Teatru Aurora - Teatru Astra: Opernhäuser auf Gozo (Malta), IOCO Essay

GOZO: Das Teatru Aurora und das Teatru Astra; beide in der Triq ir-Repubblika (Hausnummer 100 bzw. 9) gerade einmal Luftlinie ca. 200 Meter voneinander entfernt. Das winzige Eiland Gozo so einwohnerstark wie Andernach, die am dichtesten besiedelte Opernhausregion der Welt! ......

Teatru Aurora - Teatru Astra: Opernhäuser auf Gozo (Malta), IOCO Essay
Teatru Aurora auf Gozo (Malta) c Thomas Honickel

Teatru Aurora - Teatru Astra: „A matter of heart“ – Eine Herzens-angelegenheit - Vorstellung der Insel Gozo (Malta) - ihrer Theater, ihrer Besonderheiten - mit Interviews der Theater-Direktoren

von Sonja und Thomas Honickel

Prolog

„Eine Insel mit zwei Bergen…“, so lautete die Erkennungsmelodie der Augsburger Puppenkiste für die Puppenanimation von Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ seinerzeit.

Es gibt zwar auf Gozo – der kleinen Schwesterinsel von Malta - nur einen Supermarkt einer bekannten Discountermarke und ein Schnellrestaurant einer ebenso weltweiten amerikanischen Marke, dafür aber eine Hauptstadt mit gleich zwei Namen (Victoria/Rabat) und einem Zweiparteiensystem nach amerikanischem Vorbild in Maltas Hauptstadt Valletta, häufig zwei Uhren auf zahlreichen Kirchen, Domen und Kathedralen, die allesamt nicht die gleiche Uhrzeit anzeigen (um den Teufel zu verwirren), und – man halte sich fest -  gleich zwei Opernhäuser auf engstem Raum:

Das Teatru Aurora und das Teatru Astra; beide in der Triq ir-Repubblika (Hausnummer 100 bzw. 9) gerade einmal Luftlinie ca. 200 Meter voneinander entfernt. Damit wäre das winzige Eiland Gozo, so groß wie Fürth, so einwohner-stark wie Andernach, die am dichtesten besiedelte Opernhausregion der Welt!

Matthew Sultana vom Direktorium des Aurora formuliert es so: „You can not understand what you are seeing here, if you don´t understand how small we are.“

Und er ergänzt sein Intro mit der für Menschen in unseren Breiten nahezu widersprüchlichen Sentenz: „The fact that two great opera houses, incongruent and not matching, exist with these sizes is because we are small. And everybody has to assert his dominance, to prove he is the best, the boldest…“.

Teatru Astra auf Gozo (Malta) c Thomas Honickel

Dieser Umstand mag nur den Wenigsten in unseren Breiten bisher bewusst gewesen sein. Im südlichsten Land der EU haben wir uns deswegen auf Spurensuche begeben, wie es zu diesem Kuriosum kommen konnte und wie dieses seit fast einem halben Jahrhundert alljährlich mit turbulentem Eifer und einer fast gläubigen Besessenheit (Opern)Realität wird; wie Jahr für Jahr auf engstem Raum mit enormem Herzblut international renommierte Solistenensembles, das Maltesische Philharmonische Orchester, zwei große Kirchenchöre und zwei Dirigenten sich der Mammutaufgabe verschreiben, während der Oktoberwochen in jeweils nur einer einzigen Opernaufführung auf beiden Straßenseiten der Via Republica Tosca, Carmen, Rigoletto oder La Traviata szenisch zur Aufführung zu bringen.

Wir sprachen mit Matthew Sultana vom Direktorium des Teatru Aurora und mit George Cassar, Michael Formosa und Andrea Camilleri vom Direktorat des Teatru Astra.

GOZO / MALTA @ wikimedia commons

Gozo / Malta – Etappe für Viele in Jahrtausenden

Ein Weg in die Jetztzeit führt zwangsläufig zunächst in die Vergangenheit. Und die reicht wahrlich weit zurück! Die frühesten Zeugnisse von Menschenhand stammen auf Gozo aus steinzeitlichen Kulturen, die im Alter selbst Zeugnisse aus Frankreich und England in den Schatten stellen. Auf Malta gibt es die berühmte unterirdische Grabstätte, das neolithische Hypogäum (2. Jtsd. v. Chr.), auf Gozo die prächtige altsteinzeitliche Kultanlage aus dem 4. Jahrtausend vor Christus sowie den Ggantija-Tempel (beide anerkannt als UNESCO Weltkulturerbe 1980).

