Paris, Théâtre des Champs-Élysées, DIDO AND AENEAS – JEPHTAH - Juwelen des Barock, IOCO Kritik

DIDO AND AENEAS - JEPHTAH: Joyce DiDonato verkörpert Dido mit ihrem ganzen Wesen… Purcells Oper Dido and Aeneas begeisterte unter der sehr inspirierten musikalischen Leitung des russischen Dirigenten und Cembalisten Maxim Emelyanychev mit der amerikanischen Mezzo-Sopranistin Joyce DiDonato

Paris, Théâtre des Champs-Élysées, DIDO AND AENEAS  –  JEPHTAH - Juwelen des Barock, IOCO Kritik
Théâtre des Champs-Élysées, Paris © wikimedia commons

von Peter Michael Peters 

K O N Z E R T – V E R S I O N

  • Henry Purcell: DIDO AND AENEAS (1689), Oper in einem Prolog und drei Akten. Libretto von Nahum Tate nach seiner Tragödie Brutus of Alba, or the Enchanted Lovers, nach dem IV. Buch der Aeneis von Virgel.
  • Giacomo Carissimi: JEPHTAH (1648), Oratorium

 

VON GÖTTERN UND HEXEN…

Thy hand, Belinda, darkness shades me,

On thy bosom let me rest,

More I would, but Death invades me;

Death is now a welcome guest.

 

When I am laid, am laid in earth,

May my wrongs create

No trouble in thy breast;

Remember me, remember me, but ah!

forget my fate.

Remember me, but ah! Forget my fate.

 (Lamentation der Dido / 3. Akt / Final)

Dido's lament (Purcell) 'When i am laid in earth' - youtube Timeless Musica

Große Geister verschwören sich oft gegen sich selbst…

Das Programm dieses Abends ist rund um zwei große Meisterwerke der Barock-Musik gegliedert. Das erste ist ein echtes Juwel des englischen Repertoires, das zweite eine italienische Rarität. Dido and Aeneas von Henry Purcell (1659-1695) mit einem Libretto von Nahum Tate (1652-1715) ist eine Kammer-Oper, in der sich Tragödie und Komödie vermischen und das Ganze wird von einer Geschichte unendlicher zärtlicher Delikatesse getragen. Seine Prägnanz von einer Stunde nimmt der dramatischen Spannung keinen Abbruch, eine Spannung die in der abschließenden Klage von Didon gipfelt. Mit dem Oratorium Jephtah (1648) verlassen wir die Aenais (zwischen 29 und 19 v. J. C.) von Vergil (70-19 v. J. C.) und Purcell und widmen uns der Geschichte einer biblischen Episode, die eine ganze Reihe von Komponisten inspirierte: Darunter insbesondere Georg Friedrich Händel (1685-1759). Der Komponist Giacomo Carissimi (1605-1674) schwor auf den italienischen Stil mit einer intensiveren Ausdruckskraft und dramatischer Effizienz herauf. Man weiß von Carissimi nicht sehr viel, denn sein Leben liegt völlig im Dunkeln! Er wurde von mehreren großen Persönlichkeiten der Kirche beschütz, insbesondere von der Königin Christina von Schweden (1626-1689), für die er mehrere weltliche Kompositionen schrieb. Wir wissen, dass sein Werk beträchtlich war, aber es wurde größtenteils zerstört. Es sind jedoch noch ein Dutzend Messen, mehr als zweihundert Motetten und etwa einhundertdreissig Kantaten übrig. Die mitwirkenden Sänger und Musiker werden diesen beiden kurzen, aber großartigen Werken die gesamte emotionale Dimension wieder verleihen.

Der Ruhm gewinnt im Laufe seines Lebens an Stärke…

Wenn das Vorrecht von Meisterwerken darin besteht, sich jeder Definition und jeder Eingrenzung zu entziehen, stehen wir mit der Oper Dido and Aeneas vor einem ziemlich amüsanten Szenario: Wir glauben dass wir es erreichen können… und wir können es doch nicht schaffen! Welches Adjektiv wir auch verwenden, um dieses Objekt zu charakterisieren, obwohl es uns vertraut ist, hören wir sofort das Gegenteil: Es bleibt das älteste und modernste, so einfach aber so komplex, intim und grandios, dunkel und hell, symbolisch so englisch und doch so universell, usw. Zweifellos ist es besser, aufzugeben und stattdessen zu verstehen, was Purcells Opern insgesamt so offensichtlich und geheimnisvoll macht.

