Berlin, Staatsoper Unter den Linden, Russische Verhältnisse - Teil 1 ! IOCO Aktuell, Mai 2012

Berlin, Staatsoper Unter den Linden, Russische Verhältnisse - Teil 1 !  IOCO Aktuell, Mai 2012
Aktuell

Staatsoper im Schiller Theater

Staatsoper Unter den Linden - Man ist mal eben weg © IOCO
Staatsoper Unter den Linden - Man ist mal eben weg © IOCO

Berliner Opern - Debakel Kostet  Staatsoper Sanierung über €500 Mio?

Die völlig mißglückte Sanierung des Berliner Flughafen (geplante Kosten € 2,4 Mia, heutige Schätzungen € 4,3 Milliarden) beschäftigt Parteien und Volkes Seele über die Grenzen Berlins hinaus im Übermaß. Eine neue Hauptstadtbeschreibung macht die Runde:   Veni, Wowi, Wirrwarr: "Wo Wowereit herrscht  ist Wirrwarr Gesetz".

Neben dem Elend am Berliner Flughafen verblasst die Not an der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Entgegen €250 Mio schamhaft publizierten Sanierungskosten der kleinsten Staatsoper der Welt werden nach IOCO Schätzungen die Gesamtkosten der Opernsanierung über €500 Mio. betragen. Der Berliner Senat verlautbart wenig zum aktuellen Stand der Opernsanierung. Belastbare Statements des Berliner Senats zu Gesamtkosten, personellen Konsequenzen oder überzeugende Perspektiven: Völlige Fehlanzeige. In Köln stürzt ein Intendant schon über eine Etatdifferenz von €2 Millionen. Berlin hat es besser. Niemand stürzt. Man ist Debakel-Profi.

Seit Ende 2009 ist die Staatsoper unter den Linden geschlossen. Als Ersatzspielstätte der Staatsoper wurde für € 25 Mio das kleine Schiller Theater (974 Plätze) an der Bismarckstrasse halbwegs operntauglich gemacht. Absurd, denn die auch um Auslastung kämpfende, doppelt so große Deutsche Oper Berlin (1.954 Plätze) residiert genau 300 Meter entfernt vom Schiller Theater, ebenfalls an der Bismarckstrasse. Inzwischen hat das Schiller Theater  sogar beste Chancen, dauerhaft  Stammhaus der Staatsoper Berlin zu bleiben. Laut  Meldungen des Berliner Senats wird die Berliner Staatsoper bis mindestens 2015 auf der Bismarckstrasse bleiben. Grund: Die zunächst bis 2013 geplante Sanierung der Staatsoper verzögert sich wegen schlechtes Wetters und frisch entdeckten Pfahlbauten bis mindestens 2015. Da Verzögerungen in Berlin immer nur kurzfristig verlautbart werden, sollte man die Wiedereröffnung ihrer Staatsoper realistisch für 2017 planen. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, zu großen Verzögerungen charmant wie nonchalant: "Es gibt immer unvorhergesehene Dinge, wenn man mit Altbausubstanz arbeitet. Dies ist eben hinzunehmen – sonst kann man gar nichts mehr bauen“.

Schiller Theater - Heutige Spielstätte der Staatsoper © IOCO
Schiller Theater - Heutige Spielstätte der Staatsoper © IOCO

Russische Verhältnisse sind in Berlin angekommen: Denn auch das ehemals im Sumpf zu versinken drohende Moskauer Bolschoi Theater, wegen großartiger Musik wie blühender Korruption berühmt-berüchtigt, benötigte für seine Sanierung sieben statt vier Jahre (2005 - 2011). Die Sanierungskosten des Bolschoi Theaters betrugen am Ende über € 1 Mrd;  ursprünglich geplant waren €181 Millionen. Dabei hat man in Moskau, besser als in Berlin, für das spielstättenlose Bolschoi-Ensemble keine teure Ersatzspielstätte hergerichtet. Das gefragte Bolschoi-Ensemble reiste stattdessen durch die Welt, wurde bei weltweiten Auftritten als willkommener Gast gefeiert.

Pfahlbauten aus dem 15. Jahrhundert, glaubt man der Senatsverwaltung, sind der aktuelle Verzögerungs-Bösewicht: In 17 Metern Tiefe wurden sie gerade ausgemacht. Durch jene Pfahlbauten kann die unterirdische Verbindung zwischen Opernhaus und Probebühnen nicht gegen Grundwasser isoliert werden. Der unterirdische, rund 6,50 Meter hohe und 115 Meter lange Versorgungsgang, durch den die Kulissen auf die Bühne befördert werden sollen, sei als Nabelschnur für Technik, Belüftung und Brandschutz für den Spielbetrieb unerlässlich. Daher sei ein isolierter Betrieb des Opernhauses nicht möglich. Senatsbaudirektorin Lüscher erklärte, die mehrheitlich vom Bund getragenen Kosten der Staatsopernsanierung von 250 Millionen Euro würden durch die Bauverzögerungen nicht überschritten, die Mehrkosten seien gedeckt. Nach der ersten Verschiebung aus 2011 sind noch eine finanzielle Reserve von rund sechs Millionen Euro übrig. "Von den 242 Millionen Euro, die Sanierung und Erweiterung kosten, sind bereits Leistungen über mehr als 170 Millionen Euro vergeben", sagte Lüscher. Höchst unwahrscheinlich, so Manager der Baubranche, daß die beteiligten Unternehmen für die zeitlich dramatischen   Verzögerungen nicht hohen Nachforderungen stellen werden. Sollte selbst das alte Tiefbauergesetz  "Die Gewinne der Baufirmen liegen immer in der Nachforderung"  in Berlin noch nicht bekannt sein?