Ggantija - Tempelanlage (2. Jtsd. v. Chr.) c. Thomas Honickel

Seither ist das winzige Archipel nahezu permanent von allen mediterranen Kulturen der vergangenen zweieinhalb Jahrtausende besiedelt, belagert, erobert, besetzt oder einverleibt worden: Griechen, Römer, Karthager, Byzantiner, Araber. Im Mittelalter von den Normannen, den Staufern, den Anjou und Aragonesen und Kastilliern. Mit der Übergabe der Inseln an den Johanniterorden durch Kaiser Karl V. (1530), seit dieser Zeit auch Malteserorden genannt, begann eine eigenständigere historische Entwicklung.

Mit dem Ausbau der Festungsanlagen (auch auf Gozo die sog. Cittadella) und mit zahlreichen späteren Barockbauten schrieb man sich in die Architekturgeschichte dort ein. Nach einem kurzen Intermezzo von Napoleon (1798) wurde die Inselgruppe ab 1814 britische Kronkolonie.

Im 2. Weltkrieg wurde Malta zum unversenkbaren Flugzeugträger für die Aliierten; ein Verdienst, das der britische König mit dem Georgskreuz 1942 honorierte, das noch heute das Wappen Maltas ziert.

In Malta erfolgte 1964 nach über 150 Jahren Fremdbestimmung die Unabhängigkeit von der britischen Krone, 1974 wurde es Republik und erhielt einen eigenen Staatspräsidenten. Seit 2004 ist Malta Mitglied der EU.

GOZO und die größte Kathedrale der Welt @ Thomas Honickel

Gozo / Malta – das katholischste Land nach dem Vatikan

Der Anteil der Katholiken in Gozo und Malta beträgt ca. 94 %. Und davon dürfte, wenn man die Vielzahl an Kirchen, Domen und teils riesigen Kathedralen zugrunde legt, ein überaus hoher Grad nicht nur eingeschrieben sein, sondern seinen Glauben auch ausgiebig praktizieren.

Eine aktuelle Umfrage stellt fest, dass fast 60 % der Bevölkerung den Glauben als praktizierte Religiosität zentral wichtig einstufen, weitere 20 % halten ihn für weniger wichtig, die restlichen 20 % stehen der Religion eher kritisch gegenüber. Was für Zahlen, die wie aus der Zeit gefallen wirken, mindestens was Mitteleuropa betrifft.

Gozo zählt neben der Hauptstadt Victoria (Rabat) weitere 13 kleinere und kleinste Ortschaften (Dörfer). In nahezu jeder dieser kleinen Ansiedelungen gibt es (mindestens) eine Kirche, häufig im byzantinischen Stil mit übergroßer, hoch aufgerichteter Kuppel eine Basilika, die das Zentrum der Orte dominiert. Im Fall des Örtchen Xewkija (maltesisch/sprich: Schaukija) mit gerade einmal 3.500 Seelen ist das Kuriosum perfekt: Ein Gotteshaus für nahezu 1.200 Menschen mit der drittgrößten Kuppel der Welt (nach St. Peter in Rom und St. Paul´s in London)!

Wir konnten uns bei zwei Gottesdiensten am Karfreitag und in der Osternacht davon überzeugen, dass die Kirchen nahezu vollständig mit Gläubigen gefüllt waren. Und ähnlich verhält es sich in anderen Ortschaften. Das alleine im Verein mit den zahlreichen musikalischen Aktivitäten der Gemeinden (eigene Blaskapellen, Chöre, kleinere Orchester) spiegelt die Bedeutung der katholischen Kirche und des christlichen Glaubens auf Gozo in besonderer Weise.