Erstens bleiben eine Reihe von Rätseln über ihre Entstehung, über die Zwecke ihrer Niederschrift, über das Datum ihrer Kreation bestehen, die nur begrenzte Wahrheiten oder auch allgemeine Vereinfachungen verschleiern: Die zur Klärung des Ganzen vorgenommen wurden! Beginnen wir damit, dem hartnäckigen Gerücht ein Ende zu setzen, dass Dido and Aeneas die erste englische Oper sein möchte. Obwohl es niemand bestreitet, das die Oper The Siege of Rhodes mit einem Libretto von William Davenant (1606-1668) von fünf verschiedenen Komponisten (Henry Lawes (1595-1662), Matthew Locke (1621-1677), Henry Cooke (1616-1672), Charles Coleman (1601-1660) and George Hudson (1599-1665) vertont wurde: Dass ist die erste englische Oper! Das Werk wurde mit einer Sonder-Genehmigung von der autoritären Oliver Cromwell (1599-1658)-Regierung im Hause des Librettisten im Jahr 1657 unter dem Ausschluss  der Öffentlichkeit uraufgeführt. Wir können sicherlich noch mehr argumentieren, dass die Oper The Siege of Rhodes nur eine Ansammlung von Präludiums, Szenen mit traditionellen englischen masks und Zwischen-Spielen ist und keine richtige Oper. Jedoch die Oper Venus and Adonis von John Blow (1649-1708) ist wohl unweigerlich die erste englische Oper und wurde etwa um 1683 am Hofe von König Karl II. (1630-1685) kreiert! Begründet ist das alles aber noch nicht, denn in unseren Gedanken und Herzen bleibt Dido and Aeneas die erste wirkliche englische Oper… 

Kommen wir nun zu einem weiteren unzerstörbaren Mythos: Dido and Aeneas wäre von Purcell für ein Internat für junge adlige Mädchen in Chelsea komponiert worden, nämlich das von Josias Priest (1645-1735), einem Ballettmeister! Dies würde das Überwiegen weiblicher Rollen erklären, die Tatsache: Dass die Rolle des Sailor ursprünglich auch von einer Frau gesungen wurde… und auch sogar die Kürze des Werks. Aber so attraktiv sie auch sein mag, diese These ist höchstwahrscheinlich falsch! Das Werk wurde wie ein Programm belegt, tatsächlich im Jahr 1689 im Internat gespielt, aber es ist  schon viel früher entstanden, da es schon zuvor am englischen Hofe aufgeführt wurde! Was ist also mit der Original-Partitur? Diese unschuldige Frage zu stellen bedeutet, sich auch auf jahrhundertlange Streitigkeiten und Auseinandersetzungen zwischen Musik-Wissenschaftlern und sogenannten Werk-Entdeckern einzulassen. Um somit auch die Existenz eines eigenartigen Manuskript The Tenbury zu entdecken, das zwischen 1660 und 1670 verfasst wurde und sich sehr stark von dem uns bekannten Werk unterscheidet. Die Datierungs-Hypothesen und ihre verschiedenen Korrespondenzen mit den politischen Unruhen in einer turbulenten Zeit öffneten den Weg für alle möglichen Spekulationen und für eine Fülle allegorischer Lesarten, die hier nicht zusammengefasst werden können: Wir hätten diesem oder jenem königlichen Paar schmeicheln wollen, um diesen oder jenen Verrat darzustellen… Tatsache bleibt aber dass wir uns, sobald alle königlichen Intrigen im England des 17. Jahrhunderts vergessen sind, nur noch an eine Geschichte erinnern. Eine Königin sagte zu ihrem Geliebten: „Don’t leave me, I will die!“ Er verlässt sie! Und sie stirbt! Brauchen wir wirklich einen Kontext, um das zu verstehen?