Kritik

Romeo und Julia – Sergej Prokofjew
Wiener Kult-Ballett von John Cranko
Am 23. März 2009 besuchte IOCO die Wiener Staatsoper. Sie war ausverkauft, über 2.100 Plätze, ein Montag, ein Ballett. Was war passiert? John Crankos 47 Jahre alte Inszenierung von Prokofjews Romeo und Julia nach William Shakespeare wurde getanzt. 1962 enstand diese Inszenierung für das Stuttgarter Ballett, wo John Cranko von 1961 bis zum seinem Tod 1973 als Ballettdirektor arbeitete. Mit dieser Arbeit etablierte Cranko Romeo und Julia endgültig in westlichen Spielplänen, entwickelte das Stuttgarter Ballettensemble zu einem führenden Ballettensemble weltweit und trug maßgeblich zum seinerzeitigen `Deutschen Ballettwunder´ bei.
Diese epochale Ballett – Choreografie zu geniessen kamen über 2.100 Besucher in die Wiener Staatsoper an einem ansonsten trüben Montagabend. Es hatte etwas von einer Hommage an John Cranko und Anne Woolliams. Anne Woolliams, Ko-Direktorin des Stuttgarter Balletts, war 1975 verantwortlich für die Einstudierung von John Cranko´s Produktion für das Wiener Staatsopernballett. 1992 verantwortete sie dessen Auffrischung, leitete von 1993 bis 1995 das Wiener Staatsopernballett. Sie starb 1999 in Canterbury.
Es tanzten am 23. März 2009 Maria Yakovleva die Julia, Mihail Sosnovschi den Romeo, Wolfgang Grascher den Graf Capulet, Alexandra Kontrus die Gräfin Capulet. Graf Montague wurde von Alexandre Romanchenko getanzt, Maria Balzano feierte ihr Rollendebüt als Gräfin Montague. Von anhaltend tosendem Applaus und einem Blumenregen verabschiedet. Am 29. April 2009 gibt Polina Semionova ihr Rollendebut als Julia, ihr Romeo wird von Roman Lazik getanzt. Und die 150. Vorstellung des Cranko Romeo und Julia an der Wiener Staatsoper findet am 31. Mai 2009 statt.
Die Entstehungsgeschichte dieses Balletts allein stellt schon alle Ingredienzien eines Dramas: 1934 erhält Prokofjew den Auftrag, Romeo und Julia für das Kirow-Theater in Leningrad zu entwickeln. Doch dann wollte man nicht mehr so recht. Das Bolschoi-Theater in Moskau einigte sich als nächstes mit Prokofjew zu dem Thema. Später trat auch dieses Theater vom Vertrag zurück. Nachdem eine weitere Aufführung in Leningrad platzte, man ist bereits im Jahre 1937, fand die Premiere der Urfassung von Romeo und Julia am 30. Dezember 1938 in Brünn statt.
In dieser Zeit arbeitete Leonid Lawrowski, Ballettdirektor des Kirow-Theaters, an einer eigenen Romeo und Julia Fassung und besuchte Prokofjew, um ihn zur Mitarbeit an seinem Projekt zu bewegen. Der erfahrene Theatermann Lawrowski beeinflußte Prokofjew, die Instrumentierung seiner Urfassung zu verändern, als er erkannte, daß die Mitglieder des Balletts der Musik einfach hilflos gegenüberstanden und viel Zeit zur Einfühlung brauchten.
Hilflos auch, weil das Leningrader Corps seit Jahrzehnten eine ausgeprägte, stark aufgetragene, tanzmäßige Instrumention gewohnt war. So konnten die Tänzer nur sehr spät die dramaturgische Sinngebung und Feinheit der Instrumentierung würdigen. Die russische Erstaufführung dieser heutigen Fassung erfolgte am 11. Januar 1940, nahezu sechs Jahre nachdem Prokofjew Shakespeare´s Tragödiendramen für sich entdeckt hatte.
Die Wiener Romeo und Julia Inszenierung von John Cranko hat ihren Ursprung in den fünfziger Jahren. Abendfüllendes Ballett gab es damals im Westen kaum. Dann, 1956, der triumphale Erfolg in London mit Leonid Lawrowskis Romeo und Julia Fassung getanzt vom Moskauer Bolschoi-Ballett.
Dies erst ermutigte westliche Choreographen den Anstoß zum abendfüllenden Ballett. Der gebürtige Südafrikaner John Cranko leitete seinerzeit das Sadler´s Wells Theatre Ballet und lernte Mitte der fünfziger Jahre in London verschiedene russische Romeo und Julia – Inszenierungen kennen. Seine 1962 für das Stuttgarter Ballett entstandene Version ist geprägt von nahtlosem Ineinanderübergehen von Lebensfreude und gewaltsamen Tod.
Ballettanfreunde sehen in der Romeo und Julia – Produktion von John Cranko einen zeitlosen Höhepunkt in der Geschichte des Balletttanzes, wie auch die Besucher der Vorstellung an diesem trüben Märztag. IOCO / Viktor Jarosch / 25.03.2009