Premierenankündigung auf Gozo c Thomas Honickel

Gozo – Musik weit weg von der Welt

Alles beginnt um das Jahr 1863, als nahezu parallel zwei Blaskapellen gegründet werden und in unmittelbarer Folge auch zwei diesen Bands angeschlossene Vereine, sogenannte Clubs. Auf der einen Seite der Club Stella, aus dem über 100 Jahre später das Opernhaus Astra entstand, auf der anderen Seite der Club Leone, der Grundlage für das andere Opernhaus Aurora wurde. Der Sternenhimmel und die Göttin der Morgenröte wurden so Paten der beiden Opernhäuser.

Eine besondere Rolle spielen bei der Gründung die jeweiligen Kirchengemeinden St. Gorg (für den Club Stella) und die Kathedrale St. Mariä Himmelfahrt (für den Club Aurora). Die damalige Geistlichkeit nahm die beiden Vereinigungen unter den Schutz der jeweiligen Kirchengemeinden und bot ihnen die Widmung ihrer Clubs unter dem Namen der jeweiligen Heiligen an. Auch die beiden Kirchenchöre der Gemeinden fanden Raum in dem jeweiligen Vereinswesen. Die enge Bindung an die Basilika St. Gorg und die Kathedrale St. Mariä Himmelfahrt seit über 160 Jahren ist prägendes und wesentliches Merkmal der gesamten Vereinsstruktur bis heute geblieben. Abbilder bzw. Repliken der originalen Heiligenstatuen finden sich in den jeweiligen Foyers der heutigen Opernhäuser.

Bis auf die Bandmitglieder waren die Vereinsmitglieder keineswegs besonders musikaffin. Aber die geografische, wirtschaftlich-soziale, religiöse und politische Gesamtsituation (damals noch als Kolonie unter britischer Fremdbestimmung) war eine günstige, die Sache befördernde Gemengelage, die sehr schnell zu enormem Zuwachs in den Clubs führte. Sie waren (und sind) Identifikationsfluchtpunkte, Zugehörigkeitsattribute und Traditionsbewahrer in einem; die Musik wurde erst im Laufe der folgenden Jahrzehnte zum zentralen Element. Alleiniges Moment der engagierten Arbeit bei Leone und Stella ist sie bis heute nicht geworden. Zentral ist (bei beiden Häusern) das ausschließlich ehrenamtliche, freiwillige Engagement, das selbst dann funktioniert, wenn man dem Genre Oper eher kritisch gegenübersteht.

Durch die isolierte geografische Situation und die gleichermaßen intensive Bindung an den katholischen Glauben entwickelten sich aus der Initialzündung der Bandgründungen Mitte des 19. Jahrhunderts eine Rivalität, eine Konkurrenz und ein Wettkampf, welche Blaskapelle denn nun die bessere, welcher Club der prominentere und welche musikalische Präsentation die hervorragendere sei.

George Cassar vom Astra beschreibt es so: „You perhaps noticed that there is quite a little rivaltry between us and the Aurora and vica versa , but it`s a healthy rivaltry. It´s not fighting, it´s not a war.“

Und sein Kollege Andrea Camilleri ergänzt: „This rivaltry keeps the ball rowling. And people who grew in Victoria understand this immediately!“

Matthew Sultana vom Aurora stellt es in einen noch größeren Kontext: „We are in the mediteranian region with ist specific mentality. You can not be in the centre of something. You are either left or right, black or white, blue or red. Like the both sides of a coin…“

(Hinweis der Redaktion: Blau ist die Farbe von Aurora, rot diejenige von Astra).

Ein Konkurrenzstreit, dem man sich, wenn man auf Gozo (bzw. in Victoria) lebt, bis heute nicht entziehen kann: Entweder ist man Mitglied der einen oder der anderen Gruppierung. Die knapp 6000 Einwohner der Hauptstadt Victoria (sowie wenige Weiterer aus benachbarten Dörfern) teilen sich also auf die Mitglieder der beiden Clubs auf. Diese feiern sich und ihre Vereinigungen mit zahlreichen besonderen Festen und Veranstaltungen, bei denen die jeweiligen Prozessionen mit anschließender Festwoche zum Gedenken an den jeweiligen Schutzpatron den Höhepunkt bilden: das Astra am 24. April zu Ehren des Hl. Gorg (heute wegen Wetterrisikos im Juli), das Aurora am 15. August zu Ehren der Gottesmutter Maria.