So hört man auch nichts genaues von Frau Lüscher über die ab 2013 für €73 Mio geplante Sanierung der Komischen Oper Berlin. Für die Übergangszeit soll die Komische Oper in das Schiller Theater ausweichen. Wenig passt zusammen im geschäftigen Berliner Theatertreiben. Veni, Wowi, wirrwarr!

Den Staatsopernbetrieb zu Beginn der Sanierungsphase 2009 gänzlich einzustellen oder auf Reisetätigkeit zu reduzieren wurde in Berlin schlichtweg versäumt.  Eine langjährige Abwesenheit des Staatsopernbetriebs hätte dem mit Musiktheatern überfütterten Berlin nicht geschadet und, egal ob Bund oder Land Berlin bezahlen, dem Steuerzahler  Millionen erspart. Die wegen Regie-Eskapaden notorisch schlecht besuchte Komische Oper könnte zudem ihre Auslastung verbessern. Ebenfalls völlig überflüssig: Fast zeitgleich mit dem Umzug in die technisch anspruchslose Ersatzspielstätte Schiller Theater wurde mit Jürgen Flimm ein teurer, regieorientierter Opern-Chef installiert.

Noch im April 2012 kündeten Daniel Barenboim (70) und Jürgen Flimm (71) auf der Jahrespressekonferenz zum Spielplan 2012/13 stolz die Wiedereröffnung der Berliner Staatsoper für Mitte 2014 an.

Staatsoper Berlin, Intendant Flimm, Regisseur Oehring © IOCO
Staatsoper Berlin, Intendant Flimm, Regisseur Oehring © IOCO
Staatsoper Berlin, Hans Neuenfels © IOCO
Staatsoper Berlin, Hans Neuenfels © IOCO
Staatsoper Berlin, JPK 4.2012, GMD Daniel Barenboim links, Intendant Flimm rechts © IOCO
Staatsoper Berlin, JPK 4.2012, GMD Daniel Barenboim links, Intendant Flimm rechts © IOCO

Keine vier Wochen später dröhnt Daniel Barenboim, Vertrag bis 2022, erneut sehr wissend wie rabulistisch: "Wir können die Verzögerung weder vom Inhalt noch von der Form akzeptieren. Ich bin kein Architekt, aber es ist unverständlich, dass ein Haus im 21. Jahrhundert nicht in zweieinhalb Jahren fertig werden kann, usw usw". Regie-Apostel Jürgen Flimm, Vertrag bis 2015 und nicht als Leisetreter bekannt, sucht anbiedernden Barenboim-Schulterschluss: "die Staatsoper sei von der neuerlichen Verzögerung völlig überrascht worden".

Überraschungen haben einen Hauch von Routine in Berlin. Alle für Betrieb und Sanierung der Berliner Staatsoper seit 2009 verantwortlichen Personen und Instutitionen, seien es Künstler, Bauingenieure, Baufirmen, Senatsverwaltung, Kontrolleure oder Bürgermeister, werden immer wieder von vertrackt unbekannten Problemen heimgesucht. Die Gesamtkosten der Sanierung werden seit Jahren portionsweise, nur zersplittert zitiert. Niemals gesamtheitlich. Nur der Bundesrechnungshof könnte den unsinnigen, geflüsterte

€500 Mio.

verschlingenden Berliner Opern-Orgiasmus Unter den Linden plausibel bewerten. Und den saloppen wie fragwürdigen Erklärungen von Senat und Bürgermeister ein Ende setzen.

Freunde und Kenner russischer Verhältnisse öffnen eine Flasche Wodka und fühlen sich   heimisch in Berlin. Zu Recht, denn die Moskauer Bolschoi-Erfahrungen entwickeln sich, was Zeit, Frust und Kosten betrifft, zu einer Blaupause für die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden. Der bleibende Unterschied: Die Sanierung des Bolschoi Theater gilt technisch wie ästhetisch gelungen, wenn auch dabei als teuerste und prunkvollste Theatersanierung der Welt. Mit der Staatsoper Unter den Linden in Berlin dagegen entsteht nur ein profanes Opernhaus, dessen neuer Zuschauerraum keiner so wollte und niemandem gefallen wird! Mit schlechter Bühnensicht für die meisten Rand- und Rangplätze. Ein Opernhaus, dessen Sanierung geflüsterte €500 Millionen kosten wird.

IOCO / Viktor Jarosch / Juli 2012

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