Paris, Théâtre de l'Athénée, ORFEO (1672) - Antonio Sartorio

Orfeo von Antonio Sartorio (1630-1680) bietet ein ganz anderes Bild der Orpheus-Legende als das von Claudio Monteverdi (1567-1643) oder später von Christoph Willibald von Gluck (1714-1787).  

Paris, Théâtre de l'Athénée, ORFEO (1672) - Antonio Sartorio
Théâtre de l'Athénée - Paris © Wikimedia Commons

 Oper in drei Akten mit einem Libretto von Aurelio Aurel

von Peter Michael Peters

ORPHEUS‘ WAHNSINN IM VENIZIANISCHEN SPIEGEL…

EURIDICE

Ahimè, Numi, son morta, m‘uccide angue crudel.
Mortifero velen in grembo a eterno gel
chiude quest’occhi. Io piu luce non miro,
Orfeo, sposo, cor mio, l’anima il spiro.

 

ORFEO

Misero, oh Dio, che veggio!
Crudelissima sorte,
tu far volesti insuperbir la morte
col dare un si bel volto in suo trofeo.
 (Auszug des Libretto von Aurelio Aureli)

Eine Liebestollheit wie die schwarze Cholera…

Der Orfeo von Antonio Sartorio (1630-1680) bietet ein ganz anderes Bild der Orpheus-Legende als das von Claudio Monteverdi (1567-1643) oder später von Christoph Willibald von Gluck (1714-1787).  Die Szenen sind kurz, die zahlreichen Charaktere folgen in rasantem Tempo aufeinander und wechseln sinnliche, pathetische, komische und tragische Atmosphären. In diesem schimmernden Ballett aus Körpern und Herzen, getragen von der Schönheit der Musik, zirkuliert die Liebe wie eine schwarze Energie.

Tatsächlich wird der Mythos mit der klinischen Schärfe unserer modernen Zeit umschrieben. Liebesleidenschaften verursacht mehr Schmerz als Freude: Eifersucht, Frauenfeindlichkeit und Frustration sorgen dafür, dass die Hölle vor dem Tod existiert. Im Gegensatz zu seinem üblichen Bild ist Orpheus ein misstrauischen Wesen, das an der Liebe seiner Frau zweifelt. Aristeo, der Bruder von Orpheus ist eine Figur, die einer Version des von Vergil (70- 19 v. J.) erzählten Mythos entlehnt ist, liebt Eurydike ebenfalls sehr und die Heftigkeit seiner Leidenschaft wird ein gewaltiges Drama hervorrufen: Endlos verfolgt von der brutalen Leidenschaft des Aristeo wird Eurydike von einer giftigen Schlange gebissen. Esculape (Äskulap), Arzt und dritter Bruder von Orpheus betrachtet diese Verwüstungen der Liebe mit viel Zynismus.Eurydikes grosse Stärke…

Orfeo von Artonio Sartorio - Opéra Orchestre national Montpellier Occitanie

Weit entfernt von der zerbrechlichen Nymphe, deren einzige Funktion darin besteht, zu sterben und betrauert zu werden, ist die Figur der Eurydike hier eine der großen Erneuerungen in Aurelio Aureli (um 1630- etwa 1708) Libretto. Sie zeigt eine grosse Charakterstärke und kämpft verbissen darum: Ihre Liebe und ihr Leben zu behalten! Sie selbst ist es, die in einer außergewöhnlichen Schlüssel-Szene als Geist zurückkehrt und Orpheus bittet, zu ihr zu kommen und sie aus der Unterwelt zu holen. Und sie ist auch wieder die, die Orpheus bittet sich nicht umzudrehen!

Um dieses liebevolle Trio herum spielt die Prinzessin Autonoe, die Aristeo versprochen wurde, die Rolle der betrogenen Frau, die ihre Liebe zurückgewinnen will und das indem sie vorgibt jemand anderes zu sein. Ihr Bündnis mit Eurydike, das sie in Widrigkeiten und nicht als Rivalen vereint, ist ein weiteres modernes Merkmal der Behandlung dieser Geschichte.

In den komischen Teilen werden die jungen Helden Herkules und Achilles wie Heranwachsende von den Gefühlen der Zärtlichkeit und Wut überrascht, die das Gefühl der Liebe in ihnen hervorruft. Orillo, ein junger abtrünniger halb-Schäfer-halb-Schurke mit seinen sanftmütigen zärtlichen Arien, scheut sich jedoch nicht davor, seine Reize an die alte reiche Heiratsvermittlerin Erinda zu verkaufen oder auch die von Orpheus selbst befohlene Mission zur Ermordung von Eurydike anzunehmen. Der sich selbst verrückt und irrsinnig gemacht hat durch seine wahnsinnige Eifersucht und seinen großen übersteigerten Narzissmus!

ORFEO hier Szenenphoto vl Michele Breant (Eurydice), Lorrie Garcia (Orfeo) c S. Gosselin

Ein grausamer und anmutiger Palast der tausend Miragen…

Auf diese sehr bunte und auch tiefschwarze Energie muss mit einer wechselnden vielseitigen Inszenierung reagiert werden: Die eine große Vielfalt in Bildern, Kostümen und Spielstilen bietet! Das Wiedersehen mit dem französischen Countertenor Philippe Jaroussky und seit einiger Zeit auch als Dirigent tätig, den wir vor etwa fünfzehn Jahren in der Titelrolle der Oper Il sant’Alessio (1631) von Stefano Landi (1587-1639) hörten und natürlich noch in vielen anderen Rollen dieser Epoche. Es war für uns eine wunderbare Gelegenheit, den barocken Ansatz und die sichtbareren zeitgenössischen Behandlungen zu synthetisieren und zu vergleichen, die wir von zahlreichen Werken des seicento und anderem Repertoire kennen. Und natürlich auch die große Entwicklung dieses äußerst talentierten Sängers, der hier als Dirigent uns seine phantastischen Begabungen abliefert.