Die belesenen Fans von Giovanni Guareschis Don Camillo und Peppone mögen sich hier an die Hassliebe des kraftstrotzenden Pfarrers Don Camillo und des kommunistischen Bürgermeisters Peppone von Ferne erinnert fühlen. Bezeichnenderweise lautet der italienische Originaltitel Mondo piccolo!

Teatru Aurora mit 1600 Plätzen @ Thomas Honickel

Gozo – Aufbruch in die Zukunft

Die Situation nach dem zweiten Weltkrieg, in welchem dem maltesischen Archipel eine herausragende Rolle beim Kampf gegen Nazi-Deutschland und dessen Verbündetem Italien zukam, war für die dortige Bevölkerung vor allem mit hoher Armut, wenig Verdienstmöglichkeiten, geringer Bildung und äußerst kargen Abwechslungen verbunden.

Das damals noch sehr rückständige und arme Land hatte neben dem herausfordernden Alltag kaum Zerstreuung zu bieten; einzig eben diese beiden lokalen, schon damals konkurrierenden Blaskapellen. Nach einer Übergangsphase mit baulichen Provisorien baute man schließlich jeweils ein erstes größeres Haus in den 50er Jahren, als Domizil und als Einnahmequelle gleichermaßen. So entstand in beiden Gruppierungen zunächst ein Kino, das der Bevölkerung Unterhaltung bot und der Band mit Club eine Heimstatt für Proben, Aufführung und Geselligkeit.

Nach der Unabhängigkeit im Laufe der 60er Jahre und mit zunehmendem Wohlstand, politischer Willensbildung durch den Aufbau von Parteien, Gremien, Parlamentarismus und Mitbestimmung wuchsen lokale und regionale Initiativen, die der Bevölkerung und ihren Traditionen ein auch institutionalisiertes Antlitz geben wollten. Hier spielt gewiss auch eine Rolle, dass man die damalige (und die heutige) Jugend im Land halten und einen Exodus verhindern wollte.

Beide früheren Häuser wurden also in der frühen Zeit vor ihrer späteren Bestimmung (als Opernhäuser) als Kinosäle oder als Plattform für Operettenaufführungen (Gilbert & Sullivan / Pop-Shows u.a.) durch Gastspielensembles/Touring-Produktionen genutzt. All das wurde auch deshalb besonders angenommen, weil das Fernsehprogramm maximal vier Stunden umfasste und das damals politische, sozialistische System zahlreiche restriktive Maßnahmen vorsah, um die gesellschaftliche Entwicklung zu unterdrücken (Einfuhrbeschränkungen, Zollauflagen, Ausgrenzung von ausländischen Sendern). Ein System, das uns aus DDR-Zeiten geläufig ist. Diese restriktive Gesellschaftspolitik änderte sich erst in den 70er Jahren.

Theater Management - Mitglieder des Direktoriums vom Teatro Astra vl: George Cassar, Michael Formosa, Intervietean Sonja und Thomas Honickel, Andrea Camilleri @ Thomas Honikel

Gozo – der Beginn des Opernprojekts

Frank Portelli, ein maltesischer Art-Deco-Designer mit internationaler Expertise in Malerei und Architektur, gab den Impuls, mit dem Astra das erste Opernhaus auf Gozo zu errichten. Portelli war mit seinen Werken als bislang einziger maltesischer Künstler auf der Biennale in Venedig 1958 vertreten.

Parallel dazu und als Reflex auf diesen Neubau entstand das Aurora durch den Club Leone. Konzipiert wurde es von Emvin Cremona auf den Grundrissen einer Villa aus dem 19. Jahrhundert, die der Verein erworben hatte. Noch heute gibt es einen Raum dieser ursprünglichen Villa, der für Erinnerungsstücke des Vereins vorgesehen und auch heute einzusehen ist.

Das Teatru Astra wurde in 1968 eingeweiht. Nach mehrfachen Umbauten sowie einem Neubau nach dem Brand in 2003 fasst es heute ca. 1200 Plätze.

Das Teatru Aurora entstand zwischen 1971-76 und umfasst ca. 1600 Plätze.

(Das einzige bis dahin existente Royal Opera House in Valletta wurde im 2. Weltkrieg zerstört. Heute gibt es dort „nur“ ein Konzerthaus, das hauptsächlich vom Maltesischen Philharmonischen Orchester bespielt wird).

