher schüren mit homogenen Strichen die Glut gespielter Kompositionen. Dazu faszinieren Holzbläser und Hörner pausenlos mit geschmeidigem Legato". Das Orchester genießt höchstes Ansehen in Wien wie der Welt. Hohe Auszeichnungen begleiten seit Jahrzehnten seinen Weg. 2005 wurden die Wiener Philharmoniker zu Goodwill Ambassadors der Weltgesundheits-Organisation (WHO).
Ein Blick hinter die Kulissen dieses berühmten Klangkörpers löst dagegen wenig Charme aus. 1842 von Otto Nicolai gegründet, rekrutierten sich die etwa 140 Mitglieder der Wiener Philharmoniker bis 1997 ausschließlich aus der Männerwelt. Frauenquote bis 1997:
Null !Erst 1997 begannen die männlichen Wiener Philharmoniker die Existenz musizierender Frauen zu realisieren und einige wenige Frauen aufzunehmen. Laut eigener Satzung der Demokratie verschrieben, ist Gleichberechtigung von Mann und Frau noch in 2012 hohles Lippenbekenntnis: 9 Frauen (7%) unter 140 Wiener Philharmonikern degradieren sie zu einer Randerscheinung. Archaische Wertvorstellungen des bestens verdienenden Wiener Männerbundes, "Frauen sind für großartige Musik weniger geeignet", klingen in den Tönen der Wiener Philharmoniker immer noch mit. Die Wiener Frauenquote ist auch im internationalen Vergleich sehr niedrig. Doch ist der Anteil von Frauen in den meisten deutsch- österreichisch Kulturorchestern auffällig niedrig. Die Berliner Philharmoniker schaffen 2012 nur eine Mini-Frauenquote von etwas mehr als 10%. Doch es gibt ermutigende Ausnahmen: Über 35% der Mitglieder des führenden Orchester Norddeutschlands, den Philharmonikern Hamburg, Generalmusikdirektorin Simone Young, sind Frauen. Wenn auch langsam, der Frauenanteil in großen Orchestern steigt seit Jahren stetig.
Schrägstes Vorurteil: "Frauen können die Geige nicht so lang halten wie Männer".
"Schuld" an steigenden Frauenquoten, wie am Beispiel der Wiener Philharmoniker, sind nicht höhere Einsichten. Illustre Auslandsreisen in die USA und öffentlicher Druck schaffen Veränderung.
Denn der Wiener Philharmonische Mann reist sehr gern. Er gibt liebend gern Gastkonzerte im Ausland, er konzertiert gern in New York, San Franzisko oder Boston, und verdient dabei viel Geld. Doch gerade dort, in den USA, baut sich Unheil für die Männerwelt auf: Amerikanische Frauenrechtsverbände, notorische Spielverderber, sehen seit vielen Jahren hinter dem Frauen-Mangel des Wiener Philharmoniker Orchesters platte, profane Diskriminierung, sexistische Klüngelei. Sie glauben nicht an verstohlen vorgetragene genetische Beschränkungen musizierender Frauen. Und diese Frauenrechtsverbände protestierten in der Vergangenheit heftig sobald die graue Wiener Männerriege Reisen in die USA plante; drohte sogar mit Diskriminierungsklagen. Von amerikanischen Frauen zur Erkenntnis geleitet, entdeckte der Wiener Philharmoniker zu seiner Überraschung, Frauen können Musikinstrumente nicht nur tragen sondern auch spielen! So ist es den amerikanischen Frauen ist zu danken, daß seit 1997 einige wenige Frauen die Wiener Musikerriege von etwa 130 Männern musikalisch wie optisch aufhellen. Ob der Klangkörper seither gelitten hat wurde von musizierenden Männern noch nicht eingehend untersucht.
Die Wiener Philharmonische Frau trägt Hose: RÖCKE VERBOTEN
Kaum der Diskriminierungsklage ledig entdeckte der Wiener Philharmonische Mann, daß Röcke musizierender Frauen das Klangbild erheblich stören. Und schnell wie selten beschlossen diese Männer in großer Eile, den unerträglichen Mißstand zu beseitigen. Die Reihen der Wiener Philharmoniker haben männlich zu wirken. Sollten etwa Röcke inmitten des Philharmonischen Klangkörpers, vielleicht sogar gemusterte Strumpfhosen oder hohe Hacken auf Wiener Philharmonischen Bühnen zugelassen sein? Der nagende männliche Albtraum: Sollte die Bluse der Geigerin (Pfui!) für den männlichen Besucher am Ende glutvoller sein als "edle Intonation" am Instrument? Die Gewissensnot der aufrechten Wiener Herrenriege, sie war mit den Händen zu greifen.
Und so schufen denn viele männliche Musiker eine Kleiderordnung für die wenigen Wiener Philharmonische Frauen. Das Resultat so spießbürgerlich wie die männliche Optik: RÖCKE Verboten! heißt die neue Wiener Philharmonische Kleiderordnung. Statt Röcken: Schwarz-grau gestreifte Nadelstreifenhose, dazu weiße Hemden, graue Gilets, schwarzes Sakko. Ab dem steifen, von Franz Welser-Möst dirigierten Neujahrskonzert 2011, (NB: Es passte sich der neuen Kleiderordnung musikalisch bestens an), war Schluss mit freier Kleiderwahl der wenigen, verlorenen Orchesterfrauen. Es gilt die neue Kleiderordnung: Graue Hosenoptik herrscht wieder auf der Bühne des großartigen Goldenen Musikvereinssaal. IOCO / Viktor Jarosch / August 2012