Beide Bühnen sind in etwa gleich groß, mit weitläufigen Räumlichkeiten für Technik, Gewerke und Garderoben für die Ausführenden. Seitenbühnen sind nicht vorhanden, was alle Beteiligten auf besondere Weise herausfordert.

Was nun Mitte der 70er Jahre an neuer Impulskraft in die beiden Clubs mit ihren Bands, Kirchenchören und den angeschlossenen riesigen Fan-Gemeinden fließt, muss zwingend erstaunen. Es ist, wie beide Seiten mehrfach und deutlich betonen, vor allem die Kraft der gesunden Rivalität, der motivierenden Konkurrenz und dem beseelten Wunsch, für die eigene Community eine musikalische Hochleistung zu produzieren, die besser ist als die des jeweils anderen Vereins.

1977 startete das Aurora mit Puccinis Madame Butterfly. 1978 antwortete das Astra mit Verdis Rigoletto und Rossinis Barbiere de Sevilla an einem Wochenende. Seither, mit Ausnahme der internationalen Covid-Pause, die auch Gozo nicht verschonte, gab es jedes Jahr eine neue Operninszenierung mit großem Aufgebot. Als einzige Einschränkung mag man den Umstand ansehen, dass (bis auf Bizets Welthit Carmen) ausnahmslos Opern aus Italien gespielt werden. Und selbst hier grenzt sich das Repertoire nochmals dadurch ein, dass fast ausnahmslos Verdi und Puccini auf dem Programmzettel stehen. Wenige Ausflüge etwa zu Donizetti, Leoncavallo, Mascagni, Bellini, Ponchielli oder Rossini blieben die Ausnahme. „Wir spielen halt, was gefällt!“, so die einfache bis treffsichere Antwort der Programmierer beider Clubs. Dafür aber sind die Unikate der Produktionen in Windeseile ausverkauft.

Das Astra bietet mit eigener Mannschaft (teils sogar mit jungen Leuten aus dem Club) mittlerweile auch übers Jahr verteilt Musicalproduktionen an, wo nur exorbitant schwere Solopartien eingekauft werden. Im Schwerpunkt sind das die bekannten Titel von Andrew Lloyd-Webber. Jetzt gerade aber war es nichts Geringeres als Bernsteins Westsidestory, die gleich viermal über die Bühne ging. Es gelangen jedoch auch Werke regionaler Künstler auf die Bretter der Bühne: So im Mai dieses Jahres Valeriana aus der Feder des künstlerischen Leiters Joseph Vella. Eine maltesische Liebesgeschichte eines Fischers in den Wirren des 2. Weltkriegs. Peter Grimes auf maltesisch!

Das Aurora bietet im April „mal eben“ eine Bohème-Produktion aus alten Tagen, um das Feuer beim Publikum auf Temperatur zu halten. Veranstaltet im Rahmen des von ihnen initiierten Gaulitana-Festivals mit eigenem Festivalchor und vielen kleinen und großen Konzerten; darunter auch jüngst ein Tanzabend mit Gast-Compagnien.

Selbstredend veranstalten auch die Leone-Band und die Stella-Band regelmäßig Konzerte. Mal sind sie openair zu hören, mal in Kirchen-Rezitals, mal in ihren Theatern. Jedes Bläserensemble zählt dabei mehr als 60 Mitglieder, die das gesamte Bläserspektrum abdecken (zzgl. Schlagwerk). Der Zuspruch ist auch hier enorm und enthusiastisch. Während der Karwoche begleiten die Bands die zahlreichen Prozessionen und gestalten sehr besondere Kirchenkonzerte, welche die stille Zeit entsprechend reflektieren. Vom vergleichsweisen hohen Standard der Laienensembles konnten wir uns in der Osterzeit überzeugen.

Gozo, die kleine Nachbarinsel von Malta, mit größter Operndichte der Welt (Doku, 2016) youtube wocomoCulture

El sistema auf gozitanisch

Mitte der 70er Jahre gegründet wurde das musikpädagogische Erziehungsmodell El sistema des venezolanischen Lehrers José Antonio Abreu bei uns schon bald bekannt. Es basiert auf der musikalischen Ausbildung der breiten Jugend im sozial eher prekären südamerikanischen Staat. Musik gegen zunehmende Verelendung und gegen die herrschende Gewaltspirale. Aus ihm ging der heute international beachtete Dirigent Gustavo Dudamel hervor, aber mit Edicson Ruiz brachte es auch den mit 17 Jahren jüngsten je aufgenommenen Neuzuwachs der Berliner Philharmoniker am Kontrabass hervor (2003). Es wurde auch als Größte Musikschule der Welt oder Das Wunder von Caracas bezeichnet.

Damit können die Gozitaner nicht konkurrieren; aber es entwickelte sich über das oben dargestellte regionale Musikgeschehen so etwas wie ein education-Projekt en miniature, das Staunen macht:

Um die Zukunft des gesamten Projektes, die Zukunft der Gemeinschaft und ihrer musischen Angebote zu sichern, hält man für die Jugend zahlreiche, angesichts der Größe der Insel schier unglaubliche Angebote bereit, die es ermöglichen, in die Gemeinschaft der Vereine, der Bands und der Chöre hinzuwachsen, um dann irgendwann gemeinsam auch auf der Konzert- und Opernbühne stehen zu können.

YOUTH CHOIR des LEONE-CLUBS / Leitung: Matthew Sultana @ Thomas Honickel

Das Aurora beispielsweise gründete 2015 einen Jugendchor, den wir im Konzert bewundern konnten: Glasklare Stimmen, volumenreich und sauber in Intonation und Rhythmus, geleitet von Matthew Sultana, einem der Köpfe des Clubs, mit eigenen Kompositionen (siehe dazu auch den am Ende des Artikels eingestellten Link mit zahlreichen Fotos, die während der Interview-Sitzungen entstanden und die unterlegt sind mit live-Audios des Ensembles).

Das Astra hat das besondere Angebot (ähnlich unserem JEKI-Projekt), alle interessierten Kinder kostenlos (!) mit einem Instrument und entsprechendem Unterricht auszustatten. Außerdem werden diese instrumental informierten Kinder auch in kleineren Ensembles aufgefangen und von erfahrenen Instrumentalisten der Band geführt.

Noch einmal der Leiter der Astra Opernsparte George Cassar: „We are starting an educational process: educating the people, the audience about the background of the productions, the musicality, the plot, the work that goes on and much more. That enables us to enlarge and diversify our repertoire.“

Andrea Camilleri, der die Musicalsparte vertritt, ergänzt, was uns nicht unbekannt vorkommt: „And the people appreciate more, if they know more about the productions.“ - Education at its best!

Fazit aus west-nord-europäischer Sicht

In der Zurückgeworfenheit auf sich selbst hält uns das Eiland mit seiner musischen Initiative und seinen Impulsen in vielem den Spiegel vor: Strukturen, wie wir sie aus unseren Häusern kennen, zumeist hochsubventioniert, mit zahlreichen Tarifverträgen ausgestattet, mit einer Überfülle an Mitbestimmung und externen Einflussnahmen (aus Politik und Gesellschaft) „gesegnet“, gibt es dort auf Gozo nicht.

Ein Leitungsteam, das ehrenamtlich agiert, und eine immense Zahl an Freiwilligen, die sich aus den Clubs mit ihren individuellen Fähigkeiten einbringen, sowie eine nahezu flächendeckende Rückendeckung durch die gesamte Bevölkerung, so stellt sich die Opernlandschaft auf Gozo dar. Da ist noch sehr, sehr viel an Ursprünglichem, Unverstelltem, Leidenschaftlichem zu spüren. Viel von dem, was uns in unseren institutionalisierten Kunstbetrieben bisweilen abhanden zu kommen scheint.

Matthew Sultana vom Aurora bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „You have to understand: all, what we do as volunteers, is a matter of heart!“

Geprobt wird nach Feierabend. Die internationalen Künstler kommen für gozospezifische Gagen aus Italien, England, USA und den Staaten Osteuropas. Glanzvolle Namen und Stimmen, die man auch in Covent Garden, der Met oder der Scala hören kann. Sie kommen gerade deshalb nach Gozo, weil sie diesen liebevollen und sehr speziellen Charme des Opern-Eilands zu schätzen wissen. Stimmen wie die des Tenors Joseph Calleja haben gar hier ihre Karriere begonnen (1997 mit 19 Jahren MacDuff in Verdis Macbeth).

Das Maltese Philharmonic Orchestra hält sich für Proben und Aufführungen den gesamten Oktober frei, um vor Ort die beiden Vereine jeweils zwei Wochen zu unterstützen. Da dauert dann wegen der Beteiligung der tagsüber arbeitenden Laien eine Haupt- oder Generalprobe auch schon mal bis zu sechs Stunden und geht bis weit nach Mitternacht! (Der in Deutschland herrschende TVK würde eine solche Situation nie zulassen).

Den Sommer über wird intensiv probiert mit den jeweiligen Kirchenchören, die dann zu Opernchören mutieren. Es wird in den Gewerken geschneidert, in den Werkstätten und Kellern an Bühnenbildern gefeilt. Licht- und Tontechniker kommen mit Equipment, welches das eigene Sortiment ergänzt. Das alles hat einen ausgesprochen familiären Anstrich, der jedem Gozitaner, der über sein Opernhaus und sein Teatru spricht, stolz aus jedem Knopfloch lugt.

Competition and respect

Bedeutsam in diesem Kontext auch, dem Internet in seiner vermeintlichen Objektivität nicht zu sehr zu trauen. Selbst die Wikipedia-Einträge können die Wirklichkeit vor Ort nicht adäquat einfangen, teilweise bieten sie gar ein verfälschtes Bild der Situation, wie wir sie vor Ort erleben durften.

Mit nicht geringer Wertschätzung sprechen beide Direktorien vom jeweils anderen Etablissement. Da fällt zu keinem Zeitpunkt ein böses oder abqualifizierendes Wort. Die gesunde Rivalität ist Grundlage für die Existenz beider Unternehmen, die auf völliger Freiwilligkeit und besessenem Ehrenamt basieren. Beiden Vereinen ist nahezu wortgleich klar, dass sie nie und an keiner Stelle zusammenarbeiten wollen und werden. Beiden Clubs ist ebenso klar, dass ohne das Gegenüber, ohne die Konkurrenz die eigene Existenz sinnlos wäre. Beide Organisationen legen Wert auf die Feststellung, dass man natürlich die Opern und Konzerte der anderen Partei besucht, dass man selbstverständlich die feierlichen Prozessionen gegenseitig aufsucht, dass man in vielen Punkten ähnlich agiert und dass Fairness ein unbedingter Aspekt dieses „Kampfes“ um die musikalische Hoheit auf Gozo darstellt.

Giovanna D´ARCO - Werbeplakat des Teatro Astra @ Thomas Honickel

Beispiel: In der laufenden Saison widmet sich das Astra mit Verdis früher und sehr selten gespielter Giovanna d´Arco einem wahrlich großen Brocken und bietet eben keinen der großen Reißer des Repertoires an. Durchaus ein ökonomisches Risiko!

Als Reaktion darauf hat sich auch das Aurora eines exotischen Werkes im Repertoire angenommen, um ähnlich risikobehaftet eben nicht mit einem Hit die diesjährige Opernsaison auf Gozo zu beantworten: Puccinis Trittico.

Man trifft sich: Auf der Straße, im Café, in der Bar, auf der Piazza. Man respektiert sich, man redet miteinander, man schätzt sich bisweilen gar. Und dennoch geht nichts über das „Wissen“, dass der eigene Club mit Band, Chor und Opernhaus eben doch der beste sei. Teilweise geht der Riss durch ganze Familien; die mütterliche Seite ist Astra, die väterliche Seite Aurora – und das seit Generationen….

Friedliche Koexistenz allerorten. Und um die Vorherrschaft wird gekämpft: Mit den „Waffen“ der Musik. Eben als Herzensangelegenheit: „A matter of heart!“

Die professionell gemanagten Homepages der beiden Häuser

Teatru tal-Opra Aurora (teatruaurora.com)

Home – Teatru Astra

Außerdem

Eine Zusammenstellung des Bildmaterials, das wir im Kontext der Opernhäuser erstellen konnten bzw. das uns zur Verfügung gestellt wurde; unterlegt mit einem Werk des gozitanischen Jugendchorleiters Matthew Sultana: